Nachdem Franz Türler sich seine Traumuhr gebaut hatte – in seinem Fall eine komplizierte astronomische –, fand er, dass eigentlich jedermann eine ähnliche Chance bekommen sollte. Der Horloger und Bijoutier vom Zürcher Paradeplatz schaltete ganzseitige Inserate in der Tagespresse: «Nun ist es Zeit für Ihre Vision. Haben Sie einen Uhrenwunsch? Einen Traum, der bisher nicht in Erfüllung ging? Senden Sie mir eine Skizze oder eine Kurzbeschreibung. Meine Spezialisten werden dann prüfen, wie Ihre Vision Wirklichkeit werden kann.»

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Zwanzig Zuschriften später erhob sich für Franz Türler und seinen Hausuhrmacher Jörg Spöring nicht mehr die Frage des Wie, sondern des Ob. Einer wollte eine Leibuhr, die rückwärts lief, ein anderer eine Lebensuhr. Schlussendlich mussten die beiden passen. Alle diese Traumuhren blieben ein Traum.

Alles einzelstücke

Die Konstruktion der ganz persönlichen Uhr setzt konkrete Träume voraus. Niemand demonstrierte das schöner als James Ward Packard, ein leidenschaftlicher Ingenieur und Absolvent des Lehigh-Colleges (wie nach ihm der Zürcher Bankier Hans Bär und der Chrysler-Sanierer Iacocca). Der Schöpfer einer legendären Automarke und passionierter Uhrensammler bestellte bei Patek Philippe in Genf nicht weniger als 13 Uhren. Alles Einzelstücke, die es vorher noch nicht gab. Von 1900 bis 1927 lieferte die Genfer Manufaktur beispielsweise eine Minutenrepetition mit Tourbillon nach Ohio aus. Oder eine Minutenrepetition mit Sonnerie und zusätzlich einem Schlagwerk, das alle vier Stunden läutet. Packard war auch der Erste, der eine Minutenrepetition mit Chronograph-Rattrapante und Sonnerie hatte. Wieder eine andere Komplikation liess er sich liefern mit einem auf vier Tonfedern (an Stelle der drei für ein kleines und grosses Schlagwerk benötigten) abgestimmten Westminstergeläut. Packards bekanntester Wunsch war wohl die 1927 ausgelieferte Taschenuhr mit der Himmelskarte, die den Stand der Sterne von seinem Schlafzimmer aus zeigte.

Als der New Yorker Bankierserbe Henry Graves davon hörte, wollte er eine Uhr mit einer Himmelskarte über New York und allen möglichen anderen Komplikationen. Fünf Jahre später hatte er sie. Was solche Uhren seinerzeit gekostet haben, weiss man nicht so genau. Sicher keine 100000 Dollar, die Anfang der Dreissigerjahre bereits ein beachtliches Vermögen waren. Aber dafür weiss man, zu welchem Preis die Graves-Uhr 1999 zugeschlagen wurde: für 11 Millionen Dollar. Teure Leidenschaften können sich also durchaus lohnen, sofern sie sich mit Verstand paaren.

Die heutigen Anforderungen an die Individualisierung gehen in eine andere Richtung. Aus St. Moritz wünschte die lokale Les-Ambassadeurs-Niederlassung ein Zifferblatt mit kyrillischen Buchstaben. Bei einer Grande Complication mit Platinband kein unerfüllbarer Wunsch für die IWC Schaffhausen. Vergleichsweise bescheiden gab sich Marco Tronchetti Provera. Der Verwaltungsratsdelegierte von Pirelli und Präsident der nationalen Telefongesellschaft Telecom Italia orderte in Mailand bei den Geschwistern Pisa an der Ecke Via Montenapoleone einen Portugieser Chronographen mit einem eigens für ihn gefertigten Spezialzifferblatt. Und für eine Kaliber 5000 (Portugieser Automatik mit Achttagewerk) in Platin wollte er aus Gründen der Diskretion das Zifferblatt der Stahlvariante. Als er die Uhr dann sah, gefiel sie dem wählerischen Industriellen allerdings doch nicht so richtig. Für die Geschwister Pisa kein Drama: die Uhr nahm ein anderer Liebhaber.

Die IWC Schaffhausen hat aber auch ein Herz für ganz persönliche Liebhabereien. Wolfgang Siegwart, der Hausgraveur der Manufaktur, verewigte 1992 alle Gespielinnen eines Wiener Autohändlers auf einem Goldzifferblatt. Aus diesem Kundenwunsch entstand dann etliche Jahre später eine auf 20 Stück limitierte Sonderauflage der Da Vinci unter dem Titel Quattro Stagioni. Mehr als 20 Goldzifferblätter mit den spärlich bekleideten Jahreszeitenallegorien hätten die Kräfte des Graveurs überstiegen.

Eine Million für eine Uhr

Ein beliebter Individualisierungswunsch sind immer wieder Edelsteine. Der Sultan von Brunei orderte, um noch einmal kurz auf Schaffhausen zurückzukommen, für sein royales Handgelenk 1996 eine Destriero in Platin und selbstverständlich mit Platinband, aber damit fing es erst an: schlussendlich sassen Diamant-Pavés auf allen Bandgliedern und auch das Gehäuse selber strahlte reichen Glanz aus. Die Million für die Uhr wird er aus der Portokasse bezahlt haben.

Das klassische Haus der Einzelanfertigung bleibt natürlich Cartier mit seinen gut ausgebauten Goldschmiedeateliers und den vielen angestellten Steinfassern. Da war es weiter kein Problem, eine Panthère in Weissgold auf besonderen Wunsch mit weissen und wilden Diamanten zu fassen. Oder einer Weissgold-Pasha mit Baguette-Diamanten auf Gehäuse und Lünette zusätzlichen Glanz zu geben. Oder eine Pasha in Gelbgold mit einem Emaillöwen als Zifferblatt. Oder eine Tank in Weissgold mit römischen Zahlen auf der Lünette, bei der alle Chronographenfunktionen zentral über die Krone gesteuert sind.

Im Taschenuhrenzeitalter war die Gravur oder die Prägung weniger die Ausnahme als die Regel: Initialen, Wappen, Emailüberzüge gehörten einfach dazu. Guillochierungen oder Streifen waren ganz selbstverständlich im Angebot. Insofern war die Uhr früher ein sehr viel individuellerer Besitz. Der Wandel kam mit der Armbanduhr, die dem Graveur weniger Fläche zugesteht. Vor allem aber ist der Boden nur zweimal am Tag zu sehen. Einzig bei der Reverso von Jaeger-LeCoultre oder der Tank Basculante bei Cartier lässt sich am Arm der Boden nach oben drehen. Jaeger-LeCoultre nutzt diese Möglichkeit zu einem konkreten Angebot, die Reverso mit den Initialen nach eigener Wahl zu beziehen. Anglaise, Impériale, Art Déco, Gothique, Belle Epoque und Gran’Sport heissen die Stilvarianten, die von 230 Franken für zwei Buchstaben (Anglaise) bis 500 Franken für drei Buchstaben (Gran’Sport) reichen. Die Buchstaben mit Lack zu unterlegen ist auch möglich (150 Franken). Wer die Reverso lieber mit Diamanten besetzt haben möchte, wird gebeten, den Preis vorher zu erkunden.

Ist es erlaubt, den Herstellern einen Tipp zu geben bei ihren Individualisierungsideen? Zifferblätter mit kyrillischen Buchstaben reichen der anspruchsvollen Kundschaft auf Dauer kaum. Für eine echte russische Neujahrsorgie werden Uhren mit julianischem Kalender unverzichtbar sein. Gott sei Dank fängt dort das Jahr ein paar Tage später an. So haben die Uhrmacher etwas mehr Zeit.

Ignaz Miller ist freier Journalist und Verleger in Zürich.