BILANZ: Herr Ermotti, macht es noch Spass, Banker zu sein?

Sergio Ermotti: Nur wenn Sie Masochist sind.

Das sind Sie nicht.

Nein, und deshalb ist es derzeit doppelt schwierig: Das Geschäftsklima ist angespannt und die öffentliche Debatte wenig hilfreich. Es dominiert die populistische Neigung, die Banker für die Krise verantwortlich zu machen und sie zu Sündenböcken abzustempeln.

Sind sie das nicht?

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Unsere Branche hat die Krise mitverursacht – der eine mehr, der andere weniger. Dieser Verantwortung muss man sich stellen. Die Konzentration auf die Suche nach Schuldigen verstellt aber den Blick auf die vor uns liegende Aufgabe, zukünftige Krisen, welche die Weltwirtschaft und den Wohlstand gefährden können, zu verhindern. Natürlich ist es wenig hilfreich, wenn ein kleiner Teil unserer Branche so weitermacht, als wäre nichts geschehen.

Die grossen Wall-Street-Banken um Goldman Sachs haben also nicht die richtigen Lehren aus der Krise gezogen?

Einige Bankchefs waren sich vor allem bei der Bonuspolitik ihrer Verantwortung nicht bewusst. Wenn manche Bankverantwortlichen zwar sagen, dass sie den Bonuspool gekürzt hätten, aber die absoluten Zahlen noch immer sehr hoch sind, ist das wenig überzeugend und bietet zu Recht eine grosse Angriffsfläche.

US-Präsident Barack Obama hat mit seinem Frontalangriff gegen die Banker die Stimmung angeheizt.

In den USA besteht die Gefahr, dass der staatliche Konjunkturstimulus an Kraft verliert und zugleich die Arbeitslosigkeit steigt. Dass die Republikaner den Senatssitz im demokratischen Stammland Massachusetts gewonnen haben, hat den Druck auf Präsident Obama erhöht. Da kam ihm wohl der öffentliche Aufschrei über die Bankerboni gerade recht.

Zentrales Anliegen von Präsident Obama ist es, den Eigenhandel der Banken zu verbieten. Wird diese Massnahme die Stabilität des Finanzsystems wirklich erhöhen?

Bisher handelt es sich nur um Ankündigungen. Wir wissen nicht genau, welche Regeln daraus entstehen. Es waren zudem nicht die Handelsaktivitäten der Banken, die zu dieser Krise geführt haben. Die Ursachen dieser Krise lassen sich am besten mit den vier «L» beschreiben: zu viel Lending, zu viel Leverage, zu viel Liquidity, zu viel Laisser-faire. Was mir aber vor allem nicht gefällt: Die US-Regierung geht mit ihren Vorschlägen genau in die gegenteilige Richtung von derjenigen, die wir alle angestrebt haben. Wir wollten international einheitliche Regeln für alle, verbesserte Transparenz – und keine nationalen Alleingänge.

Ihre Bank ist davon nicht betroffen, denn UniCredit ist nicht in den USA tätig.

Wenn ein so mächtiges Land wie die USA einen Sonderweg geht, liefert es den anderen Ländern einen Vorwand, ebenfalls eigene Regeln zu installieren, und das schadet allen. Indirekt sind wir also schon betroffen. Ich befürchte, dass es aufgrund des öffentlichen Drucks zu hastigen Lösungen kommt, und die Geschichte lehrt uns, dass diese neue Probleme schaffen.

Fühlen Sie sich von der Kritik an zu hohen Bonuszahlungen betroffen? UniCredit-Chef Alessandro Profumo bezieht mit einem Jahressalär von etwa fünf Millionen Franken nicht einmal die Hälfte von dem, was die Chefs von Deutscher Bank oder Credit Suisse erhalten, obwohl der Börsenwert von UniCredit höher liegt.

Viele Banken mussten ihr Kompensationssystem vollkommen ändern, wir dagegen mussten nur leichte Änderungen vornehmen. Wenn bei uns eine Abteilung nichts verdiente, gab es auch schon vorher keinen Bonus. Wir waren da sehr diszipliniert. Manche Banken haben leider bei schlechten Resultaten nach einem Grund gesucht, um trotzdem hohe Boni auszahlen zu können.

Wie können die Banken ihr Reputationsproblem lösen?

Es braucht mehr Selbstdisziplin der Banken, es braucht aber auch mehr Industriedisziplin. Leider hat die Selbstregulierung der Bankenbranche bisher versagt. Wenn wir uns alle verpflichten würden, nur einen bestimmten Prozentsatz der Erträge für die Kompensation auszugeben und Bonusgarantien zu verbieten, wäre das ein grosser Schritt nach vorn. Ein solches Vorgehen wäre im Sinne der Aktionäre.

Würde das reichen?

Wir sollten zudem auch die grossen Aktionäre – vor allem institutionelle Anleger – darauf verpflichten, ihre Rechte viel aktiver zu nutzen. Diese Investoren sollten ihr Recht ausüben müssen, wenn ihnen die Kompensation zu hoch ist, und damit ihre Verantwortung auch wahrnehmen, statt einfach nur die Aktien zu verkaufen, wenn ihnen etwas nicht passt. Wir müssen also die Disziplin der einzelnen Banken, der gesamten Industrie und der Aktionäre erhöhen.

Sollten die Aktionäre über die Kompensation abstimmen können?

Ja. Wir erstellen jedes Jahr einen Vergütungsbericht, den wir den Aktionären zur Abstimmung vorlegen.

Obwohl die Schweizer Grossbanken internationaler sind als UniCredit, ist ihr Börsenwert tiefer. Warum?

Sie erzielen noch immer einen grossen Teil ihrer Erträge im Investment Banking. Dessen Bewertung hat jedoch stark gelitten und den Gesamtwert der Banken heruntergezogen. Wir dagegen decken das gesamte Spektrum einer Universalbank ab, von Einlagen bis zu Grosskrediten. Das machen die Schweizer Banken nur in ihrem Heimmarkt, während wir führende Positionen in Italien, Deutschland, Österreich und Osteuropa innehaben. Die Schweizer haben das Kredit- und das Retailgeschäft im Ausland nie forciert.

Dafür haben die Schweizer Grossbanken das Private Banking.

Das ist ihr Kronjuwel …

… das jetzt aber unter massiven Druck gerät, vor allem vonseiten Deutschlands und Frankreichs.

Ja, unter einigen Druck. Doch das Modell wird schon seit vielen Jahren totgesagt, und die Schweiz prosperiert weiter, wenn auch vielleicht nicht mehr so stark wie früher. Aber das kann auch eine Chance sein, denn jetzt muss die Schweiz eher durch Qualität bestehen. Wir können es uns nicht leisten, als Finanzplatz nur damit identifiziert zu werden, dass die Kunden hier keine Steuern zahlen. Die Schweiz hat noch grosses Potenzial. Und: Man sollte das Offshore-Geschäft nicht totsagen, nur weil das Wachstum nachlässt.

Aber das Modell, nur auf Steuerhinterziehung zu setzen, ist tot.

Ja, dieses Modell ist tot. Die Schweiz sollte proaktiv werden, ohne zu viel aufzugeben. Warum fangen wir beispielsweise nicht einfach damit an, in der Schweiz eine Abgeltungssteuer von 30 Prozent einzuziehen und das Geld zunächst einzubehalten, bis die Verhandlungen mit Deutschland und Frankreich abgeschlossen sind? Wir sollten da voranschreiten, statt uns von anderen sagen zu lassen, was wir tun müssen. Die Idee des automatischen Informationsaustauschs beurteile ich eher skeptisch.

Aber werden sich die Hochsteuerländer Deutschland und Frankreich damit zufriedengeben?

Wenn sie mehr wollen, werden sie zu verstehen geben, dass es nicht allein um Steuerhinterziehung geht. Dann sollten wir fragen: Geht es um totale Transparenz, um den gläsernen Bürger? Das wollen wir nicht, weil es sich nicht mit der schweizerischen Rechtstradition verträgt. Oder geht es sogar um den Wettbewerb der Finanzplätze, der auf diesem Weg ausgetragen werden soll? Was wir hier sehen, ist eine neue Form der Auseinandersetzung in Europa.

Von einem geeinten Europa spüren Sie also wenig, obwohl UniCredit die paneuropäischste aller Grossbanken ist?

Jedes Land zieht sich derzeit zurück und schaut auf sich selbst. Da kann man sich die Frage stellen, um was es in der Europäischen Union in Zukunft gehen soll. Wenn eine deutsche Bank keine französische Bank kaufen darf, dann leben wir nicht wirklich in einem freien europäischen Markt. Kurzfristig sind grosse Konsolidierungen in Europa gestoppt.

Und langfristig?

Werden sie weitergehen. Die Idee, dass Banken klein sein sollen, ist unsinnig und wird sich nicht durchsetzen. Grosse Industriefirmen mit internationaler Ausrichtung können regionale oder nationale Banken nicht angemessen begleiten. Und wenn Banken auch noch viel mehr Kapital halten sollen, brauchen wir Grösseneffekte, um effizienter zu werden.

Sie waren 17 Jahre lang bei Merrill Lynch und als Leiter des Kapitalmarktgeschäfts der ranghöchste Schweizer bei einer US-Investmentbank. Ihr alter Arbeitgeber musste sich in die Arme der Bank of America retten. Schmerzt Sie das noch?

Ich bin bereits seit 2004 nicht mehr bei dem Unternehmen, sodass das Leiden nicht mehr allzu gross ist. Aber eine gewisse Wehmut ist schon noch da. Ich frage mich vor allem: Wie konnte das passieren?

Wie lautet Ihre Antwort?

Es ist immer gefährlich, ein Follower zu sein und nicht seine eigenen Stärken auszuspielen. Der Ehrgeiz war bei Merrill Lynch offenbar zu gross. Es war eine Manie, den Marktführer imitieren zu wollen. Besonders bei festverzinslichen Wertpapieren, vor allem im Eigenhandel.

Bei Merrill Lynch Schweiz trafen Sie in den achtziger Jahren auf illustre Persönlichkeiten des Schweizer Bankgeschäfts.

Ja, eingestellt hat mich damals Marcel Ospel. Später zählten Rainer-Marc Frey und Thomas Matter zu meinem Team.

Dennoch sind Sie in der Schweizer Bankenszene wenig bekannt.
Ich war den grössten Teil meiner Karriere für ausländische Banken ausserhalb der Schweiz tätig, und das Tessin gilt ja in der übrigen Schweiz nicht gerade als Nabel der Bankennation.

17 Jahre arbeitete der Tessiner Sergio Ermotti bei Merrill Lynch. Als Co-Leiter des globalen Aktiengeschäfts stieg er zum ranghöchsten Schweizer Investment Banker eines grossen Wall-Street-Hauses auf. 2005 übernahm er bei der italienischen Grossbank UniCredit das Kapitalmarktgeschäft. Er ist Stellvertreter von Konzernchef Alessandro Profumo und gilt als Favorit für die Nachfolge. UniCredit ist seit der Übernahme der deutschen HypoVereinsbank die paneuropäischste aller Grossbanken. Der 49-jährige Vater zweier Söhne lebt in Lugano und arbeitet vorwiegend in Mailand und München.