BILANZ: Herr Raschle, wie steht es zurzeit um den Private-Equity-Markt?
Bruno E. Raschle:
Seit sich der globale Wirtschaftsaufschwung verlangsamt hat und der Elektronikbereich zusammengebrochen ist, sind viele Risikokapitalisten paralysiert. Selbst bei guten Firmen entscheidet heute niemand mehr. Kürzlich habe ich eine Firma besucht, die ihren Plan sogar übertroffen hat, die aber kein frisches Geld findet. Die Investoren sind überlastet, weil sie in den letzten zwei Jahren schlichtweg zu viele Deals eingegangen sind. Viele sind verunsichert. Den Investoren wiederum sitzen die Geldgeber im Nacken, welche die versprochene Rendite sehen wollen. Es herrscht ziemliches Durcheinander.

In den letzten zwei Jahren wurden an die 200 Milliarden Dollar für Risikokapital bereitgestellt. Wie viel davon ist heute verloren?
Von diesen 200 Milliarden wurden im letzten Jahr in den USA und in Europa 120 Milliarden in 15 000 Firmen investiert. Rund 30 Prozent dieser Firmen sind heute bereits tot, weitere 30 Prozent sind klinisch tot. Von den übrigen 5000 Firmen dürfte knapp die Hälfte noch verschwinden. Ich schätze, dass so an die 100 Milliarden Dollar verloren sind.

Was ist mit den restlichen 80 Milliarden? Werden die noch gebraucht?
Ja. Die verbleibenden 3000 Firmen werden aller Voraussicht nach je rund 20 Millionen Dollar benötigen, bis sie profitabel arbeiten können. Es gibt also keine Reserven in der Finanzpipeline.

Was bedeutet das konkret?
Erstens: längere Verkaufszyklen auf Firmenebene und damit ein grösserer Kapitalbedarf. Zweitens: längere Haltefristen für die Investoren. Und drittens: eine grössere Vorsicht bei den Venture-Kapitalisten, was dazu führt, dass heute selbst gesunde Firmen oder solche mit erstklassigen Geschäftsplänen und Teams keine Finanzierung finden.

Die Zeiten, als mit Private-Equity-Anlagen innert Kürze Traumrenditen im dreistelligen Bereich erzielt wurden, sind vorerst vorbei?
Mit Sicherheit. Die letzten zwei bis drei Jahre waren mit überrissenen Konditionen verbunden. Der durchschnittliche Return dieser Investitionen wird in der Schlussabrechnung negativ sein. Finanziell werden wir das Gröbste wohl erst im ersten und zweiten Quartal 2002 absehen können, denn viele der Not leidenden Firmen haben jetzt zwar noch Cash oder haben den Gürtel enger geschnallt, doch deren Kassen dürften bald leer sein.

Der Nasdaq-Index ist um rund 70 Prozent gefallen. Private-Equity-Gesellschaften betonten früher immer, dass diese Art der Investments eine geringfügige Korrelation zu den Börsen aufweise. Lagen sie falsch?
Grösstenteils. Der Wertzerfall in der Venture-Kapital-Szene ist massiv. Ich glaube, dass man für jeden Dollar, den man 1999 und 2000 vor allem im IT-Bereich investiert hat, bis zur Schlussabrechnung kaum mehr als 50 bis 70 Cents im Durchschnitt erhalten wird. Am stärksten betroffen sind Fonds, die 1998, 1999 und 2000 gegründet wurden. Doch nicht alles ist schlecht. Ungefähr drei Prozent aller Investments werden Superrenditen in der Höhe von 25 bis 40 Prozent und mehr abwerfen. Doch eben: Es sind nur drei Prozent.

Trifft das auch für den Buyout-Bereich zu?
Ja, auch der ist hart getroffen, obwohl das in den finanziellen Bewertungen noch nicht sichtbar ist. Hier mussten in den letzten zwei Jahren vor allem bei grossen Transaktionen enorm hohe Eintrittspreise bei Auktionen bezahlt werden. Nun sieht es so aus, als würden die Markterwartungen nicht eintreten. Die Transaktionsmultiples, wie zum Beispiel das Kurs-Gewinn-Verhältnis, sind auch nicht weitergestiegen, sondern gefallen. In einzelnen Fällen um bis zu 50 Prozent.

Es fällt aber auf, dass sich der innere Wert vieler Beteiligungsgesellschaften seit Beginn der Börsenbaisse trotz den gedrosselten Markterwartungen nicht stark vermindert hat.
Ein Trugschluss. Oft bleiben die Investments in den Büchern der Private-Equity-Fonds zu den überhöhten Einstandspreisen, weil die Bewertungsregeln ein Szenario massiver Diskontinuitäten nicht vorsehen. Aber das wird sich bald ändern.

Inwiefern?
Viele Firmen, die von den Risikokapitalisten finanziert wurden, sind hoch verschuldet oder leiden unter hohen Mittelabflüssen. Manche dürften bald nicht mehr fähig sein, ihre Aufwendungen zu decken. Für die Buyout-Funds bedeutet dies zum Beispiel, dass sie die Darlehen in diesen Firmen entweder in sehr hoch verzinsliche Darlehen mit Zinsen von 20 Prozent und mehr umwandeln oder dass sie die Darlehen durch Eigenkapital zu vermutlich tieferen Firmenbewertungen ablösen müssen.

Warum taugen die geltenden Bewertungsrichtlinien Ihrer Meinung nach nicht?
In einem wachsenden Markt sind sie vernünftig und relativ konservativ. Sie sind aber ungeeignet in einem fallenden Markt. Die Regeln besagen beispielsweise, dass Firmen analog zur letzten Finanzierungsrunde bewertet werden, ausser die Firma steht so schlecht da, dass Bewertungskorrekturen angebracht sind. Doch just in schwierigen Zeiten will ja niemand Probleme eingestehen. Aus diesem Grund werden jetzt auch viele Finanzierungsrunden hinausgeschoben.

Worauf kann sich ein Anleger, der in Private Equity investiert, denn noch verlassen?
Eigentlich nur auf die Integrität der involvierten Personen. Kürzlich habe ich den Fall eines Fonds gesehen, der seine Kontrollstelle beauftragt hat, eine Bewertung des Portefeuilles auf der Basis der Bewertungsregeln durchzuführen. Sie hat dies abgelehnt, weil sie in der gegenwärtigen Situation nicht im Stande war, eine Bewertung vorzunehmen. Wie wollen Sie beispielsweise eine kleine E-Commerce-Firma in diesem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld seriös bewerten? Den genauen Wert erfahren Sie eh erst beim Verkauf oder nach einer Kapitalerhöhung.

Es wird immer wieder gesagt, ältere Fonds riskierten weniger Bewertungskorrekturen, weil sie nicht die überhöhten Preise der letzten Jahre bezahlt hätten.
75 bis 80 Prozent der Venture-Kapital-Fonds, die vor rund 15 bis 20 Jahren gegründet wurden, gibt es immer noch. Alt bedeutet aber nicht automatisch gut. Im Gegenteil: Ein guter Fonds wird ja genau mit dem Ziel gegründet, irgendwann, so nach zehn Jahren, aufgelöst zu werden, weil der Fonds ja sämtliche Investments mit Gewinn verkaufen will. Häufig ist es gerade so, dass viele dieser alten Fonds nur noch deshalb existieren, weil sie viel unverkäuflichen Schrott enthalten.

Viele Investoren haben sich zu hohen Nachschüssen verpflichtet. Wo liegen die Gefahren des Overcommitments?
Es gibt zwei Gruppen von Commitments: die bezahlten und die unbezahlten. Die bezahlten werden zum Fair Value oder zum Marktwert bewertet. Fällt dieser, fällt gleichzeitig auch das Eigenkapital. Dann sind da noch die unbezahlten Kapitalzusagen. Diese sind auf alle Fälle verbindlich. Fragt sich nur, wie ein Fonds dies alles bezahlen will. Nehmen wir einmal an, ein Dachfonds hat von seinen Investoren für 600 Millionen Franken Zusagen hereingeholt und ist damit Zusagen von einer Milliarde Franken eingegangen, wovon er 500 Millionen bereits einbezahlt hat. Wie will er jetzt die restlichen 500 Millionen Franken finanzieren? Ich glaube kaum, dass man heute schlechtem Geld noch gutes nachwerfen will.

Die Fondsmanager sind zuversichtlich, ihre Verpflichtungen wie bisher mit Rückflüssen finanzieren zu können.
Diese Zeiten sind vorbei. In den nächsten paar Jahren wird es keine grösseren Rückflüsse mehr geben, ausser bei sehr, sehr guten Firmen. Sie können natürlich Beteiligungen über den Sekundärmarkt verkaufen. Das dürfte dann aber mit grosser Wahrscheinlichkeit ein Verlustgeschäft werden.

Wie beurteilen Sie die Zukunft des Private-Equity-Geschäfts? Soll man jetzt investieren?
Grundsätzlich ist der Zeitpunkt für einen Einstieg jetzt ideal. Man hat jetzt wieder Zeit, Investments sorgfältig auszuwählen und gutes Management zu rekrutieren. Viele heute sehr erfolgreiche Firmen wie beispielsweise Apple, Sun, Cisco und Netscape wurden alle in Schwächephasen gegründet.
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