Wahrscheinlich hatte William Faulkner doch recht. «Es ereignet sich nichts Neues», schrieb der US-Schriftsteller einst, «es sind immer dieselben alten Geschichten, die von immer neuen Menschen erlebt werden.» Könnte Faulkner damit den jüngsten Übernahmereigen im Internet gemeint haben? Wie zu den wildesten Zeiten der New Economy wurden jüngst wieder Hunderte von Millionen, ja Milliarden für defizitäre Internetfirmen gezahlt.

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4,1 Milliarden Dollar legte Ebay für den Internet-Telefonie-Dienst Skype hin. Im Oktober schluckte Google für 1,65 Milliarden Dollar die Videoplattform YouTube, liess sich anschliessend die Kooperation bei der Werbevermarktung mit MySpace (die Robert Murdoch im Juli 2005 für 580 Millionen gekauft hatte) rund 900 Millionen Dollar kosten und zahlte 3,1 Milliarden für den Werbevermarkter DoubleClick. Microsoft konterte und blätterte soeben sechs Milliarden Dollar für den Online-Werbedienstleister Aquantive hin.

Die Börse spekuliert bereits, durch die Übernahme von Aquantive sei die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass Microsoft auch Yahoo kaufen könnte – ein Vorhaben, das Anfang Mai noch erfolglos geblieben war. Für die Übernahme müsste Microsoft gemäss Schätzungen rund 50 Milliarden Dollar auf den Tisch blättern.

Klar ist: Die Branche buhlt weiterhin um Facebook, eine kostenlose Website für Schüler und Studenten. Yahoo soll eine Milliarde geboten haben, doch die Facebook-Macher winkten ab – vorläufig jedenfalls.

Die derzeit begehrtesten Firmen sind Pioniere des Web 2.0, der neuen Internet-Ära. Web-2.0-Unternehmen vermarkten kein Produkt, sondern stellen eine Plattform zur Verfügung, auf der die Nutzer selbst tätig werden können. Bei YouTube etwa tauschen die User ihre Videos aus, bei Flickr Fotos, bei Wikipedia ihr Wissen und bei Blogger.com ihre Meinungen. Mit ihren Plattformen wachsen sie zwar rasant und ziehen Millionen neuer User an, doch rentabel sind sie deshalb noch lange nicht. Selbst Marktführer MySpace mit seinen rund 160 Millionen Mitgliedern macht angeblich noch einen Jahresverlust von 50 Millionen Dollar. Experten sehen aber im Web 2.0 die Zukunft des Internets. «Das Web 2.0 bietet die Möglichkeit, sich in sozialen Netzwerken zu organisieren und zu inszenieren», meint Richard Rosenblatt, selbst ein Veteran im Internetgeschäft. «Das Massenphänomen Web 2.0 trägt zur Emanzipation der Kunden bei.» Mit Demand Media nimmt Rosenblatt gerade selbst einen erneuten Anlauf im Web. «Wir werden Millionen von Usern Gerüste bieten, in denen sie ihre jeweiligen Inhalte organisieren können. Und das zu allen nur erdenklichen Themen», erklärt er. Sein Kalkül: von der ausgeprägten Loyalität zu profitieren, die Leute ihren Online-Communities gegenüber zeigen. «Wir werden das Social Networking völlig neuen Altersgruppen öffnen», so seine Strategie. Rasch muss es gehen, die Konkurrenz schläft nicht. Anfang 2006 gegründet, beschäftigt Demand Media heute mehr als 200 Mitarbeiter. Für Ende 2007 ist – günstige Marktumstände vorausgesetzt – der Börsengang geplant, Mitte 2008 soll die Firma laut Gründer dann schon zwei Milliarden Dollar schwer sein. Im Februar kündigte Rosenblatt an, das Konzept auch international auszurollen; China gilt als Riesenmarkt, auch Europa hat er im Visier. Und wenn irgendwann Google, Microsoft oder Yahoo anklopfen? «Dann werden wir sehen, was passiert», bemerkt Rosenblatt schmunzelnd – und man kann sich ziemlich genau denken, was er damit meint.

«Es gibt im Moment einen grossen Hype um das Thema Web 2.0, aber das wird sich nur bei den grossen börsennotierten Firmen bemerkbar machen», erklärte Analyst Tom Bittman vom Marktforscher Gartner. Vom Web-2.0-Trend dürften seiner Meinung nach vor allem Unternehmen wie Google und Yahoo profitieren. Auch der Softwaregigant Microsoft ist ein Nutzniesser. «Der Hype geht dieses Mal am Kleinanleger vorbei», so Bittman. Die Schlacht schlagen derzeit vor allem die Private-Equity-Firmen und Venture-Capital-Gesellschaften, die in den USA dieses Jahr bereits 400 Millionen Dollar in die neuen Firmen des Web 2.0 investiert haben – immer in der Hoffnung, die nächste MySpace oder YouTube zu finden. Später treten dann die «Big Boys» als Akquisiteure derjenigen Firmen auf den Plan, die eine kritische Grösse erreicht haben. Auch Analyst Mark May von der Investmentbank Needham & Company rechnet nicht damit, dass die neuen Internetfirmen ihr Geld über die Börse einsammeln werden. «Die Grossen haben schon vorher die Besten abgefischt.»

Die Start-ups von heute gehen oft weniger naiv ans Werk als ihre Vorgänger Ende der Neunziger: «Viele Entrepreneurs haben Erfahrungen aus dem ersten New-Economy-Hype und wissen jetzt, wie es besser geht», sagt G. Oliver Young von Forrester Research. Mit 100 000 Dollar lasse sich derzeit schon eine Menge erreichen: Neue Internetfirmen kosten heute weniger als noch 1999. Erstens ist die Technik billiger geworden, zweitens erledigen im interaktiven Web 2.0 die Nutzer viel von der Arbeit, welche die Websites attraktiv macht. Drittens sind die Bezahlsysteme besser geworden, und die Online-Werbung wächst. Darum lässt sich schneller Geld verdienen.

Die neue Ära des Mitmach-Internets stellt die traditionellen Online-Konzerne freilich vor neue Herausforderungen. Richard Rosenblatt glaubt, dass das Web 2.0 zu einer Umsatzverschiebung innerhalb des Internetmarktes und auch zu einer gewissen Kannibalisierung traditioneller Internetdienste führen wird. Deshalb tun die Internetveteranen alles, um bei der Entwicklung vorne mit dabei zu sein. Denn: «Das Web 2.0 wird sich am Ende auf wenige grosse Internetunternehmen konzentrieren», ist sich auch Tim O’Reilly, Erfinder des Begriffs Web 2.0, sicher. Entsprechend suchen Google, Yahoo, Microsoft, Ebay oder Amazon händeringend nach Wegen, um auf den Trend aufzuspringen – und sich parallel dazu neue Vertriebs- und Verdienstkanäle zu öffnen.

E-Commerce-Platzhirsch Amazon etwa kündigte soeben an, mit dem Majorlabel EMI über seine Plattform künftig Musikdownloads zu verkaufen. Und das gänzlich ohne verbraucherfeindliche Kopierbeschränkungen. Zugleich will Amazon künftig Dienste wie Lagerung, Verpackung oder Versand auch anderen Web-Händlern anbieten, ob die Waren nun über Google oder gar über den alten Erzrivalen Ebay an den Kunden gebracht werden. Das Online-Auktionshaus Ebay und Google vereinbarten schon letztes Jahr eine Werbepartnerschaft für den internationalen Markt ausserhalb der USA. Im Prinzip soll immer dann, wenn eine Ebay-Suche nach einem Produkt kein Ergebnis erzielt, ein entsprechendes Angebot von Google-Partnern durch den Suchmaschinenbetreiber bereitgestellt werden. Auf dem US-Markt ist Yahoo der Ebay-Partner.

Mit der Übernahme von DoubleClick ist Google ein ganz besonderes Kunststück gelungen: Der Internetkonzern hat ausgerechnet den Rivalen Microsoft dazu gebracht, sich an die US-Kartellbehörden zu wenden – mit dem Vorwurf, der Kauf des Online-Werbevermarkters durch Google schränke den Wettbewerb ein. Google hat es sich offenbar zum Ziel gesetzt, den Werbemarkt grundsätzlich zu verändern. Bislang verdient der Konzern sein Geld vor allem mit Textanzeigen. Mit DoubleClick stösst Google nun weiter in den Markt für grafische Werbung auf Websites vor, welche die Hälfte des gesamten Werbemarkts im Internet ausmacht.

Und vielleicht ist es diesmal doch nicht wieder dieselbe Geschichte, wie William Faulkner einst meinte: Denn die Geschäftsmodelle scheinen heute auf solideren Füssen zu stehen als damals.