Sein Flug von Kuba dauerte über zwölf Stunden, doch bei Jeremy Weir ist von Müdigkeit keine Spur. Der CEO von Trafigura empfängt uns in den Besprechungsräumen des Rohstoffriesen in Genf. Mit ihrer noblen Einrichtung würden diese auch zu einer Privatbank passen. Diskret und zurückgezogen wie früher Banken agieren auch Rohstoffhändler, und die Kritik an ihren Geschäften wird lauter. Jeremy Weir stellt sich der Kritik und wirbt dafür, dass sich seine Branche endlich öffnen müsse.

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Herr Weir, Sie kommen gerade aus Kuba, wo Sie Ihre neue Blei- und Zinkmine inspizierten. Sind Sie noch sicher, davon profitieren zu können, denn der neue US-Präsident Donald Trump droht ja, Kuba wieder isolieren zu wollen?
Kuba hat viele Jahre unter einem Sanktionsregime gelebt, und wir haben stets alle internationalen Regeln befolgt. Derzeit sehe ich nicht, was unser Investment in Kuba in Zweifel ziehen könnte, das überdies das bisher grösste Engagement eines ausländischen Investors in dem Land darstellt.

Trump proklamiert «America First», und weltweit sind die Kräfte, die dem Freihandel feindlich gegenüberstehen, auf dem Vormarsch. Das kann 
Sie doch nicht kaltlassen?
Wir sind ein international agierender Rohstoffhändler mit 100 Milliarden Dollar Umsatz, zwei Drittel davon entfallen auf den Handel mit Öl, der Rest auf den Metallhandel. Unsere Margen sind sehr klein, wir müssen deshalb agil sein. Handelsbeschränkungen sind sicher nicht gut für den internationalen Warenverkehr. Sollten solche jedoch aufgebaut werden, passen wir uns an. In unserem Geschäft gewinnt der Agilste, nicht der Grösste.

Auch in der Schweiz nehmen die politischen Unsicherheiten zu. So wird die sogenannte Konzernverantwortungs-Initiative an die Urnen kommen, die vorsieht, dass international tätige Konzerne wie Trafigura in der Schweiz für Verfehlungen im Ausland haften sollen. Was 
würde denn die Annahme für Sie bedeuten?
Ich möchte vorausschicken, dass wir in Bezug auf die Achtung der Umwelt- und Menschenrechtsstandards schon eine Menge machen, worüber wir jetzt jährlich in unserem Nachhaltigkeitsbericht Rechenschaft ablegen. Trafigura war zum Beispiel einer der ersten Rohstoffhändler, die sich freiwillig der Extractive Industries Transparency Initiative angeschlossen haben. Wir weisen also aus, was wir für Öl- und Gaslieferungen an staatliche Unternehmen im Ausland zahlen. Wir sind für Transparenz, aber die Initiative ist der falsche Weg dazu. Denn sie verfolgt unrealistische Ziele. Die wegen der Initiative nötigen Monitoring- und Berichtspflichten würden gerade mittelständische Unternehmen mit Auslandsaktivitäten überfordern. Ich halte die Initiative daher für zu ideologisch.

Aber zielt die Initiative nicht vor allem auf Ihre Branche? Denn seit Jahren werfen Nichtregierungsorganisationen wie Public Eye Unternehmen wie Trafigura oder Glencore vor, rohstoffreiche Länder auf Kosten der Bevölkerung auszuplündern. Fangen Sie nicht reichlich spät an, sich zu öffnen?
Schauen Sie, unsere Firma ist keine 25 Jahre alt, wir sind enorm gewachsen und haben jetzt eine Grösse erreicht, die uns verpflichtet, offener zu sein, keine Frage. Wir suchen den Dialog, mit Regierungen, mit Regulatoren und natürlich auch der Bevölkerung. Ich halte Offenheit und Transparenz für einen Geschäftsvorteil, wir machen das nicht, weil wir müssen, sondern weil wir glauben, dass es uns nützt. Banken zum Beispiel ermutigen uns, diesen Weg zu gehen.

Aber die Branche insgesamt hinkt in Sachen Transparenz doch noch hinterher, oder nicht?
Jedes Unternehmen muss für sich selbst entscheiden, wie weit es hier gehen will.

Aber es droht doch, dass Sie in Sippenhaft genommen werden. Laut einer Studie der Uni Zürich hat der Rohstoffsektor von allen untersuchten 17 Branchen die mieseste Reputation. Ist Ihnen das egal?
Nein, und wir versuchen das ja auch zu ändern. Ich bin zum Beispiel davon überzeugt, dass der Grossteil der Bevölkerung nicht genau versteht, was wir eigentlich machen. Dass Händler wie wir eine wichtige Mittlerfunktion haben, damit die Wirtschaft mit Rohstoffen versorgt wird. In einer Broschüre erklären wir unser Geschäft und beteiligen uns mit Weissbüchern an den Debatten mit Regierungen und Regulatoren.

Das ist ja alles ganz nett, aber der Durchschnitts-Schweizer wird kaum Ihre Diskussionspapiere lesen. Und am Ende sind es die Stimmbürger, die über die Annahme der Konzernverantwortungs-Initiative zu entscheiden haben.
Wir stellen uns der Debatte, daher führe ich ja auch das Interview mit Ihnen. Zudem besprechen wir mit anderen Unternehmen der Branche Aspekte der praktischen Umsetzung der Uno-Prinzipien für Menschenrechte und Umweltschutz durch internationale Rohstoffunternehmen wie Trafigura. Mehr Details möchte ich dazu noch nicht verraten, aber wir arbeiten daran.

Den Glauben an den eigenen Branchenverband, 
die Swiss Trading and Shipping Association 
(STSA), haben Sie offenbar verloren. Dort sind 
Sie ausgetreten.
In der STSA sind zahlreiche Rohstoffakteure zusammengeschlossen, kleine wie grosse. Wir befanden, dass die STSA unsere Interessen nicht angemessen vertrete. Denn wir setzen uns für mehr Transparenz und Dialog ein, viele STSA-Mitglieder zogen da nicht mit uns an einem Strick, also haben wir die Konsequenzen gezogen.

Masseneinwanderungs-Initiative, Ablehnung der Unternehmenssteuerreform, die Konzernverantwortungs-Initiative: Stellt diese Initiativenflut nicht eine Gefahr für den Standort dar?
Wir sehen die Häufung dieser Initiativen schon mit einiger Sorge. Bis zum heutigen Tag halten wir die Rahmenbedingungen in der Schweiz nach wie vor für attraktiv. Aber es stimmt, das ist nicht in Stein gemeisselt. Sollten sich die Rahmenbedingungen stark verändern, so müssten wir unsere Präsenz in der Schweiz überdenken.

Was würde Sie denn aus dem Land treiben?
Ein wichtiger Punkt ist die Regulierung. Die Regeln für unser Geschäft in der Schweiz sind absolut vergleichbar mit jenen in anderen Ländern, das halte ich für sehr vernünftig. Sollte sich das ändern, müssten wir neu nachdenken.

Sie sind der erste CEO, der sich nicht über die Schweizer Regulierung beschwert.
Gute Regulierung ist wichtig, gegen schlechte Regeln müssen wir uns wehren. So haben wir uns dagegen gewehrt, dass die EU uns wie Banken behandelt und wir Eigenkapitalregeln unterworfen werden.

Warum haben Sie denn Ihren Konzernsitz 2012 aus der Schweiz nach Singapur verlegt?
Der Hauptgrund ist ganz einfach, dass wir dem Geschäft gefolgt sind. Unser Hauptmarkt ist heute Asien. In unserem Metallgeschäft machen wir zum Beispiel rund die Hälfte unserer Umsätze mit Kunden aus der Region. Wir wollen nahe an den Kunden sein, daher zogen wir nach Singapur. In Genf haben wir aber weiterhin einen grossen Standort mit Handel, insgesamt arbeiten ungefähr 500 Menschen hier.

Und wo arbeiten Sie die meiste Zeit?
In den vergangenen drei Wochen war ich vielleicht drei Tage hier in Genf, meine Familie lebt hier, aber ich bin 80 Prozent meiner Zeit auf Reisen und verbringe auch recht viel Zeit in Singapur.

Reden wir über das Geschäft: Trafigura pflegt gute Beziehungen zum russischen Ölriesen Rosneft. Doch nun hat sich Glencore zusammen mit Katar direkt ins Kapital von Rosneft eingekauft. Werden Sie von Glencore im Kampf um Rosnefts Öl verdrängt?
Rosneft ist ein wichtiger Kunde, aber ein Kunde von vielen. Es stimmt, wir haben in der vergangenen Zeit unser Geschäft mit Rosneft stark ausbauen können. Glencores Einstieg ins Kapital von Rosneft sorgt mich aber nicht. Derjenige, der Rosneft den besseren Service und mehr Wert bei der Vermarktung von Öl bietet, bekommt den Deal.

Fürchten Sie nicht, dass Glencore-Chef Ivan Glasenberg seine Beteiligung nutzen wird, um sein Geschäft mit Rosneft auszubauen – zulasten von Trafigura?
Dann müsste das BP ja auch tun, denn der Konzern ist seit längerem Grossaktionär von Rosneft und verfügt über eineeigene Ölhandelssparte. Doch trotz der Präsenz von BP im Kapital von Rosneft konnten wir unseren Anteil an der Vermarktung von Rosnefts Öl steigern. Ich sehe also nicht den von Ihnen unterstellten Zusammenhang zwischen der Aktionärsstruktur Rosnefts und dem Vermarkter von deren Öl. Zudem haben wir an der Seite Rosnefts eine grosse Investition in Indien beim Raffineriekonzern Essar getätigt ...

... die Ihnen die Tür zum indischen Markt öffnen soll. Was haben Sie eigentlich für den Anteil von 24,5 Prozent an Essar bezahlt?
Unsere Eigenkapitalbeteiligung ist auf 320 Millionen Dollar begrenzt, der Rest wird über Darlehen finanziert, die über die Einnahmen aus dem Essar-Geschäft zurückgezahlt werden.

Und was ist dann der Gesamtpreis?
Das kommentieren wir nicht.

Die Essar-Beteiligung ist Ihr erster grosser Deal 
als CEO. 2014 übernahmen Sie die Leitung vom Gründer Claude Dauphin. Der Konzern war stark auf ihn ausgerichtet. Wie schwer war es, in seine Fussstapfen zu treten?
Ich war zuvor schon 16 Jahre bei Trafigura. Claude war nicht nur mein Mentor, sondern auch ein guter Freund. Sicher, er hat Trafigura und die Kultur massgeblich geprägt, wir haben flache Hierarchien und sind als Partnerschaft organisiert, ein Börsengang kommt für uns daher nicht in Frage. Claude hat vor seinem Tod 2015 die Stabübergabe sehr gut organisiert und mich in jedes Detail eingearbeitet.

Ein Börsengang ist also kein Thema?
Nein. Wir wollen ein Unternehmen bleiben, das auf dem Prinzip der Partnerschaft beruht. Das ist Teil unserer Kultur. Ein Börsengang würde uns auch nichts bringen. Unsere Expansionspläne können wir aus eigener Kraft oder mit Banken finanzieren. Und wenn einer unserer 600 Aktionäre ausscheiden will, dann kauft Trafigura die Stücke zurück, zum Buchwert. Auch dafür brauchen wir kein Geld von der Börse.

Ein Börsengang würde Sie und Ihre Partner mit einem Schlag reich machen. Lockt Sie das nicht?
Es geht uns nicht darum, das schnelle Geld zu machen. Wir wollen eine Eigentümerstruktur bewahren, die es ermöglicht, das Unternehmen mit langfristigem Horizont zu entwickeln, und bei der die Interessen von Management und Eigentümern gleichgerichtet sind. Unsere Topleute sind erfahren darin, Risiken zu managen, da Aktien einen wichtigen Teil ihrer Bezahlung ausmachen. Sie wissen, dass bei ihrer täglichen Arbeit auch ihr eigenes Vermögen auf dem Spiel steht.

Und was ist mit den Aktien von Claude Dauphin passiert? Ihm gehörten doch 20 Prozent an Trafigura?
Dauphins Aktien werden schrittweise von Trafigura zurückgekauft. Sonst besitzt niemand einen so grossen Anteil an der Firma.

Claude Dauphin hat aus dem Nichts einen 
100-Milliarden-Konzern aufgebaut. Was ist Ihre Ambition? Wollen Sie die Nummer eins werden?
Ich halte es nicht für so wichtig, die Nummer eins oder zwei zu sein. Es kommt auf die Performance an. Sicher, wir wollen weiter wachsen, aber nicht um des Wachstums willen. Auch die Profitabilität soll steigen. Wenn wir unseren Kunden den besten Service bieten, dann wächst das Geschäft automatisch.

Welche Rolle spielen Zukäufe?
Wir sind weiter offen für Beteiligungen, so haben wir uns vor kurzem an einer Mine in Finnland beteiligt. Der Grossteil unseres Investmentprogramms ist aber abgearbeitet. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren insgesamt mehr als fünf Milliarden Dollar investiert, und unsere Beteiligungen sollen erst einmal Ertrag abwerfen, bevor wir den nächsten grossen Investitionszyklus angehen.

Zunächst müssen Sie Ihre Verschuldung senken. Müssen Sie dazu Beteiligungen wieder abstossen?
Nein, dieses Problem haben wir nicht. Unser bereinigtes Verhältnis von Schulden zu Eigenkapital lag vergangenes Jahr bei 1,48. Diesen Wert wollen wir im Laufe der Zeit auf eins senken. Das werden wir aber mit dem eigenen Cashflow erreichen.

Von dem Aufbau einer eigenen Minensparte wie Glencore halten Sie also nichts?
Wir bleiben ein Rohstoffhändler. Rohstoffhandel und -förderung sind zwei sehr unterschiedliche Geschäfte. Uns fehlt schlichtweg das Know-how, eine eigene gross angelegte Rohstoffförderung zu führen.

Wie ist Ihre Bindung zur Schweiz? Wollen Sie die Staatsbürgerschaft annehmen?
Ja, das überlege ich mir ernsthaft. Meine Kinder haben sie bereits beantragt. Ich selbst habe die britische und die australische Staatsbürgerschaft.

 

Holger Alich
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