Der Liberalisierungsprozess des britischen Energiemarktes begann 1990: Die Stromerzeugung wurde von Verteilung und Versorgung getrennt, die öffentlichen regionalen Elektrizitätsversorger wurden privatisiert. Gleichzeitig wurde ein neues Grosshandelsenergieabkommen, der Pool, in England und Wales eingeführt.

Damit öffnete sich der Elektrizitätsmarkt dem Wettbewerb: Angebot und Nachfrage sollten die Preise bestimmen. Die Verbraucher konnten ihren Lieferanten nach Leistung und Angebot beurteilen, gleichzeitig aber gingen Stromerzeuger, Netzbetreiber, Händler und Verkäufer in immer kürzeren Perioden neue Geschäftsbeziehungen ein – es entstand ein nicht durchschaubares Dickicht.

Die Umstrukturierungen bei den grossen Elektrizitätsgesellschaften National Power und PowerGen veränderten die Dynamik und Struktur des britischen Energiemarktes nachhaltig und gaben den Independent Power Producers (IPP) neue Geschäftsmöglichkeiten. National Power wurde im letzten Jahr in International Power und Innogy aufgespaltet, während PowerGen im Frühjahr sehr wahrscheinlich zusammen mit East Midlands Electricity an die deutsche E.on gehen wird.

Wettbewerb soll in Gang kommen
Das Pool-System wurde viel kritisiert, weil die Erzeuger die Preise bestimmten. Das folgende New Electricity Trading Agreement (Neta) gilt seit März 2001 und soll den stecken gebliebenen Wettbewerb wieder in Gang bringen. Unter Neta können Energielieferanten und -kunden mit den Erzeugern frühzeitig über ihren Bedarf verhandeln, ohne die Vermittlung einer koordinierenden Zentrale. Erzeuger, Lieferanten und Konsumenten schliessen im Zeitraum von drei bis zu einer halben Stunde vor Bedarf bilaterale Verträge ab, um Erzeugung und Verbrauch in Einklang zu bringen. Dem folgt ein zusätzlicher Ausgleichsmechanismus, bei dem nur die Transmissionsgesellschaft National Grid den vereinbarten Energiehandel akzeptieren kann, um etwaige Beschränkungen des Systems zu beseitigen und Erzeugung und Konsum auszugleichen. Es gibt also zwei Schritte, an denen die Verbraucher beteiligt sind.

Im Hinblick auf das Klimaschutzprotokoll von Kyoto wollte die britische Regierung den Anteil von Renewables, der Energie aus erneuerbaren Quellen (einschliesslich grosser Wasserkraftanlagen), bis 2010 auf zehn Prozent steigern. Dazu wurde ein neues Gesetz verabschiedet, das die Energieversorger unter Steuervergünstigungen zum Ankauf von Renewables verpflichtet. Gleichzeitig aber ist es schwierig, Baugenehmigungen für derartige Anlagen zu erhalten, besonders Standorte für Windkraftwerke sind kaum zu finden.

Zusätzlich sollten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) zehn Prozent (35 bis 40 TWh) der Stromversorgung bis 2010 stellen. Die Intention der Labour-Regierung, die Emission der Treibhausgase auf die international vereinbarten Werte zu reduzieren, machte weitere Massnahmen der Gas- und Stromversorger nötig. Aus Interesse an sauberer und sicherer Energie wird weiterhin generell Gas gegenüber anderen Primärbrennstoffen bevorzugt. Unter anderem sollen Stadtwerke und andere regionale Versorger veranlasst werden, die älteren Kraftwerke von Öl- und Kohlefeuerung auf erdgasbasierte KWK-Systeme umzustellen.

Experten schätzen, dass der Gasverbrauch in Grossbritannien bis 2010 um zwanzig Prozent steigen wird, dann aber nur noch um jährlich drei Prozent; die Gaspreise würden sich ständig erhöhen. Der Grossteil dieses Wachstums werde durch KWK-Anlagen von IPP und den führenden unabhängigen Erzeugern aus den USA, wie InterGen, Enron und Entergy, zusammen mit den kleineren einheimischen Spielern wie RPG erzielt werden.

Innogy ist heute mit einer Kraftwerkskapazität von 8000 Megawatt und drei Millionen Kunden der grösste Player im UK-Markt. Vor wenigen Monaten kaufte Innogy die Yorkshire Electricity und übernahm anschliessend auch die Kunden von Northern Electricity. Innogy, bekannt unter dem Brand «npower», will in den nächsten fünf Jahren fünf Millionen neue Gas- und Stromkunden gewinnen.

Inzwischen hat die anfängliche Jagd auf Kunden zur Konsolidierung des Marktes geführt, was sich zuerst in dem umstrittenen Ankauf von London Electricity und dem Energieversorger Sweb im Südwesten Englands durch Electricité de France bemerkbar machte. Der französische Monopolversorger zählt damit zu den führenden Energielieferanten der Insel mit einem Marktanteil von zwölf Prozent. London/Sweb, Scottish and Southern Energy, Eastern und Scottish Power kontrollieren ihrerseits fast die Hälfte des britischen Marktes.

Centrica entstand aus der Auflösung von British Gas und verliert seit dem Verlust des Monopols in der Gasversorgung wöchentlich noch immer 10000 Gaskunden. Das Unternehmen konnte aber erfolgreich in den Elektrizitätsmarkt eintreten und ist hier heute der zweitgrösste Player. 50000 Stromkunden wechseln jede Woche zu Centrica, im Jahr 2003 werden insgesamt sieben Millionen Kunden erwartet, was einem Marktanteil von rund 25 Prozent entspräche. Im übrigen Europa zielt Centrica auf weitere fünf Millionen Kunden bis 2005. Anfang des Jahres 2001 kaufte das Unternehmen einen Anteil von 50 Prozent an der belgischen Luminus-Energiegruppe und erhielt so 595 000 neue Elektrizitäts- und 166 000 Gaskunden.

Strom aus dem Versandhauskatalog
Auf der Insel kommt es zu ungewohnten Koalitionen. So plant beispielsweise das britische Argos-Versandhaus Strom und Gas in sein Angebot aufzunehmen und hat mit Energieversorgern Kontakt aufgenommen; ähnlich wie die Virgin-Gruppe Energy, die mit London Electricity kooperiert und derzeit wöchentlich 12000 neue Kunden gewinnt. John Neilson, Managing Director bei der Aufsichtsbehörde Ofgem, sagte kürzlich auf einer Konferenz: «Insgesamt 100000 Haushalte in Grossbritannien wechseln jede Woche ihren Elektrizitätsversorger, dies sind 6,9 Prozent mehr als im letzten Jahr.» Bis jetzt haben 7,81 Millionen Haushalte – 27,4 Prozent – einen neuen Elektrizitätsversorger.

Für das neue Energiehandelssystem hatte Eileen Marshall, die Direktorin von Ofgem, einen Einbruch der Preise um mindestens 10 Prozent vorausgesagt, doch die Grosshandelspreise sind seit März gegenüber dem Vorjahreszeitraum sogar bis zu 25 Prozent gefallen. Besonders industrielle Kunden zeigten sich über diese Entwicklung erfreut: «Wir haben gesagt, dass Neta uns bessere Angebote machen wird, und das wurde bewiesen», kommentierte ein Vertreter der Energy Intensive User Group. Andere dagegen zeigen sich weniger überzeugt: «Die Wintermonate, wenn die Nachfrage am grössten ist, könnten kritisch werden», meinte der Major Energy Users’ Council. Ausserdem ist zu beachten, dass vor der Einführung des neuen Systems Anfang 2000 die Preise schon um 10 Prozent gefallen waren und von Ofgem berücksichtigt werden, wenn Netas Ergebnisse mit dem Vorjahr verglichen werden.

Ökologische Ziele sind gefährdet
Die Preise kleinerer Erzeuger, einschliesslich der Renewables und der KWK-Produzenten, lagen im Durchschnitt 17 Prozent unter dem Niveau des letzten Jahres. Dabei sind ihre Kosten um 16 Prozent gestiegen, einschliesslich einer Erhöhung der Brennstoffkosten um 14 Prozent. Dies ergab eine Umfrage von Ofgem, an der sich 40 der 106 angesprochenen kleineren Erzeuger beteiligten. Ihre Stromerzeugung ist 2001 gegenüber dem Vorjahr um 44 Prozent gefallen. Besonders betroffen waren Renewables und KWK-Anlagen.

Die fallenden Preise bei den kleineren Erzeugern, von denen sich viele auf Renewables spezialisiert haben, bedrohen das erklärte Ziel, schädliche Emissionen substanziell zu reduzieren. Callum McCarthy, der Leiter von Ofgem, kommentierte offensichtlich ernüchtert: «Im Hinblick auf die Preisreduzierungen sollte die Regierung untersuchen, ob das Ziel für erneuerbare Energien innerhalb der jetzt vorgeschlagenen Subventionen erreicht werden kann.» David Green, Direktor des KWK-Verbandes, fügte hinzu: «Ofgem hat unsere Bedenken bestätigt: Neta steht im Widerspruch zu dem Ziel eines nachhaltigen Energieverbrauchs.»

Im letzten August wurde klar, dass die britische Regierung ihr Zwischenziel für den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch bis 2003 von fünf auf drei Prozent reduziert hat. «A Greener Britain», wie der Energieminister es will, wird noch etwas länger dauern.



Die Liberalisierung des britischen Elektrizitätsmarktes
1983 Electricity Act: Independent Power Producers bekommen Zugang zum Versorgungsnetz.

1989 Electricity Act: Das ehemalige Central Electricity Generating Board wird umstrukturiert in zwei Energieerzeuger (National Power und PowerGen), eine Transmissionsgesellschaft (National Grid) und ein Verteilernetz, das aus zwölf regionalen Elektrizitätsgesellschaften besteht.

1990 Die ersten Stromversorger werden versteigert. Ein neues Grosshandelsenergieabkommen, das Pool, wird in England und Wales eingeführt. Industrielle Kunden mit mehr als einer Megawattstunde jährlichen Verbrauchs können auf dem freien Markt einkaufen.

1991 National Power und PowerGen gehen an die Börse, müssen Strom aber weiterhin direkt an den Pool verkaufen.

1993 Die Regulierbehörde der Elektrizitätsindustrie beschränkt die von National Grid gesetzten Preise.

1994 Die Regulierbehörde veröffentlicht den ersten Bericht über Elektrizitätspreise und fordert einen Preisstopp für die nächsten zwei Jahre. National Power und PowerGen müssen 6000 MW Erzeugungskapazität (15 Prozent ihrer Gesamtkapazität) verkaufen. Die Elektrizitätsbehörde veröffentlicht fünf weitere Berichte, die eine Senkung der Verbraucherpreise fordern.

1995 Die Elektrizitätsgesellschaften müssen ihre Anteile an National Grid verkaufen; es entsteht die börsennotierte National Grid Company. Die ersten ausländischen Versorger kommen in den britischen Markt. Der US-Erzeuger Mission Energy kaufte First Hydro von National Grid.

1998 Der Elektrizitätsmarkt ist voll privatisiert, und alle britischen Haushalte können ihren Versorger frei wählen.

2000 Seit dem New Electricity Trading Agreement (Neta) können Stromlieferanten und -kunden direkt mit den Stromerzeugern über ihren Bedarf verhandeln. Die Strompreise fallen nach offiziellen Angaben bis zu 25 Prozent. Mit dem Utility Act werden Stromtransport und -verteilung getrennt.
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