Bilanz: Wolfgang Joop, wir sitzen in einem Showroom in Paris. Sie haben ihn gemietet, um Ihre Kollektion für den nächsten Sommer zu präsentieren. Wie läuft das Geschäft?

Wolfgang Joop: Ich bin nun zum fünften Mal in Folge hier, um meine Kollektion zu zeigen. Ich bin sehr zufrieden, das kommt gut an.

Sie betreiben viel Aufwand. Was kostet das alles?

Zwischen einer halben und einer ganzen Million.

Und das rechnet sich?

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Wir verkaufen gut und steigern jährlich unseren Umsatz. Der Gewinn steigt nicht so rasant, denn wir haben viele Investitionen.

Heisst das, dass Sie mit Ihrer Marke Wunderkind bisher kein Geld verdient haben?

Nein, das stimmt natürlich nicht. Wir haben viel Geld verdient, aber die Kosten zur Erstellung der Kollektion sind enorm.

Die Bluse hier am Ständer kostet 2000 Euro, das Kleidchen dort drüben 3500 – und Sie beklagen sich?

Ich bitte Sie, das ist reine Mathematik. Diese Couture ist in ihrer Herstellung so aufwendig, da wird manchmal zwei Monate lang an einem Kleid gearbeitet, und dann wird es am Ende fünfmal verkauft in vier Grössen. Wenn ein Kleid bei Wunderkind 3500 Euro kostet, ist der Gewinn am Ende unverhältnismässig geringer.

Wovon leben Sie denn?

Vom Ersparten und von dem, was ich sonst noch bewege.

Was wäre das?

Ich hatte immer einen sehr guten Instinkt für Kunst und nur das gekauft, was mir gefallen hat, ohne auf das Geschwafel von Galeristen zu hören. Und siehe da, ich besitze heute Werke, die ich für viel Geld verkaufen kann. Ich muss alles vorfinanzieren.

Was haben Sie für ein Verhältnis zu Geld?

Es ist ein Tauschmittel. Mehr nicht.

Und zu Banken und Bankern?

Dieses Verhältnis ist ähnlich wie das zu meinem Zahnarzt. Ich ertrage den Schmerz.

Sie schwimmen nicht im Geld, und dennoch möchten Sie gern die bankrotte Unterwäschemarke Schiesser übernehmen. Warum?

Nicht ich will die Firma Schiesser übernehmen, sondern eine Investorengruppe, der ich zur Seite stehe. Ich habe viel gelernt und gehe heute den Weg des radikalen Unternehmers. Ich kann rechnen, habe aber trotzdem noch Visionen.

Wie weit sind Ihre Übernahmepläne gediehen?

Ich kann nicht viel sagen, ohne mir selbst zu schaden. Dass mein Interesse an Schiesser publik wurde, hat andere auf den Plan gerufen, weil die denken, dass sie vielleicht auch mal genauer hinschauen sollten, wenn ich da was sehe.

Und was sehen Sie?

Ich sehe eine Firma mit unglaublichem Know-how und dem wichtigen Sinn für Tradition.

Warum tun Sie sich das alles an? Sie hatten in den achtziger Jahren mit der Marke Joop weltweit Erfolg, verkauften und gingen 2001 im Streit. Sie waren reich und alt genug, um in Rente zu gehen.

Es gibt verschiedene Gründe. Einmal liebe ich das Experiment. Dann empfinde ich es als Privileg und Luxus, etwas erarbeiten zu dürfen, ein Ziel zu haben, auch wenn da keine Belohnung winkt. Und ich wollte es einfach nochmals wissen. Bei Joop wurde ich in eine Semi-Sportswear-Ecke gedrückt, dabei bin ich doch exzentrisch, ein Bohème. Kleidung zu machen, ist meine Profession, nicht mein Hobby. Dafür habe ich jetzt Wunderkind. Aber ehrlich, da wo ich jetzt bin, wollte ich gar nie hin. Eigentlich wollte ich mir mit Wunderkind 2003 nur noch einen Traum erfüllen und ein schwarzes Spitzenkleid entwerfen – und fertig. Das Spitzenkleid habe ich gemacht, doch aufhören konnte ich nicht.

Beobachten Sie, was bei Joop geht?

Nein. Ich habe damit abgeschlossen. Die neuen Besitzer sind zwar geschäftstüchtig bis zur Gnadenlosigkeit, aber ich fühle mich nicht beleidigt von dem, was dort passiert.

Wie kamen Sie auf den Namen Wunderkind?

Der Begriff sprang mir 1991 in New York ins Auge, und er rührte mich an. Ich dachte sogleich, den behalte ich für mich, und habe ihn heimlich – ich war ja damals noch bei Joop – schützen lassen. Mehr als zehn Jahre später, 2003, machte ich das Spitzenkleid, heute mache ich jede Saison mehr.

Was davon entwerfen Sie selber?

Alles, vom Stoffmuster über die Schnitte bis zu den Accessoires. Ich arbeite allein, ohne Berater, ohne Stylisten. Und ich bin stolz darauf.

Werden Sie dafür gar bewundert?

Es kommt langsam. Aber ich hatte es nicht leicht am Anfang. Vor allem Wolfgang Joop war mir im Weg. Der hatte schon eine Karriere gemacht und viel Geld. Mich wollte man nicht unterstützen und noch reicher machen. Aber ich schlage mich gut, das Geschäft wächst.

Wie gross ist es denn schon?

Ich habe etwa 50 Mitarbeiter und vier Läden, in Berlin, London, auf Sylt und ... Mehr mag ich nicht bekanntgeben.

Haben Sie eine Vision für Wunderkind?

Ich habe der Marke bewusst einen Namen gegeben, der nicht direkt an mich gebunden ist. Wunderkind soll sich eines Tages von mir abnabeln und ohne mich existieren können. Und das soll sich auch auszahlen.

Könnte Wunderkind überleben, wenn Sie heute sterben würden?

Ich denke, dafür ist es noch etwas zu früh.

Wie lautet Ihre Strategie?

Ausdehnung. Wir werden zum Beispiel behutsam das Geschäft mit Lizenzen ausbauen. Bis jetzt hatten wir eine gute Hand: Unsere Wunderkind-Pflegelinie, eine Lizenz, die wir schon 2003 vergeben haben, gibt es immer noch.

Was machen Sie besser als andere?

Passion, Präzision, Eigenständigkeit. Ich habe alles Bling-Bling und diese schrecklichen It-Sachen vermieden.

Ein Seitenhieb gegen Gucci, die nun unter der Finanzkrise zu leiden hat? Wie steht es um die Luxusindustrie?

Es steht so schlecht, wie es in den Jahren zuvor gut stand. Die meisten haben überbordet, übermütig über ihre Verhältnisse gelebt, statt Handwerk und Qualität wurde der Faktor Trend gepflegt mit der Folge, dass Mode allgegenwärtig geworden ist. Das Problem: Wenn alles Mode ist, ist nichts mehr Mode. Es wird sicher noch einige Pleiten geben. Die Krise zwingt die ganze Industrie dazu, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren, und das braucht Profil.

Bekommt Luxus neue Inhalte?

Was landläufig als Luxus bezeichnet wird, hatte damit rein gar nichts zu tun, und der Begriff des demokratisierten Luxus ist eine verbale Perversion. Luxus bleibt, was er immer war: etwas Nachhaltiges, etwas, das knapp ist und dem ein Sehnsuchtsfaktor innewohnt.

Wie haben Sie die Finanzkrise erlebt?

Ich war so in mein Experiment vertieft, dass ich erst mit der Zeit realisierte, dass das keine Krise ist, die einfach vorbeigeht, sondern ein Wandel. Was ich nun sehe, sind Leute, die sich intensiv mit Reparaturarbeiten beschäftigen, wie unsere Politiker: Sie pumpen Milliarden in die Rettung von Automobilunternehmen und grossen Banken – aber was wird denn da eigentlich gerettet?

Sie selbst berührt die Wirtschaftskrise nicht?

Doch, und wie! Ich kam in den letzten zwölf Monaten emotional und finanziell an meine Grenzen. Zur Finanzkrise hinzu kamen Lebens- und Selbstfindungskrisen, in meinem Umfeld gingen reihenweise Beziehungen zu Ende, auch meine. Aber ich habe weitergemacht, in meiner Biografie hat es schon viele Brüche gegeben, jeder hat wehgetan. Doch steckt nicht in jeder grossen Biografie auch ein grosser Schmerz? Für mich als Designer ist mein Zeitgefühl eine Quelle der Inspiration: Über die Sommerkollektion 2009 setzte ich den Titel «Power and Poverty». Dahinter steckte meine Erfahrung, wie viel Kraft im Mangel liegt. Den Titel habe ich aus der Überzeugung heraus gewählt, dass eine neue Zeit anbricht – das Ende der Hochglanzmagazinfrauen.

Das Ende von wem?

Von diesen digitalen Figuren, die am Computer geglättet, gestreckt, gebleacht werden. Wenn ich solche Sachen sehe, denke ich, dass das alles Modefallen sind, in die auch noch die letzte Konsumentin gelockt wird. Mode verhüllt nicht, sondern enthüllt – den Designer, die Trägerin. Ich will mit all dem nichts zu tun haben. Wunderkind sehe ich weniger als Mode denn als eine Haltung. «Power and Poverty» ist eine absolut eigenständige Kollektion geworden, die sehr ergonomisch wirkt, ein bisschen japanisch, leise, dunkel. Und ich verteilte überall Schmetterlinge, als Zeichen der Metamorphose.

Wen haben Sie im Kopf, wenn Sie entwerfen?

Niemand Bestimmtes.

Macht es Sie glücklich, Frauenkleider zu entwerfen?

Ehrlich gesagt interessiert mich das gar nicht.

Wie bitte?

Kleider sind für mich das Ausdrucksmittel, mit dem ich am besten zeigen kann, was in mir steckt. Sie sind mehr Mittel zum Zweck als Ziel. Ich schreibe pro Saison einen Stummfilm mit einem Titel. Die Kollektion, die Sie hier sehen, heisst beispielsweise «Hurt and Heal» («Verletze und heile»). Wenn ich das Skript habe, ziehe ich die Protagonisten so an, dass sie die Geschichte erzählen können, stumm. Die Kleider sagen den Text. Diesmal habe ich mit feinsten Stoffen gearbeitet, die sich bei jedem Windhauch bewegen, und mit Brüchen: kleinen durchbrochenen Seidengeflechten, zerrissenen Gardinen, Schmuck aus zerbrechlichem Porzellan. Das sieht alles sehr unbemüht aus, ist aber schwer herzustellen.

Sie haben erstmals auch Männermode dabei. Warum?

Ich will auch mal etwas für mich haben. Es begann mich zu nerven, dass ich so viel von mir in Kleider steckte und dann selber gar nichts damit anfangen konnte. Die Musterteile aus der Männerkollektion passen mir nun alle, ohne dass ich den Bauch einziehen muss.

Anders als bei Joop sind Sie bei Wunderkind nicht nur Designer, sondern auch Inhaber und CEO. Wie führen Sie Ihr Unternehmen?

Mit zwei Seelen in der Brust. Oben im Atelier bin ich der Designer, eine Etage tiefer der Buchhalter. Ich kalkuliere, rechne, zähle, denn mir ist bewusst, dass ich es damit sehr genau nehmen muss, wenn ich Erfolg haben will. Und das will ich, nur schon wegen all der Schadenfreude, die mir im Fall eines Scheiterns entgegenschlagen würde. Doch die Rechnerei hängt mir manchmal zum Hals heraus. Ich bin 2003 nach einer grossen Karriere, nach einem kosmopolitischen und steuerfreien Leben nach Deutschland zurückgekehrt. Da musste ich Dinge lernen, etwa die Bedeutung von Sonderbetriebsvermögen. Ich habe die Firma in meinem eigenen Haus untergebracht und dann irgendwann einmal erfahren, dass man mir nicht nur meine Lagerbestände und meine Kasse wegnähme, wenn ich die Rechnungen nicht bezahlen würde, sondern auch mein Haus und alles, was mir sonst noch gehört.

Andere würden das wohl eher als blauäugig bezeichnen.

Das sagte mein Firmenanwalt auch.

Wolfgang Joop (64) hat in den achtziger Jahren mit seiner Marke Joop weltweit Erfolge gefeiert. Nach internen Querelen verkaufte er seine Marke an die deutsche Wünsche AG und zog sich wenig später aus dem Modegeschäft zurück nach New York, wo er schauspielerte und ein Buch schrieb. Seit 2003 ist er zurück in seiner Heimatstadt Potsdam und zurück in der Modewelt: mit Wunderkind, Mode in der obersten Preisklasse.

Iris Kuhn Spogat
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