Vor langer, langer Zeit, in den fetten späten Neunzigern war Zigarrenrauchen einmal furchtbar trendy. Mann wünschte sich einen Humidor zum Geburtstag, jede schicke Bar eröffnete eine Smoking Lounge und spielte die Musik des Buena Vista Social Club. Diese Zeiten sind vorbei, und die wahren Zigarrenraucher, die am liebsten allein zu Hause dem blauen Dunst huldigen, freuen sich, dass die guten Havannas in meist anständiger Qualität wieder lieferbar sind. Das echte, wahre Zigarrenrauchen, das gelernt sein will, ist kein trend-taugliches Hobby, aber auch keine Sucht wie das Zigarettenrauchen. Es ist, wie die Ureinwohner Amerikas schon vor Jahrtausenden erkannt haben, ein spirituelles Ritual, eine Passion, wobei die dadurch erreichbaren Glücksmomente bei weitem für die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken und finanziellen Entbehrungen entschädigen.

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100 bis 500 Franken für eine Zigarre

Verbunden durch diese für Aussenstehende unverständliche Intensität der Erfahrung, formen die obsessiven Konsumenten der Nicotiana-Tabacum-Pflanze eine internationale Bruderschaft, in der man statt mit Freimaurerhändedruck mit Rauchzeichen kommuniziert. Einer dieser ehrenwerten Brüder im Orden der Aficionados ist Brian Ebbesen, Senior Specialist im Wine Department des Auktionshauses Christie’s. Der gebürtige Däne, der seit 15 Jahren für Christie’s in London tätig ist, organisierte 1999 die erste Auktion für Vintage Cigars, das heisst korrekt gelagerte Zigarren aus den letzten 50 Jahren, die unter Sammlern heiss begehrt sind. «Ich hatte mich persönlich schon seit längerer Zeit für Zigarren interessiert und war mir sicher, das es für gut gelagerte, rare Havannas einen Markt geben würde», erzählt er bei einem Glas Portwein und einer dreijährigen Bolivar Robusto im Smoking Room des Londoner Travellers Club, einer 1819 vom Duke of Wellington mitbegründeten Bastion des britischen Establishments. «Das Resultat der ersten Auktion übertraf alle Erwartungen. Es stellte sich heraus, das es weltweit rund 50 bis 100 Aficionados gibt, die bereit sind, für besonders gute oder besonders rare Zigarren umgerechnet zwischen 100 und 500 Franken pro Stück zu bezahlen.»

Anzünden gleich nach der Auktion

Besonders begehrt sind limitierte Sondereditionen, die nie im Laden erhältlich waren, sowie die Havannas der Firmen Davidoff und Dunhill, die beide seit Ende der Achtzigerjahre nicht mehr in Kuba produzieren. Die höchsten Preise erzielten jedoch Zigarren aus dem vorrevolutionären Kuba, das heisst Jahrgänge vor 1959. Ob so alte Zigarren überhaupt noch rauchbar sind, ist umstritten, denn wie beim Wein lässt sich nur ein geringer Teil länger als zehn Jahre lagern, bevor die Qualität langsam abnimmt und am Ende nur noch silberner Rauch ohne Aroma vorhanden ist. Dennoch wurden für drei vorrevolutionäre Zigarren vom Typ Partagas Lusitania in der originalen Verpackung bei Christie’s London im Dezember 2001 3300 Pfund, pro Stück also über 2500 Franken inklusive Kommission bezahlt. «Ob diese Zigarren inzwischen geraucht worden sind, weiss ich nicht, doch es ist erstaunlich, wie viele unserer Kunden mit der Schachtel unter dem Arm aus der Auktion direkt in die nächste Bar spazieren und sich eine Zigarre anzünden», sagt Brian Ebbesen.

Zu seinen Stammkunden gehört auch ein Honkong-Chinese um die Fünfundzwanzig, der im letzten Jahr für über 100 000 Franken Zigarren ersteigert hat.

Auktionen und Infos
Die nächste Wein- und Zigarrenauktionen bei Christie’s:
13. November 2003 in London;
16. November 2003 in Genf.


Christie’s-Zigarrenexperte Brian Ebbesen:
bebbesen@christies.com



www.christies.com

Humidorraum mit Privatkino

Solch gute Kunden werden natürlich mit persönlicher Betreuung belohnt. Viele der Sammler wünschen den persönlichen Kontakt und sind sehr erpicht darauf, die Experten mit ihren Schätzen und den spektakulären Humidorräumen, in denen sie liegen, zu beeindrucken: «Ein Herr, der am Genfersee wohnt, hat gleich zwei riesige begehbare Humidore in seinem neuen Haus eingerichtet, und ein Kunde in den USA besitzt einen Humidorraum mit intergriertem Privatkino.» Wer als nichtrauchender Erbe in Grossvaters Humidor ein paar alte Havannas findet, sollte besser genau hinschauen, bevor er sie weiterverschenkt. Während unseres Aufenthalts im Travellers Club trafen wir nämlich zufälligerweise auf einen ehemaligen kanadischen Diplomaten, der einst von Fidel Castro persönlich mit einer Kiste Zigarren beschenkt worden war. Statt sie wie ursprünglich geplant an Freunde zu verteilen, hat er sie nach einem Besuch bei Brian Ebbesen vor einem Jahr bei Christie’s versteigern lassen. Das Kistchen wechselte für stolze 2800 Pfund, also über 6000 Franken, den Besitzer.

Jann Schwarz lebt als freier Autor in England und in der Schweiz.