Alan Greenspan macht ein ratloses Gesicht. Tiefe Falten ziehen sich über seine Stirn, in seinen Augen liegt ein Ausdruck der Resignation. Seit Juni 2004 hat der oberste Währungshüter der USA die kurzfristigen Zinsen um zwei Prozent angehoben. «Gewöhnlich führt eine Leitzinserhöhung auch zu einem Anstieg der Renditen für langfristige Anleihen», erklärt Greenspan vor dem Wirtschaftsausschuss des US-Kongresses. Dass die Zinsen am langen Ende dennoch fallen und fallen, sei ihm selbst ein Rätsel.

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Mit seiner Ratlosigkeit steht der Chef der US-Notenbank (Fed) nicht alleine da. Zahlreiche Erklärungsversuche werden geliefert, doch sie bleiben wenig überzeugend. Während die kurzfristigen Zinsen von den Zentralbanken gesteuert werden, spiegeln die Renditen am langen Ende die Erwartungen der Marktteilnehmer wider, und die sind offensichtlich düster. In der Tat sind die Konjunkturdaten für Nordamerika sehr wechselhaft, doch für das zweite Halbjahr erwarten die Auguren mehrheitlich eine Beschleunigung des Wachstumsmotors. Spätestens dann wird sich das Blatt wenden, und die Renditen für US-Staatsanleihen werden von ihren Tiefständen zurückkommen.

Auch in der Schweiz raufen sich die Zinsexperten die Haare und suchen nach Erklärungen für das gegenwärtige Zinsphänomen. «Was die Zinsprognosen angeht, sind die Experten am Rande der Kapitulation», sagt Willy Hautle, Leiter Anlagestrategie bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB). Die heutige Zinssituation gab es in der Vergangenheit nicht, sie stimmt nicht mit den alten Mustern überein. Seit zwei Jahren warnen die Banken ihre Kunden vor einem Zinsanstieg und einem Kursverfall an den Obligationenmärkten. Passiert ist das Gegenteil, die Zinsen sind nochmals gefallen, die Kurse der Obligationen klettern auf neue Höchststände. «Wir fragen uns, was wir übersehen haben, welche Indizien wir nicht erkannt haben», gesteht Hautle.

Wenn alle theoretischen Modelle versagen, dann bewegen oft irrationale Gründe den Markt. So sind bis heute viele Anleger von der Aktienbaisse traumatisiert und scheuen jedes Risiko. Daher sind sie bereit, Anleihen auch zu unattraktiven Renditen zu kaufen. Eine besondere Rolle spielen zudem institutionelle Investoren wie Versicherungen und Pensionskassen, deren Risikofähigkeit in den letzten Jahren erheblich abgenommen hat. Anlagerichtlinien zwingen sie, in Obligationen zu investieren. Diese enorme Nachfrage nach Sicherheit treibt die Renditen für Langläufer weiter in den Keller.

Inzwischen gibt es aber zahlreiche Aktien, die höhere Dividenden offerieren als die Verzinsung von Staatsanleihen. Hinzu kommt, dass die Aktienmärkte derzeit weniger den Konjunkturpessimismus widerspiegeln und recht gut performen. Den Marktteilnehmern wird das auf Dauer nicht entgehen, und die irrational hohe Obligationennachfrage könnte zu Gunsten von Aktienkäufen nachlassen.

Es gibt einen zweiten Nachfrage-Effekt, der speziell Staatsanleihen aus Nordamerika stützt. Bereits seit mehreren Quartalen lässt sich ein enormer Kapitalzufluss in US-Staatsanleihen beobachten. Dieser ist vor allem asiatischen Zentralbanken zuzuschreiben, die ihre Dollarreserven aufgebaut haben. Inzwischen sind viele Marktbeobachter skeptisch, ob diese Akkumulation noch lange anhalten wird. Eine Abkopplung vom Dollar und ein massiver Abbau von Währungsreserven würden die langfristigen Zinsen in den USA steigen lassen.

Ein Anstieg der Zinsen wird kommen, das steht ausser Frage. Doch er wird nicht explosionsartig sein und ist auch nicht morgen zu erwarten. Es besteht kein Grund zur Panik, aber eine gute Portion Vorsicht ist durchaus angebracht. Da Obligationen mit längeren Laufzeiten besonders sensibel auf Zinsänderungen reagieren, sollten Anleger auf Papiere mit kurzer Fristigkeit setzen. Das haben die Experten schon länger geraten, und obwohl niemand genau weiss, wann die Zinsen steigen werden, glauben alle an höhere Sätze. Unklar ist, wann dies passiert. In den USA stehen weitere Anhebungen der Leitzinsen auf dem Plan. Bis Ende 2005 erwarten Experten noch drei Zinsschritte von je 25 Prozentpunkten. US-Staatsanleihen sollte man daher vorerst von den Einkaufslisten streichen. Wer nicht auf die Staatspapiere verzichten möchte, sollte in so genannte Floating-Rate-Notes investieren. Bei diesen Titeln passen sich die Zinsen kurzfristig an.

Weder von der Europäischen Zentralbank noch von der schweizerischen Notenbank sind in diesem Jahr noch Zinserhöhungen zu erwarten. In der Eurozone rechtfertigt die schwache konjunkturelle Lage in Deutschland, Italien und den Niederlanden so einen Schritt nicht. Die Leitzinsen verharren im Euroraum bereits seit drei Jahren bei zwei Prozent. Und auch im kommenden Jahr ist eher mit kleinen Zinskorrekturen als mit einer massiven Anhebung zu rechnen. Für die Schweiz heisst es: Mitgegangen, mitgefangen. Auf Grund der Exportabhängigkeit vom übrigen Europa trübt die dortige Wachstumsschwäche auch hierzulande die Aussichten ein. Eidgenossen und Obligationen aus der Eurozone sollten daher gegenüber amerikanischen Anleihen übergewichtet werden.

Wer auf Nummer sicher gehen will, der sollte mit seinem Engagement in Zinspapiere allerdings noch warten, bis die Zinsen wieder etwas gestiegen sind, um unnötige Kursverluste zu vermeiden. Risikofreudige Anleger können allenfalls versuchen, noch über Währungseffekte Gewinne zu erzielen. Dabei gelten die norwegische Krone, der kanadische Dollar, die türkische Lira und der polnische Zloty als attraktive Anlagemöglichkeiten. In diesen Währungen locken teilweise höhere Zinsen, dazu kommen mögliche Währungsaufwertungen.