In den Kinderschuhen stecke die Digitalisierung in der Versicherungs- und Versicherungsbrokerbranche, wie Jon Samuel Plotke, CEO von Assepro, meint. Noch härter drückt es Rolf Thomas Jufer aus, der bei Funk Insurance Brokers Mitglied der Geschäftsleitung, Partner und verantwortlich für die Markt- und Unternehmensentwicklung ist: «Was die Zusammenarbeit der Broker mit den Versicherungsunternehmen betrifft, so kann der Digitalisierungsgrad der Prozesse in einer Skala von 1 bis 10 mit etwa 2 beurteilt werden. Die Versicherungsgesellschaften scheinen schlicht andere Prioritäten zu haben als zusammen mit den Brokern für die gemeinsamen Kunden digitale Prozesse zu forcieren. Leider.»

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Als heterogen beurteilt Guido Blum, Mitglied der Geschäftsleitung von Hesse & Partner a Gallagher Company, die Situation bei den Versicherern. «Einzelne Versicherer bieten keine elektronischen Schnittstellen an, andere bieten eine elektronische Anbindung an, aber wir treffen auf unterschiedlichste Daten. Die Kunden jedoch verlangen nach digitalen Dienstleistungen, besonders die grösseren Kunden wünschen ein Kundenportal mit den wichtigsten Vertragsdokumenten.»

Auch bei den Brokern selbst sei die Situation sehr heterogen, wie Christian Leder, Chief Commercial Officer von Aon Schweiz, urteilt. «So bestehen beispielsweise für das Privatkundengeschäft bei vielen Anbietern gut entwickelte Lösungen, klassische Broker haben ein grosses Aufholpotenzial.» Gleichzeitig setzen Startups auf die Digitalisierung im Versicherungsmarkt und bieten den Brokern ihre Dienste an. Der Grund für die geringe Digitalisierung der Branche ist für Christian Leder von Aon auch in der schweizerischen Marktstruktur mit vielen kleinen Brokern zu sehen, deren finanzielle Möglichkeiten von den Herausforderungen der Digitalisierung gesprengt werden. 

Abhängig von Kooperation der Versicherern

Die Situation der gesamten Branche anzuprangern ist jedoch einfacher, als vor respektive in diesem Falle hinter der eigenen Tür zu wischen. Digital am Ball zu bleiben, bedinge stete Weiterentwicklung und damit auch Kosten, wie Christian Kessler, Managing Partner von Kessler & Co, ausführt. Kessler hat in den vergangenen Jahren in die Digitalisierung von administrativen Prozessen investiert, «denn der Kunde ist in Zukunft nicht mehr willig, die administrativen Arbeitsleistungen zu bezahlen». Ausserdem habe das Unternehmen auch eine digitale Checkliste entwickelt, welche eine Einschätzung der wichtigsten versicherbaren Risiken der Kunden ermöglicht. In den Bereichen Big Data und Data Analytics profitiert Kessler als Schweizer Partner von Marsh vom weltweit tätigen Marsh-Network. Für kleinere Kunden bietet Kessler mit sogenannten Blue-Line-Lösungen automatisierte Versicherungsabschlüsse an. Zum Austausch mit den Versicherern arbeitet Kessler mit der vom Verein IG B2B initiierten Plattform EcoHub zusammen. 

Die Plattform EcoHub wird von verschiedenen Brokern, Versicherern und Softwareherstellern getragen, nebst Kessler arbeiten auch Assepro, Aon und Hesse & Partner damit. Damit haben die Broker Zugriff auf die Brokerplattformen der Versicherer und Zugang zu Daten ihrer Kunden wie Versicherungspolicen, Schadenrendements oder Prämienrechnungen – sofern die Versicherer die Daten zugänglich machen. Die Broker sind also von der Kooperation der Versicherer abhängig. 

Apps On Demand

Nicht möglich über die Plattform EcoHub ist, dass Broker direkt auf Produkte der Versicherer zugreifen und einen Vertragsabschluss mit ihren Kunden initiieren können. Hier scheint eine sogenannte Chinesische Mauer zu stehen, was zur Folge hat, dass die Versicherungsprozesse zwischen den Partnern Versicherer, Broker und Kunde nicht schnittstellenfrei funktionieren. 

Umso aktiver sind die Broker mit verschiedenen Plattformen unterwegs. Die meisten bieten für ihre Kunden eine eigene Plattform an, damit diese Zugriff auf ihr Versicherungsportfolio haben, wie etwa Assepro mit dem Portal Assepro.online, Kessler mit KesslerOnline oder Aon mit AonLine. Dies werde von den Kunden gewünscht und gehöre heute zum Standard eines Brokers, ist Jon Samuel Plotke von Assepro überzeugt. Aon beispielsweise bindet auch die Mitarbeiter ihrer grossen Unternehmenskunden mit einer Plattform ein, wo diese ihre Privatversicherungen abschliessen können. Und Funk arbeitet an einer Lösung, damit die Kunden in Zukunft nicht nur Zugriff auf ihre Versicherungsdaten haben, sondern auch mit verschiedenen Applikationen On Demand ihre Risiken besser managen können. Gleichzeitig treiben die befragten Versicherungsbroker die Digitalisierung der eigenen Prozesse und damit die Effizienzsteigerung voran.

Prozesse digitalisieren

Eine grosse Herausforderung für die Broker ist die Vereinbarkeit von digitalisierten und deshalb oft standardisierten Versicherungsabschlüssen und ihrer Kernkompetenz, nämlich der Beratung im Risikomanagement und dem Angebot von massgeschneiderten Lösungen. Daran arbeitet auch Hesse & Partner, die mit der Plattform iSure Produkte anbieten, die auf Algorithmen basieren. «Wir arbeiten noch daran, individuelle Lösungen anbieten zu können», meint Guido Blum. «Wir stehen erst am Beginn der Nutzung von iSure. Der grosse Vorteil ist hingegen, dass wir die Versicherungsprodukte ohne Wartezeit unseren Kunden zur Verfügung stellen können, was mit anderen Angeboten aufgrund der fehlenden oder ungenügenden Schnittstellen nicht der Fall ist.» 

Der Blick in die Zukunft zeigt ein einheitliches Bild: Zur Effizienzsteigerung und um die administrativen Kosten zu senken, müssen die eigenen Prozesse digitalisiert werden. Im Privatkundenbereich werden sich zumeist digitale Lösungen durchsetzen. Also an all den Stellen, wo der Mensch keinen Mehrwert bringe, wie es Christian Kessler auf den Punkt bringt. «Grosskunden mit höherem Risikomanagementaufwand benötigen weiterhin Beratung. Um diese optimal anzubieten, sind allerdings Datensammlungen wichtig», fügt Guido Blum von Hesse & Partner an. Sein Wunsch für die Zukunft ist deshalb nebst gesetzlichen Rahmenbedingungen, welche die Digitalisierung ermöglichen, eine offene Zusammenarbeit mit Versicherern, um mit den Kunden und Brokern innovative digitale Lösungen umzusetzen. 

Konsolidierung in der Branche

Einheitliche Schnittstellen und eine ebensolche Datenarchitektur erachtet Jon Samuel Plotke von Assepro als notwendig für die künftige Entwicklung, einfachere und intuitive digitale Lösungen schweben Christian Leder von Aon vor. Kollektive Lösungen im Datentransfer mit den Versicherungsgesellschaften sieht Rolf Thomas Jufer von Funk als richtungsweisend. «Im Brokermarkt wird sich digital getrieben die Spreu definitiv vom Weizen trennen», meint er. Mit einem hybriden Betreuungsansatz, nämlich einem klaren persönlichen Ansprechpartner kombiniert mit digitalen Tools, sollen die Kunden befriedigt werden. Die digitalen Hilfsmittel wiederum verlangen nach einem genügend grossen Datensatz, um die Qualität des Algorithmus sicherzustellen, was wiederum die Konsolidierung in der Branche fördert. Gleichzeitig wird sich vor dem Hintergrund eines hybriden Betreuungsansatzes der Beruf des Brokers weiter verändern – anspruchsvoller, abwechslungsreicher, spannender und attraktiver. Damit die Situation auch für die Kunden attraktiver wird, müssen zuerst die Schnittstellen zwischen den Versicherungsprodukten, Brokern und Kunden einheitlicher und durchlässiger werden. 

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