Seit dem 18. Juni 2023 und dem deutlichen Ja des Schweizer Stimmvolkes ist klar, dass die Schweiz bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden soll. Um dieses Ziel zu erreichen, plant der Bund Massnahmen: Der Ersatz von Öl-, Gas- und Elektroheizungen mit klimaschonenden Varianten soll mit 2 Milliarden Franken unterstützt werden. Die Industrie und das Gewerbe, welche innovative Technologien zur klimaschonenden Produktion einsetzen, sollen von Fördermitteln in der Höhe von 1,2 Milliarden Franken profitieren. Das ist der Kern des «Bundesgesetzes über die Ziele im Klimaschutz, die Innovation und die Stärkung der Energiesicherheit».

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Weit mehr als Klimaschutz

Viele Unternehmen haben das Thema 2023 ganz oben auf die Agenda gesetzt. Das Zusammenspiel von Risikomanagement, Versicherung und Nachhaltigkeit wird dabei immer relevanter. Denn Nachhaltigkeit ist weit mehr als Klimaschutz. Sie umfasst drei Dimensionen: Environment, Social und Governance (ESG), also Umweltschutz, Soziales und eine verantwortungsbewusste Unternehmensführung. Unternehmen, die ESG-Kriterien vernachlässigen, setzen sich regulatorischen Risiken aus und gefährden ihre Reputation.

Der Autor

Rolf Th. Jufer, Partner und GL-Mitglied, Funk Gruppe

Versicherer mit Potenzial

In der Versicherungsbranche stellen sich bereits viele Anbieter nachhaltiger auf. Sie überdenken ihre Anlagestrategie und setzen sich mit den Auswirkungen von mehr Nachhaltigkeit auf das Portfolio von Kunden und Kundinnen auseinander. Teilweise steigen sie aus dem Geschäft mit Firmen aus, die einen negativen Beitrag zur Klimakrise leisten oder aufgrund von ESG-Kriterien problembehaftet sind. Das betrifft zum Beispiel Unternehmen, die fossile Energieträger wie Erdöl fördern oder Kohle abbauen, zur Energiegewinnung nutzen oder mit diesen Produkten im grossen Stil Handel betreiben. Es ist nicht auszuschliessen, dass diese Branchen Teile ihres Risikos mittelfristig selber tragen müssen, weil der Versicherungsschutz nicht verlängert wird. Es liegt auf der Hand, dass sich die betroffenen Unternehmen nicht über Nacht zu ESG-Musterknaben entwickeln können. In solchen Situationen können gut konzipierte Eigentragungsmodelle eine sinnvolle Überbrückung sein.

Kosten belasten Versicherer

Naturkatastrophen häufen sich, und dieser Trend wird sich wegen des Klimawandels weiter verstärken. Der «Funk Global Risk Consensus», der massgebliche Risikostudien neutral konsolidiert, listet die extremen Wetterereignisse 2023 auf Rang fünf der globalen Toprisiken für Unternehmen. Extremwetterereignisse verursachten 2022 weltweit wirtschaftliche Schäden von 275 Milliarden Dollar, wovon 125 Milliarden durch Versicherungen gedeckt waren. Diese Kosten belasten die Versicherer und werden künftig wohl noch ansteigen. Es ist davon auszugehen, dass sich daher auch die Preise für eine diesbezügliche Versicherungsdeckung weiter erhöhen und dass zu einem späteren Zeitpunkt ausgewählte Rück- und Erstversicherer auch diesen Markt meiden werden. Folglich werden Unternehmen das entsprechende Risiko massgeblich selber tragen müssen. Intelligentes Risikomanagement und kreative Lösungen mit alternativen Deckungskonzepten oder parametrischen Ansätzen sind dann gefragt.

Nachhaltigkeit birgt neue Risiken

Die Anforderungen und Standards rund um ESG steigen in vielen Bereichen an. Das kann zu sogenannten neuen ESG-Risiken führen, welche die Unternehmen berücksichtigen sollten. Neue Gesetze wirken sich zum Beispiel auf die Haftpflichtversicherung aus. So hat etwa der Diesel-Skandal gezeigt, dass nicht nur das Risiko von Personen- oder Sachschäden zu Rückrufverpflichtungen führen, sondern auch Verstösse gegen Umweltnormen.

Das Lieferkettensorgfaltspflichten-Gesetz, das in Deutschland, dem zweitgrössten Handelspartner der Schweiz, seit dem 1. Januar 2023 in Kraft ist, soll Menschenrechte schützen – hier geht es also um den sozialen Aspekt der Nachhaltigkeit. Direkt oder indirekt hat dieses Gesetz bereits Auswirkungen auf gewisse Schweizer Firmen. Auch die EU hat verschiedene neue ESG-Richtlinien verabschiedet. Elemente der am 29. November 2020 am Ständemehr gescheiterten Konzernverantwortungsinitiative werden so bereits zur ernst zu nehmenden Praxis für international tätige Schweizer Unternehmen. Diese Rahmenbedingungen können sich auf die D&O-(Organhaftpflicht)- sowie auf die Rechtsschutzversicherung betroffener Unternehmen auswirken.

Gebäude und Anlagen umrüsten

Bei der regelmässigen Überprüfung des Versicherungsschutzes gehören ESG-Themen auf die Checkliste. Wenn Unternehmen zum Beispiel Gebäude und Anlagen umrüsten, um grüne Energie zu produzieren oder zu nutzen, können neue Risiken entstehen. Bauen sie etwa Photovoltaikanlagen aufs Firmengelände oder stellen E-Ladesäulen für elektrisch betriebene Fahrzeuge auf, müssen auch die Policen der Sach- oder Technischen Versicherung angepasst werden. Bei Jahres- und Strategiebesprechungen mit dem Risikoberater ist das ESG-Thema anzusprechen. Auch im Bereich der beruflichen Vorsorge hat sich Nachhaltigkeit zu einem der Topthemen entwickelt. Vorsorgeeinrichtungen suchen Investments inzwischen verstärkt nach Nachhaltigkeitskriterien aus.

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Nebst den relevanten technischen und finanziellen Aspekten müssen Vorsorgekommissionen bei der Wahl der Kasse nun auch das Kriterium der ESG-Tauglichkeit bewerten. Das macht das Auswahlprozedere nicht einfacher – aber nachhaltiger. Denn wenn knapp 1000 Milliarden Vorsorgegelder bewusster investiert werden, hat das durchaus eine Wirkung.