Versicherer galten noch vor wenigen Jahren als einigermassen rückständig, wenn es um die Digitalisierung ging: Die Kundinnen und Kunden konnten allenfalls einfache Policen online kaufen. Oft mussten sie die Verträge als PDF herunterladen und dann unterschrieben per Post an ihre Versicherungsgesellschaft schicken. 

Inzwischen hat die Branche deutlich aufgeholt. Bei einigen Themen wie den Immobilien- und Hypothekenplattformen gelten die schweizerischen Versicherer als Treiber. Zudem haben etliche Anbieter ihre Systeme erneuert und Startups hinzugekauft. Erste digitale Ökosysteme formieren sich – aus den vermeintlich wahllos zusammengekaufen Insur- und Proptechs entstehen nahtlose digitale Journeys. Baloise, Helvetia und Axa verfügen laut Industrieexperten über einen gewissen Vorsprung bei ihren Plattformen. Aber auch die anderen holen auf. Wobei insgesamt laut Branchenexperten noch «Luft nach oben» vorhanden ist: Die nahtlose Einbindung von Drittparteien, Verkauf via Dritte, die Nutzung von künstlicher Intelligenz und durchgängig digitalen Prozessen sind heute noch Ausnahmen.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Als sehr weit fortgeschritten gilt Swiss Re mit ihrer IptIQ-Plattform, die zunehmend auch von Banken für den Verkauf von Policen über ihre eignen digitalen Marktplätze genutzt wird. Swiss Re ist indes keine B2C-Gesellschaft – aber der Vorstoss in neue Geschäftsbereiche inklusive des indirekten Aufbaus eines Direktgeschäfts gehört hier zur Langfriststrategie. 

Abschlüsse: Fast alles ist online möglich

Online-Abschlussmöglichkeiten sind inzwischen fast überall Standard. Bei Simpego geht das laut CEO Patrick Eugster über alle Linien. Privatkunden können bei Zurich Schweiz mit der Ausnahme einiger kleiner Linien wie Schiff oder Aviation laut Zurich-Sprecher David Schaffner alle Policen online abschliessen. Die KMU-Kunden können über Zurich Business Insurance Sach-, Betriebshaftpflicht- und alle Personenversicherungen direkt online abschliessen. «Ab Mitte Mai ist auch unsere Cyberversicherung online erhältlich», so Schaffner.

Bei Helvetia sind komplett digitale Abschlüsse auch via Partnerunternehmen möglich. «Jüngstes Beispiel ist die Partnerschaft mit dem Autohersteller Polestar», sagt Helvetia-Sprecher Jonas Grossniklaus. «Dabei kann die Motorfahrzeugversicherung von Helvetia direkt über die digitale Verkaufsplattform von Polestar abgeschlossen werden. Damit ist Helvetia an der Stelle präsent, wo das Versicherungsbedürfnis entsteht.» Bei Smile ist ein Online-Direktabschluss ohne Unterschrift über alle Produkte möglich. 

«Die Kunden sind zunehmend hybrid und wollen zwischen Online- und Offline-Zugängen flexibel wechseln können. Genau dieses Kundenerlebnis ermöglichen wir», sagt etwa Hans-Peter Nehmer, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Allianz in der Schweiz. Nachdem hier das Privatkundengeschäft schon umgestellt wurde, sind jetzt die Firmenkunden dran. «Erfahrungsgemäss spielt im Unternehmenssegment persönliche Beratung eine wichtige Rolle. Unseren Beratungsprozess wollen wir insgesamt stärker digitalisieren und auch im Unternehmensgeschäft digitale Beratung ermöglichen», so Nehmer.

«Unsere Versicherten können online Policen kaufen, jedoch ist dies nicht in allen Linien möglich», sagt Axa-Sprecherin Joëlle Jeitler. Für Privatkunden ist das bei Sach- und Haftversicherungen (inklusive Reiseversicherungen), in der Gesundheitsvorsorge (Krankenzusatzversicherung) und neu im Bereich KMU möglich.

Bei Baloise ist der digitale Abschluss in einigen Bereichen wie Motorfahrzeuge, Reise, Rechtsschutz, Cyber, Ferien usw. möglich. «Die Gebäudeversicherung, Flottenversicherungen, Haft- und Sachdeckungen im KMU-Bereich bieten wir noch nicht digital an», sagt Baloise-Sprecherin Nicole Hess.

«Online-Angebote stehen in erster Linie im Privatkundensegment zur Verfügung, wobei wir im Begriff sind, unsere Produktpalette zu modernisieren und das digitale Angebot weiterzuentwickeln», sagt Mobiliar-Sprecherin Kim Allemann. Digital abschliessbar sind hier die gängigen Standard-Linien, Fahrrad-Kaskoversicherung, Cyberschutz-Versicherung und bei den Vorsorgeprodukten ist der Online-Abschluss für Todesfallversicherung möglich. 

Claims Management: Komplexität entscheidet 

Bei der Baloise ist die Schadenmeldung für alle Linien online möglich. Das Gleiche gilt auch für Simpego. «Aber man kann uns auch anrufen», sagt CEO Eugster. «Je nach Bereich haben Kunden im digitalen Prozess zusätzliche Möglichkeiten wie beispielsweise die Vereinbarung eines Termins am Help Point, den Upload von Dokumenten oder die Videoexpertise», sagt Zurich-Sprecher Schaffner. «Zurich arbeitet für alle Nichtleben-Schadenfälle papierlos, das heisst, sie empfängt und scannt auch physisch eingehende Dokumente. Die Komplexität eines Schadenfalls bestimmt, ob durchgehend eine digitale Bearbeitung möglich ist oder nicht.» 

Allianz hat bei den Schadenmeldungen auch ihre Geschäftspartner integriert. Dadurch werde laut der Gesellschaft die Customer Journey vereinfacht und Kunden profitieren von Mehrwerten der Geschäftspartner (z. B. Carglass und Netzwerk von Partnergaragen). Kranken- und Unfallschäden können zudem über eine Anbindung ans Sunet gemeldet werden. Für Privatkunden von Axa ist eine digitale Bearbeitung in allen Sach- und Haftversicherungen möglich. Im Unternehmenskundengeschäft können folgende Schäden online gemeldet werden: Krankheits- und Unfallmeldungen, Meldungen zu Sach- und Technikversicherungen sowie Anliegen, die die Betriebs- und Berufshaft betreffen. 

Helvetia verweist auf die Möglichkeit, Schadenmeldung auch via Chatbot abgeben zu können. Für die Transportversicherung verfügt Helvetia zudem über eine Schaden-App. «Mit dieser können Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer oder die Mitarbeitenden des Wareneingangs Transportschäden erfassen», erklärt Sprecher Grossniklaus. «Bilder, Videos und Sprachnachrichten lassen sich mitschicken und der Standort wird automatisch übermittelt.» Bei smile.health, smile.legal, smile.travel und smile.life kann der Anspruch digital gemeldet werden. Zum Teil müssen Dokumente physisch nachgeliefert werden.

Anpassungen und Kündigungen: Stillschweigen – und teilweise noch nicht möglich

Bei Simpego erfolgen Verlängerungen stillschweigend. «Kündigungen gehen digital, man schreibt uns einfach eine E-Mail», sagt CEO Eugster. Privatkunden von Zurich können digital per Online-Formular kündigen. «KMU-Kunden können nicht per Online-Formular kündigen, haben die Möglichkeit dazu aber per E-Mail oder Telefon», sagt Sprecher Schaffner.

Anpassungs-, Verlängerungswünsche und künftig auch Kündigungswünsche können bei der Allianz Suisse über das Online-Kundenportal eingegeben werden. Ausserdem können Kunden auf dem Kundenportal u. a. die Änderungen von Adressdaten und Bankverbindungen sowie einige Selfservices für Unternehmenskunden in den Sparten BVG, UVG und KKV nutzen. «Bei den Selfservices prüfen wir laufend, was den Kunden auf ihrer Journey einen Mehrwert bringt», so Allianz-Sprecher Nehmer.

Helvetia bietet aktuell keine digitalen Verlängerungs- und Kündigungsmöglichkeiten an. «Die Verlängerung einer Police findet bei Smile vollautomatisiert statt», sagt Sprecher Grossniklaus. «Auch eine Kündigung kann uns der Kunde digital melden. Hier braucht es aus rechtlicher Sicht aber noch eine Unterschrift als Anhang.» Verlängerungen rein digital zu beantragen, ist laut Axa-Sprecherin Jeitler nicht möglich, man bietet jedoch digitale Signaturmöglichkeiten zur Prozessvereinfachung an. Digitale Kündigungen können hingegen vorgenommen werden. Bei der Baloise verweist man auf die erneuten Abschlussmöglichkeiten für die klassischen Produkte, die jeweils stillschweigend um ein Jahr verlängert werden. Bei Policen mit «Ablaufdatum» (Ferienversicherung, Bauversicherung, Abredeversicherung) gibt es Verlängerungsmöglichkeiten. Kündigungen sind «schriftlich» möglich. 

Digitale Marktplätze: Die eigene Website ist (meistens) auch der eigene Marktplatz 

Die meisten Versicherungen sehen ihre Websites und Online-Auftritte als ihre Marktplätze an. Auch werden Produkte oft über Marktplätze weiterer Betreiber wie Comparis angeboten. Smile arbeitet mit der Neo-Bank Neon zusammen. «Für Startups bietet Zurich zusammen mit der UBS die Möglichkeit, sich online über alle obligatorischen und relevanten Versicherungs- und Bankprodukte effizient und einfach zu informieren sowie online die gewählten Produkte abzuschliessen», sagt Zurich-Sprecher Schaffner. 

Allianz Suisse verfolgt eine doppelte Marktplatz-Strategie: Einerseits können die Online-Besucher über die Websites mit wenigen Angaben eine erste Prämien-Indikation erhalten, Offerten anfragen oder direkt die Angebote erwerben. Auf der anderen Seite betrachtet man hier die Customer Jouney holistisch und hat daher mit den Partnern, beispielsweise mit den Autoimporteuren, Lösungen aufgebaut. Zudem ist man laut eigenen Angaben auf allen relevanten Plattformen mit Versicherungslösungen für Auto und Haushalt präsent. Axa bietet ihren Kunden eSales-Rechner, digitale Verwaltungsplattformen («myAXA») und eine Applikation für die digitale Offertenverwaltung mit Online-Abschlussmöglichkeiten an. 

Bei der Mobiliar dienen die Website und die Mobiliar-App als digitaler Marktplatz für Angebote wie zum Beispiel den digitalen Rechtsratgeber oder «Meine Sachen» (Digitale Aufbewahrung von Kaufquittungen). «Bei Produkten, die aktuell noch nicht online abgeschlossen werden können, ist es einfach möglich, eine Beratung oder Offerte über das Webformular zu beantragen», sagt Mobiliar-Sprecherin Allemann. «Unsere verschiedenen Produkte werden zudem auch über gängige Vergleichsdienste angeboten.»

Nächste Schritte: Ausbau, Ausbau, Ausbau

«Wir arbeiten stetig daran, unser Online-Angebot sowohl bzgl. Produkten als auch Services auszubauen und zu optimieren», sagt Allianz-Sprecher Nehmer. «Insgesamt möchten wir langfristig so viele Kontaktpunkte mit unseren Kunden wie möglich digital unterstützen, um unsere digitalen und hybriden Kundensegmente bestmöglich zu bedienen.» Die nächsten konkreten Schritte sind der Ausbau des Online-Zugangs, die Optimierung der bestehenden Online-Auftritte, um noch einfachere, ansprechende und intuitive Customer Journeys sicherzustellen, und die Erweiterung der Unterstützung des Beratungs- und Abschlussprozesses mit digitalen Anwendungen. 

Bei Axa verfolgt man einen Omnichannel-Ansatz. «Das heisst, wir offerieren unseren Kundinnen und Kunden immer den Kanal, welchen sie in der jeweiligen Situation präferieren, egal ob digital oder physisch», so Sprecherin Jeitler. Zu den Vorhaben gehört der Chatbot Ada, die Weiterentwicklung der Tools für die digitale Schadenmeldung, digitale Beratungstools, Transparenz über die drei Vorsorgesäulen über das Kundenportal, Anpassungsmöglichkeiten bei Vorsorgelösungen und die digitale Dokumentenzustellung.

Bei Baloise wurde kürzlich ein Sprachroboter für die Telefon-Hotline in Betrieb genommen, «der die sonst starre Auswahlstruktur ergänzt und die Kunden direkt nach ihrem Anliegen fragt», wie Sprecherin Hess erklärt. «So können die Kunden unmittelbar an die zuständige Stelle weitergeleitet werden, womit einerseits lange Wartezeiten für sie verhindert werden – anderseits bedeutet das für die Kundenbetreuerinnen und -betreuer eine effizientere Bearbeitung der Kundenanliegen.» 

«Aktuell erneuern wir unsere Produkte, Systeme und Prozesse in einem iterativen Vorgehen von Grund auf, um den stetig wachsenden Kundenanforderungen – gerade im Online-Bereich – auch künftig gerecht werden zu können», sagt Mobiliar-Sprecherin Allemann. «Als nächster Meilenstein steht die Lancierung unserer modernisierten Rechtsschutzversicherung mit einem einfachen und durchgängigen Angebot bevor.» 

«Die Digitalisierung der Kundenschnittstelle hat für Helvetia hohe Priorität», sagt Sprecher Grossniklaus. «Smile werden wir verstärkt als digitalen Lifestyle Brand positionieren. Dazu gehört zum einen der Ausbau als digitaler Commodity-Versicherer, mit einer einzigartigen digitalen Kundenerfahrung. Zum anderen die Erweiterung unseres Geschäftsmodells zum integrierten, digitalen Retail-Partner in Ökosystemen von Dritten.» 

«Zurich baut die digitalen Angebote laufend aus, um die Kunden schneller mit einfachen Interaktionen und massgeschneiderten Angeboten bedienen zu können», heisst es von Zurich. «Im Laufe des Jahres werden wir weitere Selfservice-Möglichkeiten anbieten wie beispielsweise das Aus- oder Abwählen von Deckungen.»