Der Wirtschaftsprozess rund um Ex-Raiffeisen-CEO Pierin Vincenz zeigt, wie risikoreich Entscheide von Managern und Managerinnen sein können. Für die Unternehmen selbst, aber auch für die Führungskräfte persönlich. Schutz dagegen bieten sollen sogenannte Directors-Versicherungen, die bei nicht-kriminellem Verhalten einspringen und für entstandene Kosten oder Rückforderungen aufkommen. Über so eine Versicherung verfügte auch Ex-Raiffeisen Boss Vincenz in seiner CEO-Rolle bei Raiffeisen. Sie könnte ihn theoretisch vor hohen Rückzahlungsforderungen bewahren. Diese – auch D&O-(Directors-and-Officers-)Versicherung genannt – schützt nämlich das Privatvermögen von Geschäftsleitung und Verwaltungsräten, sollte es zu Auseinandersetzungen kommen, bei denen die Entscheiderinnen oder Entscheider für Schäden verantwortlich gemacht werden. Klarerweise trifft das nicht zu, wenn die betreffende Person von einem Gericht verurteilt wurde, sondern nur, wenn ihm keine strafbaren Handlungen zur Last gelegt werden. 

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Nichtsdestotrotz ist der Schutz auch für kleinere und mittelgrosse Firmen inzwischen üblich und auch für Verwaltungsräte und Manager, die nicht auf CEO-Level sind, wie damals Pierin Vincenz. 

Wer verklagt werden kann:

Einzelne Manager

Am höchsten ist das Risiko, wegen einer Pflichtverletzung verklagt zu werden, für CEO, CFO, Präsidenten und Delegierte des Verwaltungs-rates sowie für Mitglieder von -Prüfungsausschüssen. 

Verwaltungsrat

Der Verwaltungsrat ist ein häufiges Ziel für Klagen von Aktionären oder Gläubigerinnen im Fall einer Insolvenz. Mögliche Vorwürfe: Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht, Überschreitung von Befugnissen und -Illoyalität. Von einer solchen Klage betroffen war beispielsweise der Verwaltungsrat der Bodensee--Arena. Ihm wurde vorgeworfen,
den Businessplan nicht eingehalten zu haben. Am Ende musste jedes
Mitglied dieses Verwaltungsrats 100 000 Franken berappen.

Weitere Organe einer Firma

Es gibt viele Arten von Organen. So zum Beispiel die Generalversammlung, den Verwaltungsrat, Liquida-toren, die Direktion und -weitere -Geschäftsführende. Mehrere Organe wurden etwa im Falle von Suter+-Suter verklagt. Diesen habe es an -Managementfähigkeiten gefehlt, wie einer der Vorwürfe in der Klageschrift lautet. Die Auseinandersetzung endete mit einer Vergleichs-zahlung von 11 Millionen Franken. 

 

Die Zurich Versicherung schreibt, ihre Versicherung übernehme «die Kosten für die Abwehr von Klagen und unbegründeten Forderungen sowie allfällige Entschädigungszahlungen» potenziell. Entsprechend der Höhe der möglichen Zahlungen verfügen heute fast alle börsenkotierten Unternehmen über eine solche D&O-Versicherung. Selbstverständlich erfolgen keine Zahlungen in Fällen von vorsätzlichem Vergehen. Hingegen greift die Versicherung, wenn eine Entscheidung mit der besten Absicht getroffen wurde und sich im Nachhinein als verheerend entpuppt.

Welche Schäden abgedeckt sind

In den letzten Jahren habe das Haftungsrisiko für Organe stark zugenommen, wie Markus Haefeli, Managing Partner beim Broker Haefeli & Schroeder Financial Lines, gegenüber «HZ Insurance» bereits im Oktober sagte. «Neuartige Risiken wie die Pandemie, Cyberattacken, die Digitalisierung, der Klimawandel oder der Datenschutz belasten das Topmanagement zusätzlich.» (Link zum Beitrag D&O-Marktverhärtung ist neue Realität). Zudem haben die Umsetzung des indirekten Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungsinitiative oder das revidierten Aktienrecht die regulatorischen Anforderungen und damit die Ansprüche an die Organe noch erhöht. 

«Der Organhaftpflichtversicherungsmarkt ist seit Jahren kontinuierlich am Wachsen», erklärt ein Sprecher der Axa. Während früher vor allem grössere Unternehmen eine D&O-Versicherung gekauft hätten, gehöre die D&O heute auch bei KMU zum Standard. «Seit Beginn der Pandemie stellen wir eine starke Zunahme an Offertanfragen und Abschlüssen fest.» Da die Schadensummen aufgrund des Grossschadenpotenzials stark vom Einzelfall abhängen und die Bearbeitung von Organhaftpflichtansprüchen meistens mehrere Jahre in Anspruch nehmen, ist eine Aussage zur Schadenentwicklung in diesem Sinne nicht möglich. 

Generell bestätigen Versicherer aber, dass eine Zunahme von Organhaftpflichtschadenfällen festgestellt wird. Sei es bei Grossfirmen, sei es bei KMU. Die Folge neuer Risiken ist, dass die Nachfrage nach Versicherungen, aber auch der Preis der Prämien steigt. Und die Versicherungsgesellschaften ihr Angebot ausbauen: Die Axa beispielsweise inkludiert in ihrer Organhaftpflichtversicherung die Versicherung der Reputationskosten. «Wenn das Ansehen oder der gute Ruf einer versicherten Person im Zuge eines Schadenfalls in der Öffentlichkeit nachweislich geschädigt wird, zahlt die Axa die Kosten für die Wiederherstellung von Ansehen und gutem Ruf.» Zusätzlich übernehme sie auch psychologische Beratungskosten.

Aber betreffen diese Fälle auch KMU? Ist für sie der Schutz durch eine extensive D&O-Versicherung, die beispielsweise auch Reputationsschäden abdeckt, tatsächlich nötig? «Die gesetzlichen Grundlagen der Organhaftpflicht sind für kleine, mittlere und grosse Unternehmen die gleichen. Gerade Unternehmensorgane von KMU werden in den letzten Jahren immer häufiger mit Haftungsklagen konfrontiert», schreibt die Axa. Entsprechend sollten sich Unternehmen jeglicher Grösse Gedanken machen. 

Vor allem sollten sich Unternehmen bereits präventiv mit dem Thema auseinandersetzen. Structuul, eine Beratungsfirma, die sich auf Präventionsprogramme spezialisiert hat, schreibt auf ihrer Website, dass sie Verwaltungsrätinnen und -räte sowie Geschäftsleitungsmitglieder «in Fällen von Non-Compliance, Wirtschaftskriminalität und Cyberkriminalität sowie bei den Herausforderungen rund um den Faktor Mensch und Führungsthemen» unterstützt. Dazu arbeitet sie mit Kunden Fallbeispiele durch, um sie bestmöglich auf Fälle vorzubereiten und mit ihnen Strukturen und Werkzeuge zu implementieren, die helfen, fehlerhaftem Verhalten vorzubeugen. Mögliche Unregelmässigkeiten können so schneller entdeckt und Entscheidungen mit verheerenden Folgen frühzeitig verhindert werden.

So viel zahlt man je nach Firmengrösse

In welchem Bereich sich die versicherte Summe und die Höhe der Prämien bewegen, kommunizieren die Versicherer nicht direkt. Gespräche mit Experten und Expertinnen zeigen aber die ungefähren – eher sehr konservativ geschätzten – Preislimiten: Bei kleineren Unternehmen sind Organklagen nicht sehr häufig, aber rechtlich gesehen leicht möglich. Nicht nur Aktionärinnen, sondern auch Lieferanten, Behörden oder im Konkursfall etwa auch Mitarbeitende sind zur Klage berechtigt. So ist zum Beispiel eine Haftungsklage wegen nicht bezahlter AHV-Beiträge durch einen ehemaligen Mitarbeiter im Konkursfall nicht selten. Schnell summieren sich dann hohe Beträge. Bei einer versicherten Summe von 5 Millionen Franken beträgt die jährliche Prämie für ein KMU etwa 2000 Franken. 

In grösseren Betrieben gehört die Organhaftpflichtversicherung neben einer Berufshaftpflichtversicherung meist zum Standard. Abgedeckt durch die Versicherung sind Haftungen für Vermögensschäden, die durch pflichtwidrige Handlungen oder Unterlassungen der Verwaltungsräte und -rätinnen entstehen. Auch die Verteidigungskosten werden durch die Versicherung abgedeckt. Bei einer versicherten Summe von 15 Millionen Franken beträgt die Prämie etwa 30 000 Franken. Noch höher sind die Prämien bei global tätigen Firmen. 

Es dürfte zudem keine international aktive Firma geben, die keine Organhaftpflichtversicherung abgeschlossen hat. Für börsenkotierte Firmen gibt es einen Prämienaufschlag. Wer an der US-Börse kotiert und damit besonders klagefreudigen Aktionärinnen und Aktionären ausgesetzt ist, zahlt einen US-Börsenaufschlag. Die Prämien richten sich nach individueller Risikoanalyse und sind nach oben offen. Bei einer versicherten Summe von 50 Millionen beträgt die Prämie etwa 100'000 Franken.

Bis vor rund vier Jahren war der D&O-Markt zudem ein Käufermarkt, das heisst, es gab genügend Kapazitäten, also Versicherungssummen, und die Versicherer unterboten sich mit den Prämien regelmässig. Vor allem aufgrund gestiegener Schadenbelastungen waren einige Versicherer in den letzten Jahren gezwungen, ihre maximal angebotene Versicherungssumme pro Police zu reduzieren, was zu höheren Prämien führte. Und daran wird sich in absehbarer Zeit wohl wenig ändern. Die Covid-19-Pandemie hat die Verhärtung des D&O-Marktes zudem unterstützt. Auch ist aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheiten eine verstärkte Zurückhaltung einzelner Versicherer bei der Zeichnung von erhöhten Risiken festzustellen.

Dieser Beitrag ist erstmalig erschienen in der Handelszeitung, 3. Februar 2022, unter dem Titel "Schutz für Pierin Vincenz".

Tina Fischer
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Stefan Mair
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