Im Jahr 2021 sind die Kosten im Gesundheitswesen um 6.4 Prozent pro versicherte Person gestiegen. Das zeigen neuste, detaillierte Auswertungen von santésuisse. Berücksichtigt wurden die Kosten aller Behandlungen, die 2021 vorgenommen wurden. Das stellt – neben der erwarteten Kostenentwicklung im laufenden und im kommenden Jahr – die entscheidende Kennzahl für die Prämienfestsetzung dar. Santésuisse rechnet für die Jahre 2022 und 2023 mit einem weiteren Plus von jeweils rund 4 Prozent. 

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Autor: Matthias Müller ist Leiter der Abteilung Politik und Kommunikation bei Santésuisse, dem Branchenverband der schweizerischen Krankenversicherer.

Arzttarif Tarmed, Medikamentenkosten und Corona sorgen für Kostenschub

Falsche Tarif-Anreize im ambulanten Bereich führen zu gravierenden Fehlentwicklungen. Im 2021 summierten sich die Kosten, die über den Einzelleistungstarif Tarmed abgerechnet wurden, auf 12 Milliarden Franken. Das sind rund 9 Prozent mehr als im Vorjahr. Zudem sind die Medikamentenpreise in der Schweiz viel zu hoch angesetzt: Bei patentgeschützten Medikamenten beträgt die Differenz zum europäischen Ausland rund 9, bei patentabgelaufenen Originalpräparaten 15 und bei Generika sogar 100 Prozent. 

Nachgeholte Behandlungen 

Zum starken Kostenwachstum haben auch Nachholeffekte im Zusammenhang mit der Corona Pandemie beigetragen. So wurden 2021 teilweise Behandlungen durchgeführt, die im Jahr 2020 warten mussten. Ein Teil der aufgeschobenen Leistungen wurde allerdings nie nachgeholt, weil sie offenbar nicht notwendig waren. Das zeigt eine neue Studie der HSG im Auftrag von santésuisse (Link zur Studie). Im Jahr 2020 hatten die Corona-Massnahmen zur Folge, dass das Kostenwachstum um 3 Prozent geringer ausgefallen ist als erwartet. 

Parlament muss handeln 

Insbesondere die Politik kann diese Fehlentwicklung korrigieren. Bisher ist der Wille zu echten kostendämpfenden Massnahmen allerdings kaum spürbar. Wirksame Massnahmen wie etwa das Referenzpreissystem für patentabgelaufene Arzneimittel wurden abgelehnt, oder stehen, wie etwa die geplante tarifpartnerschaftliche Kostensteuerung auf der Kippe. 

Reserven schrumpfen um rund einen Drittel

Die Auflösung von Reserven zwecks Prämiendämpfung im Jahr 2021, das ausserordentlich starke Kostenwachstum sowie die ungünstige Entwicklung an den Finanzmärkten reduzieren die Reserven der Krankenversicherer drastisch. Die dadurch erfolgte Wertminderung der Reserven beträgt rund ein Drittel. Ein weiterer Reserveabbau würde sogar grosse Krankenversicherer in ihrer Existenz gefährden. 

Lösungsvorschläge von santésuisse

Die Massnahmen liegen auf dem Tisch und würden wesentlich dazu beitragen, die unerwünschte Kostenentwicklung effizient einzudämmen – ohne dass die Qualität leidet.

- Pauschaltarife für ambulante Leistungen

Einzelleistungstarife führen dazu, dass der Kostenspielraum maximal ausgenutzt wird. Mit einer Pauschaltarifierung, wie sie sich im stationären Bereich seit Jahren bewährt hat, könnte dieser Spielraum eingegrenzt werden, weil gleiche Leistungen immer gleich vergütet werden. Santésuisse ist bereit, mit den betreffenden Akteuren gemeinsam auch für den ambulanten Bereich ein tragfähiges Tarifsystem zu entwickeln, das auf Pauschalen beruht und durch einen Einzelleistungstarif ergänzt wird. 

- Überversorgung abbauen 

Allein seit 2013 stieg die Zahl der ärztlichen Grundversorger in der Schweiz um 7 Prozent; jene  der Spezialärztinnen und -ärzte sogar um 12 Prozent. Laut Statistik kostet jede zusätzliche Arztpraxis die Prämienzahlerinnen und Prämienzahler rund 500'000 Franken. Die Kantone sind gefordert, bei der Zulassung von neuen Ärztinnen und Ärzten eine deutlich aktivere Rolle zu spielen. 

- Mehr Generika zu tieferen Preisen 

Santésuisse fordert, dass sämtliche Medikamentenpreise – auch von Generika und Biosimilars - regelmässig im Preisvergleich mit dem Ausland überprüft und angepasst werden. Zudem muss der Generika-Anteil deutlich erhöht werden. Ein Drittel aller Original-Präparate könnte sofort ersetzt werden – alleine damit liessen sich sofort mehrere hundert Millionen Franken sparen. Schliesslich besteht auch bei den immer zahlreicheren hochpreisigen Therapien ein Einsparpotenzial. Gefragt sind neue Preismodelle, die den Patientennutzen ins Zentrum stellen. Die teilweise exorbitant hohen Kosten sollen nur dann vergütet werden, wenn sich die versprochene Wirkung tatsächlich einstellt. 

- HTA-Verfahren beschleunigen

Mit dem Health Technology Assessment (HTA) überprüft der Bund systematisch, ob bestimmte Leistungen, welche von der Grundversicherung vergütet werden, die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit erfüllen. Obwohl zahlreiche abgeschlossene HTA-Verfahren Ausschlüsse aus der Grundversicherung nahelegen, lassen die gewünschten Einsparungen auf sich warten. Der Bund ist nun gefordert: Einerseits muss er die laufenden HTA-Verfahren beschleunigen, andererseits sind Leistungen, welche die WZW-Kriterien nicht erfüllen, konsequent aus dem Leistungskatalog auszuschliessen. 

- Rechnungskontrolle weiter stärken 

Die Kontrolle von Rechnungen, deren Korrektur oder Zurückweisung ist eine Kernaufgabe der Krankenversicherer. Dank dieser Kontrollen können die Krankenversicherer jedes Jahr mindestens 3.5 Milliarden Franken an Kosten vermeiden. Dank diesem Know-how konnten die Krankenversicherer zudem die gesamte Tarifkontrolle bei der Abrechnung von Corona-Tests vornehmen. Dabei sind die Krankenversicherer auf zahlreiche Unregelmässigkeiten gestossen, die sie dem Bundesamt für Gesundheit regelmässig melden. Bei mutmasslichen Betrügereien stoppen die Krankenversicherer die Auszahlungen. Nun ist es am Bund, diesen Hinweisen nachzugehen, Rückforderungen zu stellen oder gegebenenfalls Strafanzeige einzureichen. 

Santésuisse sieht in den Lösungsvorschlägen einen realistischen Weg, das übermässige Kostenwachstum zu bremsen.