Welche sind die drängendsten HR-Themen bei Helvetia?

Da gibt es vor allem drei Themen, die uns beschäftigen. Zum einen der Fachkräftemangel, den wir latent beobachten und proaktiv mit verschiedenen Massnahmen angehen. So konnten wir bei gleichbleibender Fluktuation die Anzahl der Bewerbungen bei uns in den letzten zwei Jahren auf 35'000 verdoppeln. Dies zum Beispiel dank Massnahmen wie dem Eingehen von Partnerschaften zur Rekrutierung von Quereinsteigenden oder dem Ausschrieb unserer Stellen in 50-100-Prozent-Pensen. Da bin ich natürlich stolz darauf zu sehen, dass wir als Arbeitgeberin weiterhin attraktiv sind und uns der Fachkräftemangel aktuell nicht so stark trifft. Dennoch kann man das Thema angesichts des Bedarfs in spezialisierten Berufen wie zum Beispiel Underwriting, Information Technology, Business Analyse, im Bereich der Künstlichen Intelligenz oder Aviatik nicht wegdiskutieren. Das zweite Topthema ist die Digitalisierung: Wir haben unsere HR-Welt und die Prozesse bereits sehr breit digitalisiert, zu etwa 85-90 Prozent. Es bleiben also immer noch 10-15 Prozent. Mit der Digitalisierung gibt es weniger Berührungspunkte mit Menschen. Deshalb ist Employee Experience so wichtig. Wir wollen, dass die Mitarbeitenden oder Kandidatinnen und Kandidaten einen «Wow-Effekt» haben, wenn sie bei uns arbeiten oder einsteigen wollen.

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Zur Person

Hamiyet Dogan ist sei 2020 Head Human Resources Schweiz bei Helvetia und Mitglied der Geschäftsleitung. 

Haben Sie für diesen «Wow-Effekt» ein konkretes Beispiel?

Natürlich. Wenn sich zum Beispiel jemand bei Helvetia bewirbt, wird sie oder er mittels Videobotschaft persönlich mit Namen angesprochen, auch wenn sie eine Absage erhalten. Unabhängig davon, ob sie die Stelle erhalten oder nicht. Es ist uns wichtig, Bewerbenden, auch wenn es leider nicht geklappt hat, zu vermitteln, dass wir ihre Bewerbung schätzen und uns über künftige Bewerbungen freuen. Leider hat es diesmal nicht geklappt, aber vielleicht beim nächsten Mal? Aber auch Neueinsteigende erhalten ein personifiziertes Herzlich-Willkommen-Video mit einem Bild vom zukünftigen Team. Diese moderne, persönliche Ansprache kommt extrem gut an und erzielt diesen «Wow-Effekt». 

Und welches ist das dritte Topthema?

Das sind die Entwicklungswege. Denn die ganze Digitalisierung und die Wow-Effekte bringen ja nichts, wenn wir die Mitarbeitenden nicht halten können, weil sie sich weiterentwickeln wollen. Hier setzen wir an und bieten ihnen die Möglichkeiten, sich bei uns weiterzuentwickeln. Wie kann ein Underwriter zu einem Asset-Management-Spezialisten oder eine Schadenmitarbeiterin zu einer Controllerin werden? Um die Grundlagen für interne Entwicklungswege zu schaffen, haben wir letztes Jahr ein Projekt gestartet und eine neue Grading-Struktur eingeführt. Alle Mitarbeitenden haben daraufhin einen neuen Arbeitsvertrag mit einem entsprechenden Grade und den damit verbundenen Anforderungen erhalten. Dies als Basis, um nicht nur hierarchische sondern auch fachliche Entwicklungswege vermehrt zu fördern. Job-Titel, wie andere Versicherungen sie teilweise noch führen, haben wir übrigens bereits vor Jahren abgeschafft. Mein Ziel ist es, bei 10 Prozent Fluktuation nur noch 5 Prozent gegen Aussen zu verlieren und die anderen 5 Prozent intern weiterzuentwickeln, die den angestammten Job einfach nicht mehr machen möchten. So halten wir fähige, motivierte und gut ausgebildete Mitarbeitende im Unternehmen und müssen nicht teuer nachrekrutieren.

Da standen wir im HR schon recht unter Strom.

Hamiyet Dogan

Waren die Mitarbeitenden und Führungskräfte nicht skeptisch, als sie neue Verträge unterzeichnen sollten?

Da standen wir im HR schon recht unter Strom. Entscheidend war, dass wir im HR und auch ich persönlich den Prozess sehr eng begleitet haben. Ich habe fast alle Workshops mit den rund 700 Führungskräften persönlich durchgeführt und erklärt, dass dies vor allem grosse Chancen mit sich bringt. Am Ende haben 99,9 Prozent der Mitarbeitenden die neuen Arbeitsverträge unterschrieben, was ein toller Erfolg war. Mein Wunsch war schon immer, ein modernes und zukunftsgerichtetes HR aufzubauen, wofür es ein solides, modernes Fundament braucht, wie bei einem Hausbau. Mit der Einführung dieses neuen Systems wird es uns nun besser gelingen, unsere HR Life Cycle-Prozesse zukunftsgerichtet und kundenzentriert zu steuern und zu begleiten.

Die Versicherungswirtschaft ist mitten in der Transformation. Wie sieht diesbezüglich die HR-Strategie der Helvetia aus?

Aus HR-Sicht bringt die Transformation einen fortlaufenden Change mit sich. Zentral ist dabei die Begleitung und Befähigung der Führungskräfte und Mitarbeitenden. Hier müssen wir die Prozesse ebenfalls eng begleiten. Ein Beispiel: Vor rund zwei Jahren haben wir den kompletten Onboarding-Prozess für Kundinnen und Kunden in der Vorsorge neu gestaltet. Das hatte natürlich auch Auswirkungen auf die Arbeitsweisen in den Teams, die wir uns dann gemeinsam angeschaut haben. Oder nehmen wir die Transformation im Vertrieb mit der 360-Grad-Beratung. Das war für viele Mitarbeitende eine starke Veränderung, da vorher noch viel mit Papier gearbeitet wurde. Eine transparente Kommunikation und zielgerichtete Ausbildungen waren dabei ein Schlüssel zum Erfolg. Hierfür haben wir im HR Change-Spezialisten sowie Personal- und Organisationsentwickler, die bei den grossen Projekten wertvolle Unterstützung leisten - mit direktem Draht zur Konzernleitung. Der regelmässige Austausch mit dem Topmanagement ist dabei entscheidend und mir ist es wichtig, dass dieser nicht nur über mich, sondern durch die Mitarbeitenden direkt erfolgt. Das war 2017, als ich bei Helvetia anfing, noch nicht so. Es hat sich also viel getan und wird sich weiterhin viel tun.

Der Umsatz stimmt, der Bonus stimmt, die Zufriedenheit stimmt.

Hamiyet Dogan

Fühlen sich die Mitarbeitenden bei den vielen Veränderungen nicht auch überfordert?

Um die Mitarbeitenden im Veränderungsprozess zu unterstützen, bieten wir verschiedene interne Angebote, z.B. zur Stärkung der eigenen Resilienz. Jedoch hat sich das Verhalten der Mitarbeitenden im Umgang mit Veränderungen in den letzten Jahren auch verändert. Viele Veränderungen wurden durch die Coronazeit stark beschleunigt. Hier hat sie uns extrem geholfen. Wir mussten plötzlich aus einer Not heraus handeln. So wurden in kürzester Zeit viele Dinge digital umgesetzt, die vorher niemand für möglich gehalten hat - und wir haben gemerkt, dass die tägliche Arbeit auch im Home Office gut funktioniert. Auf dieser Erfahrung haben wir als Helvetia aufgebaut und die Geschäftsleitung Schweiz hat mit bis zu 100%-Flexoffice, die wir seit 2022 haben, eine klare Haltung entwickelt und den Mitarbeitenden viel Vertrauen entgegengebracht - das kam intern sehr gut an. Davon profitieren wir heute enorm. Bei 4’000 Mitarbeitenden und 700 Teams würde ich sagen, dass diese neuen Arbeitsmöglichkeiten normal geworden sind und akzeptiert werden. Wenn Führungskräfte wegen der flexiblen Homeoffice-Lösung Bedenken hatten oder immer noch haben, rede ich gerne persönlich mit ihnen. Als HR können wir die Vorteile mit entsprechenden Zahlen, Daten und Fakten untermauern. Der Umsatz stimmt, der Bonus stimmt, die Zufriedenheit stimmt. Laut Umfrage sind über 90 Prozent der Mitarbeitenden stolz, für die Helvetia zu arbeiten. Das sind dann schon schlagkräftige Argumente. Ein Zurück wird es definitiv nicht mehr geben.

Wie ist Helvetia beim Thema Diversity & Inclusion aufgestellt?

Wenn ich ehrlich bin, sah es diesbezüglich vor vier Jahren noch nicht gut aus und wir hatten viel zu wenig Ressourcen. Wir haben das erkannt und uns dem Thema gruppenweit intensiv gewidmet. Unser Ansatz war es, nicht nur auf die Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen abzuzielen, sondern übergreifend auf drei Themenfelder zu setzen: Balance über alle Generationen hinweg, flexibles Arbeiten und Frauenförderung. In der Schweiz haben wir dann einen Council gebildet, für das wir 20 freiwillige Mitarbeitende aus dem Unternehmen suchten - am Ende gab es sogar 80 Interessierte, die sich für D&I engagieren wollten. Das hat mich wirklich sehr gefreut und motiviert, am Ball zu bleiben. Dank des Councils hatten wir bei der Einweihung unseres neuen Campus in Basel zum Beispiel eine “Vielfaltsbar”, wo man sich austauschen konnte. Wir treiben das Thema D&I darüber hinaus auch mit Partnerschaften wie mit der Universität St. Gallen oder Advance stark voran.

Beim Thema Frauenquote sind wir noch nicht da, wo wir hinwollen.

Hamiyet Dogan

Wie steht es um die Frauenquote in Führungspositionen?

Nun, in der Geschäftsleitung liegen wir bei der Helvetia Schweiz bei einem Drittel. Insgesamt sind wir aber noch nicht da, wo wir gerne sein wollen. Mein Ziel ist es, dass mindestens 20 Prozent der Führungspositionen in der Schweiz mit Frauen besetzt sind, derzeit liegen wir bei etwa 19 Prozent. Das ist für mich eindeutig zu wenig. Da bin ich noch nicht zufrieden, das kann ich offen sagen. Wir suchen also nach Wegen, dies zu ändern, zum Beispiel über Top-Sharing und mehr Flexibilität. Wenn wir als Unternehmen ein Umfeld schaffen, wo die Verbindung zwischen Berufs- und Privatleben passt, dann bekommen wir als Arbeitgeberin mehr zurück, als wir geben - davon bin ich überzeugt. Ich arbeite als zweifache Mutter wahnsinnig gerne, gehe aber ebenso gerne mit meiner Familie in die Ferien. Damit bin ich kein Einzelfall. Deshalb habe ich Möglichkeiten wie etwa den Ferieneinkauf eingeführt. Mit anderen Worten: Flexibilität ist heute das A&O, für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmende. Ist mein Arbeitgeber bereit, mich zu unterstützen, bin ich zu 150 Prozent bereit, meine Fähigkeiten einzusetzen.

Stichwort Künstliche Intelligenz: Inwieweit ist das bereits ein Thema im HR?

Das ist sogar sehr weit oben ein Thema. Die gesamte Konzernleitung und die Geschäftsleitung haben sich schon sehr früh mit KI auseinandergesetzt. Wir haben KI-Trends analysiert und jedes Geschäftsleitungsmitglied ist für ein Thema zuständig - bei mir ist es die Bildung. Ich glaube nicht, dass KI nur ein Hype ist. Es wird gerade im HR massive Veränderungen mit sich bringen. Wir haben derzeit beispielsweise zehn Use Cases. Bei einem arbeiten wir mit SAP zusammen, wo ein Roboter alle 20’000 Lebensläufe, die bei uns reinkommen, analysiert und im Prinzip erst dann einen Job vorschlägt, der bei uns ausgeschrieben ist. Im gleichen Projekt werden wir einen Piloten fahren, wo man sich offen bei uns bewirbt, ohne konkrete Ausschreibung. Die Stellensuchenden laden einfach ihren CV hoch und wir suchen dann mittels KI eine Stelle, die darauf passt. Ich bin sehr gespannt, wie sich das entwickelt.

Ich persönlich denke nicht, dass es weniger Jobs geben wird – dafür einfach andere.

Hamiyet Dogan

Braucht es dann zukünftig überhaupt noch Recruiter oder andere Jobprofile?

Ich persönlich denke nicht, dass es weniger Jobs geben wird – dafür einfach andere. Natürlich will ich das jetzt nicht beschönigen. Veränderungen stellen immer eine Herausforderung dar. Aber ich glaube, dass sich die Workforce verändern wird, mehr in Richtung Beratung, Begleitung oder Change Management und so neue spannende Stellen entstehen, von denen man jetzt noch gar nicht weiss, dass es sie einmal geben wird.

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Was muss eine moderne HR-Abteilung heute zu leisten imstande sein?

Neue Arbeitsmodelle und KI hin oder her. Ich bin jetzt seit über 20 Jahren im HR - der Grundauftrag hat sich nie verändert: Die richtigen Leute mit den richtigen Skills zum richtigen Zeitpunkt für das Unternehmen zu gewinnen und zielbringend einzusetzen. Somit steht auch künftig das Workforce Management klar im Vordergrund. Wir wollen die Mitarbeitenden, die schon für uns arbeiten, entwickeln, fördern und unterstützen. Und Talente oder erfahrene Expertinnen und Experten, die noch nicht für uns arbeiten, wollen wir von uns überzeugen. Das ist und bleibt immer eine spannende Aufgabe.