Wenn ich die Risikolandschaft anschaue, wie sie beispielsweise vom WEF, dem Thinking Ahead Institute oder auch von Industrieversicherern seit Jahren skizziert wird, stelle ich fest, dass die Corona-Pandemie nicht überraschend gekommen ist – Pandemien sind seit je auf dem Radar als Risiko mit grosser Auswirkung. Wie lässt sich die Resilienz gegenüber Extremrisiken stärken?
In der Tat wurde das Szenario einer Pandemie seit Jahren von diversen Stellen relativ genau skizziert, u. a. bereits 2007 im Chief Risk Officers Forum Briefing. Trotzdem erwischte die Pandemie Staaten wie auch Unternehmen gleichermassen auf dem falschen Fuss und mit voller Wucht. Es fällt jedoch auf, dass gewisse Unternehmen besser vorbereitet waren als andere. 

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Einerseits weil man sich mit derartigen Szenarien und den möglichen Auswirkungen im Rahmen einer Krisenplanung auseinandergesetzt hat. Konkret konnten beispielsweise unsere Mitarbeitenden innerhalb weniger Tage von zu Hause aus arbeiten, was ohne vorgängige Investitionen in die technische Infrastruktur – auch wegen solcher Szenarien – nicht möglich gewesen wäre. 

Andererseits fällt auf, dass gewisse Unternehmen ihr Business-Modell rascher und flexibler an neue Begebenheiten anpassen können. So haben beispielsweise Industriezulieferer während der Krise begonnen, Masken oder Desinfektionsmittel zu produzieren. Diese Flexibilität wird auch in Zukunft ein wichtiger Differenzierungsfaktor sein, um Krisen besser meistern zu können. 

Wie ist die Versicherungsbranche als Ganzes in diesen Zeiten gefordert?
Als Industrie stehen wir vor der Herausforderung, dass gewisse Extremrisiken wie die aktuelle globale Pandemie praktisch nicht versicherbar sind. Hier gilt es, kreative Lösungen zu finden; etwa mit einem Pool wie bei Nuklearrisiken.

«Die Welt verändert sich rasant in einer noch nie dagewesenen Kadenz, dies hat natürlich auch einen Einfluss auf die damit verbundenen Risiken.»

Vor allem der WEF Global Risks Report zeigt gut auf, wie extreme Risiken miteinander verbunden sind und sich zum Teil gegenseitig beeinflussen. Wie lassen sich solche Erkenntnisse nutzen, um das Risikomanagement von Industriekunden zu unterstützen und allenfalls Versicherungsschutz zu bieten?
Die Welt verändert sich rasant in einer noch nie dagewesenen Kadenz, dies hat natürlich auch einen Einfluss auf die damit verbundenen Risiken. Ein Beispiel ist die Urbanisierung und der damit verbundene Trend, dass bei Naturkatastrophen viel mehr Produktionsstätten als früher gleichzeitig betroffen sind. Dies hat wiederum einen Einfluss auf die Wertschöpfungsketten von Unternehmen.

Wir beobachten auch, dass Gefahren geografisch weniger eingrenzbar sind. Vereinfacht gesagt kann etwa ein Hurrikan meistens nur lokal, beispielsweise in den USA, Schaden anrichten. Bei einer Cyberattacke auf eine Cloud kann dies jedoch einen Einfluss auf Unternehmen auf der ganzen Welt haben, oft auch indirekt über betroffene Zulieferer, welche attackiert worden sind. Diese Gefahren vorauszusehen, ist viel schwieriger geworden. Ausserdem sind die rechtlichen Rahmenbedingungen gerade im internationalen Programmgeschäft anspruchsvoller geworden.

Es wird immer komplizierter für die Unternehmungen …
Als Versicherer unterstützen wir hier unsere Kunden. Einerseits natürlich über die traditionellen Versicherungsprodukte, aber immer mehr aber auch als eigentliche Risikoberater. 

«Als global tätiger Versicherer verfügen wir über eine unglaubliche Menge an Daten.»

Sie verstehen sich also als Risikoberater, wie zeigt sich das?
Ja, wir sind mit unseren Kunden und Vertriebspartnern in einem engen Dialog und unsere Rolle ist anspruchsvoller, aber auch breiter und spannender als vielleicht noch vor 10 bis 15 Jahren. Als global tätiger Versicherer verfügen wir über eine unglaubliche Menge an Daten. Diese stellen wir unseren Kunden zur Verfügung, beispielsweise bei Benchmarkings oder bei der gemeinsamen Analyse von möglichen Schadenszenarien. Zusammen findet dann eine Bewertung der Risiken statt und eine Analyse, welche Risiken selber getragen, z. B. durch eine Captive, oder transferiert werden sollen. Zudem helfen wir mit unseren Risiko-Ingenieuren bei der Schadenprävention. 

Durch unser Netzwerk mit Niederlassungen und Partnern in über 200 Ländern können wir unseren Kunden mit lokalem Know-how auf der ganzen Welt zur Seite stehen. Hier sind unsere Grösse und unsere Internationalität sicher ein grosser Vorteil. 

Vor einiger Zeit hatten wir in einer Reportage aufgezeigt, dass Industrieversicherer die Digitalisierung nutzen, um Bereiche wie Risikoselektion und Underwriting zu verbessern. Was tun Sie in dieser Beziehung bei Axa XL Insurance?
Für verschiedene Produkte und Sparten erfassen wir die Risikoinformationen digital und nehmen so eine erste Risikoanalyse vor. Dabei werden etwa die Finanzzahlen oder globale Standorte hinsichtlich Naturgefahren, aber auch öffentlich zugängliche Informationen von Social Media durch dedizierte Teams in Polen/Indien mithilfe künstlicher Intelligenz (AI) analysiert. Diese Daten gehen danach zur weiterführenden Analyse zum Underwriter in der Schweiz. 

Wir setzen AI vermehrt auch zur Analyse von bestehenden Wordings und Policen ein, um etwa bei globalen Schadentrends rascher reagieren zu können. Wir sind überzeugt, dass wir so unsere Schadenquote verbessern können. Davon profitieren letztlich auch unsere Kunden. 

Die Digitalisierung ist jedoch nicht nur bei der Risikoselektion eine grosse Chance für uns. Sie eröffnet uns bei der Entwicklung von neuen Produkten und dem Verständnis von neu auftretenden Risiken ein neues Spielfeld. Wir werden als Branche an Relevanz gewinnen, davon bin ich überzeugt. 

Wie wird das Underwriting der Zukunft betrieben?
Data und Analytics sind nicht mehr aus dem Underwriting wegzudenken. Wir wenden heute schon vermehrt das sogenannte Predictive Modelling an und die Risiken werden nicht mehr stur mittels Rückwärtsbetrachtung tarifiert. Diesen Ansatz verfolgen wir bereits in vielen Sparten und wir sind mit den Resultaten sehr zufrieden. 

Zudem versuchen wir, die komplizierten Vertragsbedingungen durch innovative Lösungen zu vereinfachen. In diese Kategorie gehören zum Beispiel parametrische Versicherungslösungen im Bereich Naturkatastrophen. Durch im Voraus festgelegte Parameter lässt sich die Schadenabwicklung signifikant vereinfachen und beschleunigen. 
Ausserdem verbinden wir unsere Versicherungsprodukte immer mehr mit zusätzlichen, integrierten Dienstleistungen. Unsere Kunden können wir so weit über den eigentlichen Risikotransfer hinaus unterstützen – ganz im Sinne der Vision von Axa: «From Payer to Partner». 

«Die momentane Covid-19-Krise trägt dazu bei, dass wir eine "Flucht zu Qualität und Stabilität" beobachten.»

Risikobewertung und Underwriting müssen sich gezwungenermassen im Pricing spiegeln. Doch inwieweit können Sie Preise im Markt durchsetzen?
Im Industrieversicherungsgeschäft haben wir es mit ausgeprägten Marktzyklen zu tun. Nach mehreren Jahren sinkender Prämien gepaart mit einer höheren Schadenfrequenz sind viele Versicherer unter Druck. Dies hat zur Folge, dass viele Akteure vorsichtiger agieren. 

Wir sind ebenfalls der Überzeugung, dass wir nur nachhaltig im Industrieversicherungsgeschäft tätig sein können, wenn wir für die Risiken, welche wir tragen, adäquat bezahlt werden. Die Gespräche mit unseren Kunden und Vertriebspartnern sind sehr konstruktiv und unsere hohe Kundenbindungsrate zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. 

Die momentane Covid-19-Krise trägt dazu bei, dass wir eine «Flucht zu Qualität und Stabilität» beobachten. Unternehmen mit einem finanziellen Polster kommen eher unbeschadet durch die Krise und werden von Partnern auch vermehrt gesucht. Als Teil der Axa Gruppe profitieren wir von einem gut diversifizierten Geschäft und der grossen Finanzkraft eines global aufgestellten Konzerns. 

Eine aktuelle UBS-Umfrage bei 2500 Unternehmen zeigt, dass eine grosse Mehrheit der Schweizer Firmen mittelfristig mit einem gleich hohen oder gar höheren Umsatz und Bestand an Mitarbeitenden rechnet. Wird Axa XL in der Schweiz davon profitieren?
Unser Ausblick ist etwas pessimistischer, aber wir lassen uns gerne positiv überraschen. Ein Teil unserer Verträge ist hinsichtlich Prämie direkt mit der Umsatzgrösse des versicherten Unternehmens verbunden. Somit profitieren wir bei den Prämieneinnahmen unmittelbar vom Wachstum, falls dieses tatsächlich eintreten sollte. Gleichzeitig steigen damit natürlich auch die verbundenen Risiken. Bei Umsatzwachstum wird ausserdem generell mehr investiert, davon profitieren wir indirekt beispielsweise bei Bauversicherungen. 

Ich gehe davon aus, dass Sie bei Industriekunden und Brokern mit Standardprodukten je länger, je weniger punkten. Was bedeutet das für Sie?
Bereits heute erwarten unsere Kunden massgeschneiderte Lösungen, die ihren spezifischen Risiken Rechnung tragen. Wir werden jedoch unsere Produkte und Dienstleistungen künftig noch stärker an sich verändernde Risiken anpassen müssen, heute hinken diese Veränderungszyklen den realen Gegebenheiten noch hinterher. 

An welche Risiken denken Sie?
Technologierisiken wie die Digitalisierung, das Internet der Dinge, aber auch Themen wie die Urbanisierung und die globale Erderwärmung werden die Risikolandschaft und schlussendlich die Anfälligkeit von Unternehmen weiter erhöhen. Hier sind wir als Partner gefordert, adäquate Lösungen anzubieten. Ich bin überzeugt, dass der traditionelle Risikotransfer in Zukunft immer noch von zentraler Bedeutung sein wird. Als Versicherer werden wir aber vermehrt auch die Rolle eines Beraters wahrnehmen. Ich denke dabei beispielsweise an unsere Risk-Consulting-Abteilung, die mit rund 400 Experten unsere Kunden weltweit bei ihren Anstrengungen im Bereich Risk Management unterstützt. 

Ein weiteres Beispiel sind die Cyberversicherungen, bei denen unsere Kunden dank einer umfassenden End-to-End-Lösung Zugriff auf globale Cybersicherheits-Expertise und Technologieunterstützung zur Bekämpfung der Cyberkriminalität haben. Hier arbeiten wir mit unserem Partner Accenture zusammen. 

Welcher Kontakt ist für Sie eigentlich wichtiger? Derjenige zum Kunden oder der zum Broker?
Für uns sind beide Vertriebskanäle gleichermassen wichtig. In der Schweiz arbeiten wir mit vielen Kunden immer noch direkt zusammen, ohne dass ein Broker involviert ist. Manchmal werden Broker auch bloss für Projekte oder Ausschreibungen herbeigezogen. Und selbstverständlich haben viele Kunden ein Vollmandat mit einem Broker, hier läuft die Zusammenarbeit im Dreieck zwischen dem Kunden, dem Broker und dem Versicherer. Generell möchte ich festhalten, dass die Zusammenarbeit in der Schweiz sowohl mit unseren Kunden als auch mit den Brokern sehr partnerschaftlich und professionell ist. 

Wie beurteilen Sie die Wahrscheinlichkeit von Markteintritten neuer Konkurrenten, etwa aus der Technologie-Ecke?
Diese Gefahr besteht natürlich, vor allem in gewissen Bereichen unserer Wertschöpfungskette, z. B. im Bereich Cyber/Big Data. Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob die Tech-Giganten in Anbetracht der Volatilität im Bereich Unternehmensversicherungen auch als Risikoträger auftreten wollen, ausserdem sind hier die regulatorischen Hürden relativ hoch. 

Anders sieht die Situation im Retail-Geschäft aus. Hier können neue Customer Journeys, unterstützt von innovativen IT-Lösungen, auf der grünen Wiese und unabhängig von historisch wichtigen Vertriebskanälen definiert werden. Ich bin aber überzeugt, dass gerade in der Schweiz der starke Brand einer Axa auch in Zukunft ein grosser Vorteil sein wird. 

«Durch die Akquisition von XL Catlin ist die Axa heute der grösste Anbieter für Unternehmensversicherungen weltweit.»

In der Axa XL mussten Sie die ehemals eigenständigen Divisionen Axa Corporate Solutions, Axa Matrix, Axa Art sowie die bisherige XL Catlin unter einem Dach vereinen. Wie weit sind Sie damit?
Durch die Akquisition von XL Catlin ist die Axa heute der grösste Anbieter für Unternehmensversicherungen weltweit. Auch in der Schweiz sind wir einer der zwei grössten Akteure im Markt. Mit der Integration sind wir sehr zufrieden, gerade in der Schweiz ist uns dies sehr gut gelungen. Die Zusammenarbeit mit unserer Schwestergesellschaft Axa Schweiz ist hervorragend und zusammen sind wir stärker als vorher. Nach der ersten Phase der Integration, welche vor allem auf Prozessoptimierung fokussiert war, sind wir nun daran, uns für das nächste Kapitel fit zu machen. 

Das bisherige Spartenkonzept ist also definitiv im Mülleimer gelandet?
In einem globalen Business mit international tätigen Kunden ist es wichtig, unseren Kunden einen konsistenten Service anbieten zu können. Zudem wollen wir sicherstellen, dass wir globale Trends frühzeitig erkennen, um so unsere Kunden und uns besser zu schützen und entsprechend reagieren zu können. Deshalb wird ein globaler Ansatz auch in Zukunft immer noch wichtig bleiben. 

Gleichzeitig ist die lokale Komponente wichtig, da zum Beispiel die rechtlichen Rahmenbedingungen in unseren Märkten sehr unterschiedlich sind. Auch das Risk Management unterscheidet sich von Land zu Land. Schweizer Unternehmen sind im Vergleich zu ausländischen Mitbewerbern bereit, mehr in diesen Bereich zu investieren. Grundsätzlich gilt: Entscheidungen sollen von kompetenten Personen so nahe wie möglich beim Kunden getroffen werden. Wir müssen also die Balance zwischen globalem Spartenkonzept und lokalen Eigenheiten finden. Insgesamt werden wir als Axa XL aber künftig noch lokaler unterwegs sein, was ich als sehr positiv erachte. 

Ein gemeinsamer Korpsgeist lässt sich kaum von oben herab implementieren. Wie sieht es aus bezüglich Zusammenwachsen unterschiedlicher Divisionskulturen?
Ich habe die Kulturen nie als so unterschiedlich empfunden, wie man vielleicht annehmen könnte. Bei allen drei Einheiten hatten wir kompetente und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem grossen Fachwissen und viel Herzblut. 

Sowohl bei Axa als auch bei Axa XL legen wir besonderen Fokus darauf, eine offene Kultur zu haben, die Diversity und Inclusion fördert. Eine Kultur, in der sich alle Mitarbeitenden ermuntert fühlen, Dinge anzusprechen, angehört und ernst genommen zu werden – unabhängig von ihrer Herkunft. Ich bin stolz auf die verschiedenen Meinungen und Expertisen unserer Mitarbeitenden. Damit befähigen sie sich nicht nur gegenseitig zu besseren Ergebnissen, sondern helfen uns auch als Firma, das maximale Potenzial auszuschöpfen.

Herr Meier, zusätzlich zu Betriebswirtschaft haben Sie auch Rechtswissenschaften studiert. Hand aufs Herz: Wünschen Sie sich nicht manchmal, als Jurist einer geregelten Arbeit ohne grosse Überraschungen in einer Kanzlei nachzugehen?
(lacht) Meine Frau ist Wirtschaftsanwältin und ihren Job empfinde ich überhaupt nicht als geregelter, überraschungslos oder weniger anspruchsvoll. An meinem Job und unserer Branche insgesamt gefällt mir das unternehmerische Element und das sich stets verändernde Umfeld. Das ist unglaublich herausfordernd und spannend.