Allversicherer kommen von zwei Seiten unter Druck. Die Zinsanpassung der SNB führt zu einer Abkühlung der Aktienmärkte. Dies führt dazu, dass die Erlöse, welche die Schweizer Sachversicherer zu einem signifikanten Anteil mit Investitionsgeschäften tätigen, schrumpfen. Auf der anderen Seite stehen die Schadensummen, welche – wie bereits in den vergangenen Monaten – durch die Inflationseinflüsse weiter ansteigen werden. Mit der Inflation können die Prämien nicht mithalten. Sie wurden vor dem Krieg in der Ukraine vereinbart und lassen sich nicht rasch anpassen. Doch die Inflation, deren Bekämpfung das vorrangige Ziel der SNB war, kann auch die Leitzinserhöhung nicht so schnell bald abschwächen

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Philipp Kaupke ist Versicherungsexperte und Partner bei Simon-Kucher & Partners in Zürich.

Reservenabbau ist eine kurzfristige Lösung

In dieser Situation kommt den Versicherern entgegen dass Obligationen nach der Leizinserhöhung wieder höhere Renditen versprechen. Doch dieser Effekt wird sich erst verzögert einstellen. Zudem liegen die Renditen nicht mehr so hoch wie noch in den Nullerjahren und in den 1990er Jahren.

Zwar verfügen die Schweizer Sachversicherer über Reserven, doch mit diesen die fehlenden Einnahmen zu decken, kann nur kurzfristig eine Lösung darstellen. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass die Versicherer die gestiegenen Kosten auf ihre Kunden abwälzen werden. Allerdings sind in wirtschaftlich unsicheren Zeiten die Versicherten besonders sensitiv, wenn Prämien erhöht werden. Auch bei den Versicherungsgesellschaften ist deshalb das Vorgehen unpopulär. Sie müssen mit Abflüssen von Kunden rechnen. Plumpe Prämienerhöhungen müssen allerdings nicht sein.  

Flexibilisierung des Angebots 

Für Fahrzeuglenker ist in der ganzen Schweiz eine Haftpflicht obligatorisch. In einigen Kantonen ist auch der Abschluss einer Hausratsversicherung zwingend. Diese Versicherten stecken in einem Dilemma. Jetzt steigt der finanzielle Druck auf sie. Die Versicherungen können diese Kunden entlasten, indem sie ihnen beispielsweise bei einer Hausratsversicherung anbieten, die Deckung herabzusetzen. Im Schadenfall bleibt also die Leistung erhalten, wenn auch einem tieferen Niveau, dafür mit geringeren Prämien auf dem laufenden Vertrag

Potenzial ist auch bei der Säule 3a oder bei den Sparkonti von Kindern vorhanden. Hier gibt es Lösungen, die sicherstellen, dass die Versicherung die Einzahlung der Beträge bei Erwerbsausfall oder Invalidität übernimmt und das Sparziel so auf jeden Fall erreicht wird. Vertriebliche Aktivität sollte nun auch im Sinne der Kunden auf diese Leistungen gelegt werden.

Wie immer in unsicheren Zeiten zeigt sich auch jetzt, dass sich die Bevölkerung der wirtschaftlichen und politischen Risiken sehr bewusst ist. Man fürchtet um seinen Job, um Stromausfälle und der Krieg verstärkt die generelle Unsicherheit und schürt die Angst vor der Zukunft. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis sich abzusichern. Die bietet den Versicherern die Möglichkeit, ihren Bestandeskunden beratend zur Seite zu sehen. Dabei geht es auch darum, sich die Loyalität des Versicherten zu sichern und die eigene Beratungskompetenz – auch im Vergleich zum Wettbewerb – auszuspielen

Hybride Schweizer Kunden - Potenzial nicht ausgeschöpft 

Trotz der Möglichkeit, eine Versicherung auch online abschliessen zu können: Für Schweizer Kundinnen und Kunden ist der persönliche Kontakt zum Kundenberater von signifikanter Bedeutung – gerade bei komplexen Anliegen. Eine aktuelle Umfrage von Simon und Kucher in der Schweiz ergab, dass sich 47 Prozent aller Befragten einen Versicherungsabschluss wünschen, der online startet und mit einem persönlichen Gespräch mit dem Berater in der Agentur endet.

Einfache Produkte, wie Haushaltsversicherungen, können Kunden bei den meisten Versicherungen bereits digital abschliessen. Hier hapert es allerdings vielenorts bei der Kommunikation und der vertrieblichen Effektivität der Produkte auf dem Online-Kanal. Ist der Weg zum Abschluss kompliziert oder unverständlich, springen selbst Digital Natives schnell ab. 

Die Zukunft der Versicherungen in der Schweiz liegt im Omnichannel-Vertriebsmodell. Das heisst: Auf dem Customer Journey sollte ein potenzieller Antragssteller jederzeit die Möglichkeit haben, den Kommunikationskanal zu wechseln – von Online zum Telefon oder zum physischen Treffen mit einem Versicherungsvertreter. Und das ohne störende Medienbrüche und Informationsverlusten.

Da die wirtschaftliche Unsicherheit die Wechselbereitschaft der Kunden erhöht, kommt der Bestandespflege zunehmende Bedeutung zu. Durch Cross- und Upselling lassen sich hier am einfachsten Neugeschäfte gewinnen.