Was ist Ihre Vision vom Metaverse, respektive den virtuellen Welten?

Das wir ein Metaverse haben, was mit der virtuellen Welt und der realen Welt so verbunden ist, dass wir es gar nicht mehr spüren und dies so eingesetzt wird, dass es zu einer Verbesserung unserer Gesellschaft und unseres Lebens führt. So, wie heute das Internet für die meisten zum täglichen und normalen Leben dazugehört. Es wird aber nicht nur ein einziges Metaversum geben, sondern viele verschiedene digitale Welten – so wie in der Realität, in der wir ja auch verschiedene Länder, Nationalitäten und Menschen haben.

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Wann wird die breite Öffentlichkeit in den virtuellen Welten angekommen sein?

Gardner geht davon aus, dass in nur wenigen Jahren bereits 25% der Weltbevölkerung durchschnittlich zweieinhalb Stunden am Tag in virtuellen Welten verbringen wird und dass es noch fünf bis zehn Jahre dauern wird, bis die Mehrheit der Menschen im Metaverse ist. Doch bei der exponentiellen Entwicklung, die wir gerade erleben, wird es vermutlich schneller gehen.

Zur Person
Dr. Martha Böckenfeld gehört zu den Top100WomenoftheFuture und World’s Top200 Business & Technology Innovators. Sie war über 20 Jahre global, u.a. in Hong Kong, Europa, London und der Schweiz als C-Level Executive für Finanzunternehmen wie die Axa und UBS tätig, und hatte u.a Aufsichtsratspositionen bei Blackrock und Unicredit. Sie hat einen Abschluss als promovierte Juristin an der Westfälischen Wilhelms Universität in Münster und ist Dekanin der global tätigen Metaverse Academy in Zürich. Zudem hat sie das MarthaVerse, eine virtuelle Welt, kreiert und am 8ten März lanciert. 

Kann es nicht sein, dass die Metaversen wie bisher hauptsächlich ein Spielfeld für die Gamer bleibt?

Im Gaming gibt es derzeit tatsächlich die grösste Gemeinschaft in virtuellen Welten, dort werden an die 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr bewegt und bereits 3 Milliarden Menschen sind spielend im Metaverse unterwegs – und das sind nicht nur Kinder. Ich gehe davon aus, dass innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre verschiedene neue Metaversen entstehen und viele Menschen ihre Erfahrungen damit sammeln werden.

«Wer einmal die VR-Brille aufgesetzt hat und eine virtuelle Welt erlebt hat, der kann erahnen, was alles möglich sein wird.»
Martha Böckenfeld

Wie und wo können wir Erfahrungen mit dem Metaverse machen, ohne gleich eine VR-Brille zu kaufen und eine digitale Wallet anzulegen?

Den grossen Konzernen ist es daran gelegen, den Menschen und ihren Kunden das Metaverse zu zeigen und sie ihre eigenen Erlebnisse damit machen zu lassen. So bietet beispielsweise das Unternehmen Mastercard in den USA seinen Kunden den Kauf eines NFTs (Non Fungible Tokens) für einen Musikpass und Zugang zu Künstlern auf sehr einfache Weise an. Man braucht keine eigene digitale Wallet oder irgendwelche Zugangsschlüssel, das wird alles von Mastercard für die Kunden aufbewahrt. Oder bei Starbucks: Dort erhalten die Kunden Rewards in Form von Stamps. Mit denen kann der Kunde etwas kaufen, auf dem Sekundärmarkt handeln oder einen guten Zweck unterstützen. Dieses Loyality Programm wird nach einer erfolgreichen Testphase demnächst für 60 Millionen Kunden ausgerollt. 

Spendenorganisationen und NGO im Allgemeinen können ja enorm von der Blockchaintechnologie und den Metaverse profitieren, da der Weg jeder einzelnen Spende nachvollziehbar ist. Tut sich da schon einiges?

Der ganze Impactbereich und die Nicht-Regierungs-Organisationen werden von den neuen Technologien sehr gut profitieren. NFT haben in der Kunstwelt viel Aufmerksamkeit erregt, aber nun werden sie auch vermehrt für gemeinnützige Zwecke eingesetzt. Ein bemerkenswertes Beispiel ist der World Wide Fund for Nature (WWF), der mit seinem NFT-Projekt namens NFA (Non-Fungible Animal) fast 300'000 Euro an Einnahmen generiert hat. Bei NFA handelt es sich um digitale Tierbilder, die geschaffen wurden, um Geld für bedrohte Tierarten zu sammeln. Darüber hinaus hat der WWF gemeinsam mit der Künstlergruppe Savespecies in einer virtuellen Computerwelt gegen die weltweite Verschmutzung der Gewässer durch Plastikmüll gekämpft. Anlässlich des "World Cleanup Day" im Jahr 2022 wurde im Metaverse der Ausstellungsraum #OceanDetox eröffnet. Diese virtuelle Umgebung ermöglicht es den Menschen, interaktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen und das Bewusstsein für die Ozeanverschmutzung zu schärfen.

Die Kombination von NFTs und gemeinnützigen Projekten bietet eine innovative Möglichkeit, Spenden zu sammeln und die Aufmerksamkeit für wichtige Umweltthemen zu erhöhen. Organisationen wie der WWF können durch den Einsatz digitaler Vermögenswerte neue Einnahmequellen erschliessen und die Menschen dazu ermutigen, sich aktiv für den Naturschutz einzusetzen. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich diese Bewegung weiterentwickeln wird.

Wird das Metaverse, respektive eine Präsenz dort zu einem wirtschaftlichen Faktor für grosse Unternehmen werden?

Das ist ein wirtschaftlicher Faktor für alle Firmen, City Bank hat das Marktpotenzial der Metaversen auf 13 Billionen US-Dollar geschätzt und KPMG geht davon aus, dass 70% der globalen Brands in zwei Jahren alle im Metaverse präsent sein werden. Und McKinsey hat kürzlich berichtet, dass 79% der im Metaverse aktiven Benutzer dort bereits mindestens einen Kauf getätigt haben. Und schon heute spiegeln Konzerne wie Siemens oder BMW ihre kompletten Fabriken im Metaverse und entwickeln dort neue Fahrzeuge und Tools, hier lautet das Stichwort „Digital Twin“. Im Metaverse kann man Dinge einfacher ausprobieren und testen und den Umgang damit erlernen. Siemens erwartet durch den Einsatz von digitalen Twins eine Einsparung von ca 1.9 Milliarden Euro. 

«So wie man früher mit Puppen gespielt hat, so kann heute ein Avatar das erweiterte Ich darstellen.»

Wie erklären Sie Menschen, dass neue Autos in einer virtuellen Welt entwickelt werden und dann in der realen Welt auf den Markt kommen?

Was macht man heutzutage, wenn man ein neues Auto kaufen möchte? Man geht zum Händler, schaut sich das Auto an, überlegt, welche Ausstattung und Farbe am besten gefällt und macht eine Probefahrt. All das kann man künftig virtuell ausprobieren. Und das fühlt sich dann so real an, wie ein Flug im Cockpit eines Flugsimulators. Und ich garantiere Ihnen, sobald ein Autoaffiner Mensch zum ersten Mal im Metaverse ein neues Auto gefahren ist, wird er begeistert sein. Wer einmal die VR-Brille aufgesetzt und eine virtuelle Welt erlebt hat, der kann erahnen, was alles möglich sein wird.

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Welche Branchen können vor allem von einer Präsenz im Metaverse profitieren?

Eigentlich alle, aber im öffentlichen Fokus sind das vor allem Gesundheit und Medizin sowie Bildung und Erziehung. Es ist extrem wichtig und wertvoll, dass Menschen künftig besseren und breiteren Zugang zu Bildung erhalten und ausgebildet werden. Und in der Medizin gibt es bereits viele Anwendungsbeispiele, letztes Jahr wurde zum Beispiel ein digitaler Twin von siamesischen Zwillingen gemacht und damit simuliert, wie man die beiden zusammengewachsenen Körper separieren kann. 

Was entgegnen Sie Kritikern, die behaupten, wir würden das soziale Miteinander verlieren und die Gesellschaft wird verrohen?

Ich glaube, das liegt ganz an uns, denn im Grunde kann man durch virtuelle Welten eine viel grössere und bessere Konnektivität, Solidarität und Inklusion und in der Gesellschaft erreichen. Zum Beispiel beim Thema Diskriminierung:  In den USA hat man hellhäutigen Kindern im Metaverse dunkelhäutige Avatar zugeteilt und dann wurden alltägliche Szenen aus dem realen Leben inszeniert. Da konnten die nichtfarbigen Kinder sehr deutlich erfahren, wie sich Rassendiskriminierung im Alltag anfühlt und wo sie im Umgang miteinander beginnt. Oder denken Sie an Menschen mit einem körperlichen Handicap, die sonst kaum eine Chance haben, irgendwohin zu reisen oder an einem Event teilzunehmen – aber im Metaverse können sie sich einen agilen Avatar zulegen und mit ihm die ganze Welt bereisen. So wie man früher mit Puppen gespielt hat, so kann heute ein Avatar das erweiterte Ich darstellen.

Aber man kann im Metaverse niemanden berühren, umarmen oder spüren und riechen?

Nein, aber es ist sehr erstaunlich, wie real das Erlebnis in einer virtuellen Welt ist. Natürlich gibt es im Moment noch keinen Ersatz für das Anfassen und Spüren von anderen Menschen, aber man kann trotzdem wertvolle Kontakte knüpfen oder Erinnerungen pflegen. In der Medizin wurde gezeigt, dass bei an Demenz oder Alzheimer erkrankten Personen, die in einer virtuellen Welt alte Fotos und Melodien neu erleben konnten, die tiefen Schichten im Bewusstsein wieder reaktiviert wurden. Und was das Riechen angeht: Eine Firma, die sich mit Gerüchen im Metaverse beschäftigt, ist beispielsweise OVR Technology. OVR Technology ist ein Unternehmen, das sich auf die Entwicklung von multisensorischen Erlebnissen spezialisiert hat, einschliesslich Geruchstechnologie für virtuelle Welten.  

«Es ist erstaunlich, wie real das Erlebnis in einer virtuellen Welt ist.»

Sie selbst haben den Fokus auf Finance und Metaverse. Was wird sich für Banken und Versicherer ändern?

Banken und Versicherer müssen sich neu erfinden. Ihre Rolle als Intermediäre wird zumindest im Dezentralen Finanzmarkt obsolet, aber Banken sind ja auch so etwas wie gesellschaftliche Pfeiler. Die Menschen haben nach wie vor grosses Vertrauen in die Banken und Versicherer und die meisten Banken sind sehr gut reguliert und machen ein sehr gutes Risiko-Management. Einige Banken sind bereits mit digitalen Assets vertraut, wie beispielsweise JP Morgan, die Bank Liechtenstein, die UBS oder Julius Bär. Die Banken in Korea sind schon sehr weit und nehmen ihre Kunden mit ins Metaverse, um sie so die gesamte „Costumer Journey“ im Metaverse erleben lassen. 

Je weiter die Entwicklung voranschreitet, desto grösser wird auch das Gefahren- und Missbrauchspotenzial. Was sind die grössten Gefahren im Metaverse? 

Das Gefahrenpotential wird vor allem deshalb grösser weil die Menschen nicht ausreichend mit den neuen Technologien vertraut sind. Deswegen ist es sehr wichtig, dass man den Menschen erklärt, wie es funktioniert und wie man sich vor Missbrauch schützt. Diesbezüglich mache ich mir vor allem Sorgen um unsere Generation. Die Jüngeren kennen das alle, die sind auf Roblox und anderen Communities aktiv und meistens ziemlich gut im Bilde. 

Wie hoch ist das Missbrauchspotenzial der neuen Technologien?

Extrem hoch, ähnlich wie im Internet und dort gibt es ja auch noch nicht alle Lösungen. Ich bin, was die Zukunft der virtuellen Welten angeht, sehr enthusiastisch und positiv, aber ich sehe natürlich auch die Fragen der Ethik, Cybersecurity und der Regulierung. Wie in der Vergangenheit bei anderen Innovationen, die unsere Gesellschaft verändert haben, hinken Regulatoren auch beim technologischen Fortschritt des Metaverse hinterher.  Deswegen ist es richtig und wichtig, dass die Akteure in den vielen offenen Vereinigungen und Kongressen zusammenkommen und die Erfahrungen und das Wissen austauschen.