Der Report « Insurance The Digital Paradox » von Epam stellt fest: Mit den User-Journeys der Versicherer liesse sich nicht einmal Sushi verkaufen. Dabei müssten die Online-Prozesse so viel einfacher und eingängiger gestaltet sein, denn beim Food-Lieferdienst ist der Käufer immerhin noch von einem körperlichen Bedürfnis motiviert, dem Hunger. Wer sich aber online mit komplexen Finanzprodukten beschäftigt, der muss um so besser beraten, begleitet und motiviert werden, damit er nicht vor dem Abschluss schon wieder abspringt. Während der «Usability-Score“»von Sushi-Restaurants im Durchschnitt bei 90 von 100 Punkten liegt, erreichen Versicherer beim Online-Vertragsabschluss nur klägliche 43 Punkte bei der Benutzerfreundlichkeit. Mobile Banking erreicht zum Vergleich mit 76 Punkten ein gutes Ergebnis. Durch diesen geringen Digitalisierungsgrad bei Versicherern ergeben sich Wettbewerbsvorteile für innovative Marktteilnehmer.
Versicherer liegen punkto Benutzerfreundlichkeit beim Online-Vertragsabschluss bei 43 von maximal 100 Punkten.
Das ist eines der Ergebnisse des Reports «Insurance: The Digital Paradox» von Epam. Er stützt sich auf eine empirische Studie mit gemischten Methoden, die von August bis November 2021 in der Schweiz durchgeführt wurde. Zunächst wurden im Rahmen der InsuranceCom Conference 2021 in Zürich 15 qualitative Experteninterviews mit Führungskräften von 12 Versicherungsunternehmen durchgeführt. Anschliessend wurde mit 145 Forschungsteilnehmern die digitale Customer-Journey eines Online-Versicherungsabschlusses auf den Webseiten von 12 Versicherungsunternehmen untersucht und in Beziehung zu anderen Branchen gesetzt.
Der Report hat einen Widerspruch zwischen der Einschätzung der befragten Versicherungs-Manager und der Untersuchung der Customer Journey unbefangener Nutzer verschiedener Altersgruppen aufgedeckt. In der Selbsteinschätzung vergaben die befragten Versicherungsmanager für den Online-Versicherungsabschluss einen Usability-Score von durchschnittlich 78 Punkten statt der erwähnten 43 Punkte bei der Nutzergruppe. Dies deutet auf eine Fehleinschätzung der eigenen Position hin. Die Versicherer halten sich für stark kundenorientiert und sehen sich durchschnittlich bei 5,8 von 6 Punkten im standardisierten UX Maturity Level. In Wirklichkeit liegen die untersuchten Angebote jedoch bei nur 3,8 Punkten.
Kundenorientierung mangelhaft
Die Technologien für den Online-Abschluss einer Versicherung sind zwar weitgehend etabliert, doch es mangelt an Kundenorientierung. Obwohl die Kunden den Online-Abschluss wünschen, schliessen sie ihn häufig nicht ab, da das Verfahren zu kompliziert ist. Dieses Versäumnis ist den Versicherern jedoch nicht ausreichend bewusst. Gerade die jüngeren Interessenten haben einen hohen Beratungsbedarf, sie erwarten beim Versicherungsabschluss eigentlich Prozesse wie beim Amazon-Shopping. 67 Prozent aller befragten Nutzer möchten vor dem Abschluss gerne mit einem menschlichen Berater sprechen – doch nur 16 Prozent der untersuchten Websites boten eine nahtlose oder halbwegs nahtlose Integration mit dem Berater im Kundenkanal an.
Ingo Weinem, VP und Global Co-Head of Insurance bei Epam, empfiehlt daher als Schlussfolgerung aus dem Report, dass für jeden potenziellen Kunden eine passende digitale Nutzererfahrung geschaffen werden müsse: «Die Customer Journey bei Versicherungen verändert sich mit der Geschwindigkeit der Technologie. Der Kern einer erfolgreichen Strategie liegt jedoch nicht in der Technologie selbst oder darin, wie schnell sie implementiert wird. Vielmehr kommt es darauf an, dass der Kunde versteht, wozu diese Technologie ihn befähigt.»
Zum Schluss leitet der Report aus den Ergebnissen zwölf wichtige Schritte zur Neugestaltung der Customer Journey ab, die sich alle darum drehen, den Kunden in den Mittelpunkt des gesamten Prozesses zu stellen. Die eingesetzten Technologien müssen sich in den Dienst der optimalen Beratung und Begleitung des Kunden im Verkaufsabschluss stellen. Schritt 12 empfiehlt schliesslich, dass auch die Führungskräfte der Versicherung in die Gestaltung der Kundenorientierung einbezogen werden sollten. Sie sollten unbedingt an Usability-Tests teilnehmen, damit sie ihren oft einseitig auf das Produkt gerichteten Blick auf die Bedürfnisse des Kunden lenken können.