Der Fachkräftemangel ist ein Fakt und stellt die Wirtschaft vor grosse Herausforderungen. Und trotzdem tut sich die Arbeitswelt schwer mit Teilzeitarbeit - primär in klassischen Männerberufen. Dabei werden erstmals mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer pensioniert, als neue in den Arbeitsmarkt eintreten – die Arbeitgebenden sind also mit einem zunehmend ausgetrockneten Arbeitsmarkt konfrontiert. 

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Bedürfnisse gewinnen an Bedeutung

Der Umbruch im Arbeitsmarkt betrifft jedoch nicht nur die Zahl der Arbeitskräfte, sondern auch deren Erwartungen und Anforderungen. Gerade weil sich aufgrund des Arbeitskräftemangels die Kräfteverhältnisse zugunsten der Arbeitnehmerschaft verschieben, gewinnen deren Bedürfnisse an Bedeutung.

Ein wichtiger und viel diskutierter Trend ist dabei die Teilzeitarbeit. Grundsätzlich sind Schweizer KMU der Teilzeitarbeit gegenüber positiv eingestellt. Das zeigen die Ergebnisse der aktuellen KMU-Arbeitsmarktstudie, welche die Axa in diesem Jahr zum zweiten Mal mit dem Forschungsinstitut Sotomo durchgeführt hat: Nur rund eines von zehn Unternehmen sieht keinen Nutzen in einem 80-Prozent-Pensum gegenüber einer Vollzeitanstellung. In Zeiten des Fachkräftemangels stellt sich zwar aus volkswirtschaftlicher Sicht zunehmend die Frage, ob sich die Schweizer Wirtschaft Teilzeitarbeit überhaupt leisten kann – Fakt ist aber, dass das Wunschpensum der Schweizerinnen und Schweizer über alle Altersgruppen hinweg im Teilzeitbereich liegt.

Hohe Untergrenze in Bezug auf Mindestpensum bei kleinen KMU

Das Problem: Teilzeit ist nicht gleich Teilzeit. «In der Debatte um Teilzeitarbeit wird oft generalisiert von Teilzeitarbeit im Allgemeinen gesprochen. Konkret macht es aber einen grossen Unterschied, ob mit Teilzeitarbeit ein 40- oder ein 80-Prozent-Pensum gemeint ist», erklärt Michael Hermann, Leiter Sotomo. Für die KMU-Arbeitsmarktstudie der Axa Schweiz wurden die Unternehmen deshalb gefragt, wie hoch das Arbeitspensum sein muss, damit Mitarbeitende ihre Aufgaben und Verpflichtungen vollumfänglich erfüllen können. Die Studienergebnisse zeigen: Die Untergrenze liegt bei kleinen KMU mit 5 bis 9 Mitarbeitenden bei einem mittleren 80-Prozent-Pensum und damit deutlich höher als bei mittleren und grossen KMU, bei denen auch ein mittleres 60-Prozent-Pensum ausreicht.

Am tiefsten ist das Mindestpensum mit 50 Prozent in Branchen mit einem hohen Frauenanteil wie dem Detailhandel, dem Erziehungswesen sowie dem Gesundheits- und Sozialwesen. «Die anhaltende Rollenverteilung der Haushalts- und Erziehungsarbeit führt dazu, dass Teilzeitarbeit in typischen Frauenberufen verbreitet und institutionalisiert ist, während die Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit in typischen Männerberufen nach wie vor beschränkt sind. Man kann sich also fragen, wie sehr die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit mit der Tätigkeit an sich zu tun hat und wie sehr mit den anhaltenden Rollenbildern», so Hermann.

Einfluss gesellschaftlicher Vorstellungen nicht zu unterschätzen

43 Prozent der befragten KMU begründeten das bei ihnen vorherrschende Mindestpensum mit einem erhöhten Koordinations- und Planungsaufwand, der bei einem tieferen Pensum anfallen würde. An zweiter Stelle nannten die Befragten die Erwartung der Kundschaft an die Präsenzzeit der Mitarbeitenden (41 Prozent). Nur ein gutes Drittel (35 Prozent) begründet das Mindestpensum damit, dass die Arbeit an sich eine gewisse Präsenzzeit erfordere. Während der erhöhte Koordinations- und Planungsaufwand bei niedrigprozentigen Pensen auf der Hand liegt, haben durch die Kundschaft erforderte Präsenzzeiten viel mit gesellschaftlichen Vorstellungen zu tun. Bei Unternehmen und Branchen mit einem hohen Mindestpensum stellt sich also ebenfalls die Frage, ob dies durch die Arbeit selbst bedingt ist, oder durch gesellschaftliche Vorstellungen über die Art und Weise der Ausübung eines bestimmten Berufs.

Viertagewoche erhält Gegenwind

Das Arbeiten in einem 80-Prozent-Pensum wird heute also weitgehend akzeptiert. Im Vergleich zur Vorjahresbefragung ist jedoch die Skepsis gegen eine gesetzliche Viertagewoche gestiegen: Während 2022 noch 39 Prozent der Befragten die Einführung einer allgemeinen Viertagewoche positiv beurteilten, ist der Anteil 2023 auf unter einen Drittel (31 Prozent) gesunken. «Der Rückgang der Zustimmung dürfte damit zu tun haben, dass die Viertagewoche im vergangenen Jahr zum medialen Thema geworden ist. Die Debatte hat offensichtlich die Skepsis unter den KMU genährt», so die Einschätzung von Michael Hermann. 

Die Studienergebnisse zeigen darüber hinaus, dass bei Schweizer KMU sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber herrschen, was die Einführung der Viertagewoche überhaupt bedeutet. Nur eine Minderheit der Befragten, nämlich 39 Prozent, versteht darunter die Reduktion der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn (Modell Lohnausgleich). 32 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass eine Viertagewoche bedeutet, dass die gleiche Stundenzahl wie heute in vier statt in fünf Tagen geleistet wird (Modell Arbeitszeitverlagerung). Weitere 30 Prozent gehen zwar von einer Reduktion der Stundenzahl pro Woche aus, jedoch bei gleichzeitiger Reduktion des Lohns (Modell Arbeitszeitausgleich).

Reduktion der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn

Bei jenem Teil der Befragten, der gegenüber der Viertagewoche positiv eingestellt ist, deckt sich die Vorstellung davon häufiger mit dem Lohnausgleichsmodell als bei den Skeptikern. 55 Prozent von ihnen, die sich für eine Viertagewoche aussprechen, verstehen darunter eine Reduktion der Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn. Insgesamt sprechen sich allerdings nur 17 Prozent für eine Viertagewoche mit gleichbleibendem Lohn aus. ««80-Prozent-Anstellungen sind heute breit akzeptiert.

Sotomo-Viertagewoche

Die Grafik zeigt das Verständnis für eine Viertageswoche.

Quelle: ZVG

Auf eine gesetzliche Viertagewoche und erst noch mit Lohnausgleich, wollen sich hingegen die wenigsten KMU einlassen», so Michael Hermann.  

Nur eine Minderheit setzt konkrete Massnahmen zur Frauenförderung um

Eine vieldiskutierte Strategie im Umgang mit dem Arbeitskräftemangel ist eine höhere Erwerbsbeteiligung der Frauen. Denn meist sind es nach wie vor die Frauen, welche einen grösseren Teil der Haus- und Erziehungsarbeit übernehmen und deshalb ihr Pensum reduzieren. Die Schweizer Wirtschaft wäre aber darauf angewiesen, dass Frauen in höheren Pensen arbeiten. Die Studienergebnisse zeigen, dass zwar 70 Prozent der befragten Unternehmen mit bestehender Geschlechterungleichheit versuchen, dem entgegenzuwirken. Nur wenige KMU ergreifen jedoch gezielte Massnahmen:  Am meisten verbreitet sind flexible Arbeitszeiten (36 Prozent) und die Ermöglichung von Teilzeitarbeit und Jobsharing (29 Prozent).

Sotomo-Massnahmen

Die Grafik zeigt Massnahmen zur Reduktion des Geschlechterungleichgewichts.

Quelle: ZVG

Diese beiden zentralen Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von familiären und beruflichen Verpflichtungen werden also nur von rund einem Drittel der KMU ergriffen, selbst wenn sie Defizite bei der Geschlechtergleichheit erkennen. Noch seltener sind gezielte Massnahmen wie die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Rekrutierung (18 Prozent) oder gezielte Förderprogramme (10 Prozent).  

Fokus auf niedrige Teilzeitpensen

Zwar erleichtern diese Massnahmen den Arbeitnehmenden, familiäre und berufliche Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen und erhöhen so die Erwerbstätigenquote weiblicher Arbeitskräfte.

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Durch den Fokus auf niedrige Teilzeitpensen fördern sie allerdings gleichzeitig eine insgesamt tiefere Erwerbsbeteiligung der Frauen.

Sotomo-Mindestpensen

Die Grafik zeigt das notwendige Mindestpensum nach Unternehmensgrösse und Branche.

Quelle: ZVG

«Gerade die letzten beiden Massnahmen könnten einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass Frauen nicht nur häufiger angestellt werden, sondern auch vermehrt Karriere machen und zu höheren Pensen arbeiten», sagt Michael Hermann.