Als Frau im Motorfahrzeuggeschäft, speziell mit Oldtimern, das ist ja eher etwas Ungewöhnliches. Wie sind Sie dazu gekommen, Frau Mettraux?
Durch meine Arbeit in der Versicherungsbranche bekam ich schon in sehr jungen Jahren die Chance, in Führungspositionen zu arbeiten. Bei der National Suisse wurde ich Leiterin der Motorfahrzeugabteilung. Ich hatte damals einen Mentor, der mich gefördert hat. Zu dieser Zeit war es ein Novum, eine Frau in dieser Leitungsposition einzusetzen. Heute wirkt ein solches Denken antiquiert. Und es erstaunt, dass das Thema Frau und Auto immer noch etwas Besonderes sein soll.

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Im Motorjournalismus heisst es, man müsse Benzin in den Adern haben. Wird man als Frau in diesem Sektor überhaupt ernst genommen?
Ich muss da mal mit einem Mythos aufräumen. Ich habe kein Benzin im Blut und trotzdem liebe ich meinen Job. Denn mich begeistern Versicherungen, meine Leidenschaft ist es, mit digitalen Mitteln die Kunden-Experience zu verbessern. Und als Frau wird man in diesem Sektor schon ernst genommen, gerade wenn sich Erfolge abzeichnen. Eine Genderdiskussion ist richtig und wichtig, aber wenn man einen guten Job macht, darf es keine Rolle spielen, ob man Mann oder Frau ist.

«Die Schweiz ist keine klassische Autonation, es gab keine Autoindustrie wie in Deutschland.»

Sie treiben die Geschäfte des deutschen Assekuradeurs OCC in der Schweiz voran. Wo sehen Sie Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz?
Die Schweiz ist keine klassische Autonation, es gab keine Autoindustrie wie in Deutschland. Deswegen ist die Beziehung zum Automobil weniger emotional geprägt, sondern eher pragmatisch. Man sieht hier das Fahrzeug auch nicht so sehr als Statussymbol wie in Deutschland. Was wir allerdings beobachten: dass sich die Oldtimerbesitzer in der Schweiz ihren Klassikern mit mehr Fürsorge widmen. Die Autos sind oft viel gepflegter als in Deutschland. Unser Ziel ist es, alle Oldtimerbesitzer in der Schweiz von OCC zu überzeugen und ähnlich stark wie in Deutschland und Österreich zu werden.

Sie planen, das Produktportfolio zu erweitern und weitere Märkte zu erschliessen. In welche Richtung soll denn die Reise gehen?
Wir sehen OCC als Ökosystem mit dem Dreh- und Angelpunkt Oldtimerversicherung in der Mitte. Das ist unsere Stärke seit 37 Jahren. In letzter Zeit steigt aber die Nachfrage in der Community nach weiteren Produkten wie Merchandising, deswegen haben wir kürzlich einen Onlineshop eröffnet. 

Zusammen mit Kundenbindungsinstrumenten wie dem Deutschen Oldtimer Club versuchen wir, Mitgliedern echten Mehrwert zu bieten. Darüber hinaus sind wir stark in der Eventsparte aktiv, treten als Veranstalter der ersten deutschsprachigen Online-Messe Classics to Click oder Rallyes wie der Küstentrophy auf. 

Aber auch beim reinen Versicherungsprodukt gibt es viele Ansatzpunkte für Neuerungen, zum Beispiel überlegen wir, künftig spezielle Rechtsschutzversicherungen oder Restaurationsversicherungen für Oldtimerbesitzer anzubieten. Unser Ziel ist es, dass künftig kein Weg an OCC vorbeiführt, wenn es um das Thema Oldtimer geht. 

Wir wollen zusammen mit unseren Partnern, zu denen mit Classic Trader auch einer der grössten europäischen Marktplätze für historische Automobile zählt, echten Mehrwert für unsere Kunden bringen.  

2019 fiel bei OCC sowohl der Umsatz als auch der Gewinn niedriger aus als geplant. Wie sind Sie durch das Corona-Jahr 2020 gekommen?
Wir sind mit dem letzten Jahr sehr zufrieden. Es war – trotz den Corona-Massnahmen – für uns ein gutes Jahr. Einerseits können wir ein überdurchschnittliches Prämienwachstum verzeichnen, auf der anderen Seite sind die Schadenzahlungen unter Vorjahresniveau, was sicher auch mit dem Lockdown im Frühjahr 2020 zusammenhängt. 

In der Lockdown-Phase hatten viele Zulassungsstellen geschlossen, der Handel mit Liebhaberfahrzeugen und Oldtimern brach in dieser Zeit ein, konnte sich anschliessend aber Stück für Stück wieder erholen. Die Menschen konnten nicht in den Urlaub fahren, so blieben sie zu Hause und genossen in ihrem Oldtimern die Ausfahrten in der Heimat oder hatten Zeit, ihr Vehikel auf Vordermann zu bringen.

«Oldtimerbesitzer nehmen sehr besonnen am Strassenverkehr teil und sind vorsichtige und gute Fahrer.»

Gab es Diskussionen zwischen OCC, dem Versicherer Provinzial und ihren Kunden zum Thema Schäden und Prämien? Das Schadenaufkommen war ja im vergangenen Jahr deutlich niedriger als üblich …
Nein, warum auch? Es ist doch eine positive Nachricht, wenn es weniger Schäden durch Unfälle oder Diebstähle gibt, oder etwa nicht? Es gab weniger Verletzte, weniger Zerstörungen, weniger Diebstähle. Das zeigt doch auch, dass Oldtimerbesitzer sehr besonnen am Strassenverkehr teilnehmen und vorsichtige und gute Fahrer sind.

Zu Jahresbeginn hat die Provinzial OCC vollständig übernommen, um mehr Gestaltungsfreiheit zu bekommen. Die Provinzial war ja als Versicherer schon seit 2018 mit 75 Prozent an OCC beteiligt. Was werden Sie verändern?
Wir sind froh, so einen renommierten und starken Partner an der Seite zu haben. Diese Konstellation ist für uns das ideale Fundament, um als etablierte Marke im Bereich Oldtimer und hochwertige Liebhaberfahrzeuge unsere Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. Die Provinzial unterstützt den weiteren Ausbau von OCC, weil sie den Charme, die Expertise und unseren Erfolg in diesem Segment erkannt hat. Die positive Story von OCC wird weitergeschrieben.

«Niemand verliert bei uns durch die Digitalisierung seinen Job, im Gegenteil.»

OCC investiert kräftig in die Digitalisierung. Werden Sie dadurch Kosten einsparen? Was sind die grössten Herausforderungen dabei?
Wir treiben die Digitalisierung nicht in erster Linie voran, um dadurch Kosten zu sparen. Das ist künftig vielleicht ein kleiner Nebeneffekt. Der Haupteffekt und das Hauptziel sind, unser Geschäft für Kunden transparenter und einfacher zu machen – und dadurch Wachstum zu generieren. 

Niemand verliert bei uns durch die Digitalisierung seinen Job, im Gegenteil. Durch den Wachstumseffekt brauchen wir ständig neue, qualifizierte und hochspezialisierte Mitarbeitende, die Belegschaft wuchs in den letzten zwölf Monaten um fast 20 Prozent. Das sind grosse Investitionen, die aber nötig sind und die sich auch bezahlbar machen.

Und wie sieht es mit den digitalen Schnittstellen zu den Versicherern aus? Das Problem ist in der Schweiz nicht geringer als in Österreich und Deutschland …
Diese Thematik ist sehr divers. Die Implementierung von Schnittschnellen erfordert sehr viel IT-Aufwand, Zeit und Geld, damit Kunden in den Genuss eines reibungslosen und schnellen Ablaufs einer Online-Versicherung kommen. Wir sehen aber bei vielen Versicherern den Trend zu flexiblen API, die mehr Spielraum zulassen. Da ist ein Umdenken zu beobachten.

«Generell stellen wir mit Freude ein grosses Interesse an unseren neuen Online-Aktivitäten fest.»

OCC hat im April vergangenen Jahres eine neue digitale Antragsstrecke lanciert. Wie wird sie angenommen?
Generell stellen wir mit Freude ein grosses Interesse an unseren neuen Online-Aktivitäten fest. Unsere Social-Media-Kanäle haben inzwischen eine Reichweite von 2 Millionen Views, die neue Online-Antragsstrecke wurde über 55’000-mal aufgerufen, unsere Website hatte eine Viertelmillion Unique User. Das zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Von wem bekommt OCC sein Geschäft und wie viel machen Sie direkt?
45 Prozent bekommen wir direkt vom Endkunden, 55 Prozent laufen über Makler und Vermittler. Letztes Jahr konnten wir allein in Deutschland über 21’000 neue Policen abschliessen.

Frau Mettraux, Sie sind im Sommer 2019 nach Lübeck gezogen, in den hohen Norden Deutschlands. Was gefällt Ihnen dort am meisten und was vermissen Sie?
Ich muss das korrigieren, ich arbeite in Lübeck, hier ist die OCC-Zentrale, aber ich wohne mit meiner Familie in Hamburg. Beide Städte sind sehr schön, wobei man Lübeck fast als Hamburg im Miniaturformat sehen kann. Ich schätze die Nähe zum Wasser, zum Meer. Dann die Weite. Hamburg ist eine Handelsweltstadt mit viel Kultur, Lübeck hat ebenfalls eine Historie als Handelsstadt. Es gibt viel Kultur und auch meine Kinder fühlen sich in Hamburg wohl, obwohl ihr Schwyzer Dialekt im Kindergarten oft für Erstaunen und Heiterkeit sorgt. Ich vermisse natürlich meine Freunde, die Berge und die kurzen Wege. Und ganz besonders meine geliebte Rivella …

Noch eine letzte Frage: Werden Sie an der OCC-Küstentrophy in Bremerhaven teilnehmen? Und in welchem Auto?
Ja, ich werde natürlich teilnehmen. Diesmal in einem roten MGB Roadster aus dem Jahr 1974 mit 95 PS. Der Flitzer ist klein, aber fein.