Es ist eine Zeit der Umbrüche, auch für die Schweizer Versicherer, deren Geschäftsmodell sich komplett verändern wird. Erste Schritte sind bereits getan und geben einen Vorgeschmack auf die Transformation, die umfassender sein wird, als man derzeit noch erahnt. Die Disruption betrifft Kundenansprache, Kundenbetreuung, Vertriebswege und reicht bis tief in die Produktgestaltung. Durch die Digitalisierung erodieren traditionelle Kundenbeziehungen. Sie werden durch digital getriebene Vertriebsmodelle ersetzt. Das Marketing der Versicherer wird durch die schleichende Revolution ihre Kundenansprache neu definieren müssen.  

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Digitalisierung verändert Geschäftsmodelle und Produkte

Schaut man auf die Realität des Versicherungsgeschäfts, so ist von einer Revolution jedoch nicht viel zu sehen. Versicherung abschliessen ist für Schweizerinnen und Schweizer nach wie vor eine Sache, die sie mit dem Agenten oder dem Broker erledigen. Aggregatoren, Direktversicherer oder gar Internetkonzerne tauchen auf dem Versicherungshorizont der Schweizer ganz weit hinten auf (siehe Der persönliche Kontakt ist Trumpf). «Der persönliche Kontakt spielt immer noch eine sehr wichtige Rolle beim Abschluss neuer Versicherungen», konstatiert Martin Bettschart vom Marktforschungsinstitut Link nach einer jüngsten Umfrage zum Versicherungsverhalten der Eidgenossen.

Dies mag Wasser auf die Mühlen der Traditionalisten im Versicherungssektor sein. Schaut man sich jedoch an, was die Digitalisierung in anderen Branchen angerichtet hat, so wird deutlich, was sich auch hier anbahnt. Der Musikvertrieb ist vom Plattenladen zu Streaming-Diensten gewandert und die Digitalkonzerne wetteifern hier um die Vorherrschaft. Produkte und Geschäftsmodelle der Musikindustrie haben sich zum Teil komplett verändert. Ein ähnliches Bild bietet das Tourismusgeschäft. Die Vermittlung von Flugreisen und Reiseunterkünften ist vom Reisebüro und von der lokalen Tourismusinformation zu Internetportalen gewandert, die mit durchdigitalisierten Geschäftsmodellen die Betreuung der Partner aus der Gastronomie optimieren und die Marketingaktivitäten entsprechend steuern. Der Detailhandel wird hart vom E-Commerce konkurrenziert, der inzwischen fast 10 Prozent des Umsatzes an sich gerissen hat, mit Wachstumsraten von 9 Prozent und mehr jedes Jahr. 

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In der nächsten Folge der Artikelserie «Disruption in Action – Digitales Marketing in der Assekuranz» geht es darum, wie der Omnikanalvertrieb die Rolle von Versicherungsagenten verändert. Online am Montag, 11. Januar auf HZ Insurance.

Siegeszug der Portale und Aggregatoren

Um die Dynamik besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf Grossbritannien. Britische Versicherer haben es mit einer preissensitiven Versicherungsnehmerschaft zu tun. Der Direktvertrieb über Internetportale und Aggregatoren bringt bereits einen Drittel des Neugeschäfts der britischen Schadenversicherer. Der Aufstieg des Niedrigkostenversicherers Admiral zum grössten Autoversicherer des Landes (Marktanteil: 15,2 Prozent) verdankt sich vor allem dem Preisvergleichsportal Confused.com und einer Reihe weiterer Portale, die der Versicherer in Eigenregie betreibt. Auf dem heftig konkurrenzierten deutschen Markt ist der reine Internetversicherer Huk24 innerhalb von 18 Jahren zum zwölftgrössten Autoversicherer gewachsen. Der von Versicherern unabhängige Aggregator Check24 ist dort zum Market-Maker im Geschäft mit Autoversicherungen geworden. Dank seinem hohen Bekanntheitsgrad hat der Schweizer Aggregator Comparis gute Chance, eine ebenso bedeutende Rolle einzunehmen wie Check24 in Deutschland.

Grossbritannien war das erste Land, in dem sich Versicherungsvertrieb im Supermarkt etabliert hat. Das Konzept wurde in Deutschland getestet, aber hatte keinen Erfolg, doch in Dänemark und Schweden ist der Supermarktvertrieb ein wichtiger Bestandteil im Vertriebsmix der Versicherer. Die schwedische ICA Försäkring der landesweit grössten Supermarktkette ICA ist der wachstumsstärkste Versicherer des Landes und sein Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft.

Erste Experimente mit digitaler Bancassurance

Bislang ist der Verkauf von Versicherungen eine Sache von Generalagenten, Brokern und Banken. Doch sie werden sich der Konkurrenz durch Aggregatoren, Online-Shops und Supermärkte wehren müssen. Grosse Aufmerksamkeit schenken die Schweizer Versicherer derzeit dem digitalen Bankenvertrieb. Mit einem Marktanteil von geschätzt 1 Prozent spielt die Bancassurance bislang eine marginale Rolle. Doch jetzt haben die Mobiliar, Axa, Swiss Re/Iptiq und das zur Helvetia gehörende Insurtech Smile neue Bancassurance-Intitiativen gestartet, die alle eine starke digitale Komponente haben (Bancassurance 2.0 ermöglicht durch Friendsurance). Banken haben eine höhere Kontaktfrequenz mit ihren Kunden und verfügen als finanzielle Lebensbegleiter über eine viel bessere Datengrundlage für das individuelle Risikomanagement als Generalagenten durch ihren Kundenkontakt. 

«Die digitalen Kanäle setzen sich dann durch, wenn die Margen eng werden», sagt Nils Hafner, Professor für Finanzdienstleistungsmanagement an der Hochschule Luzern. «Das gilt vor allem im Kontakt mit jüngeren Kunden oder solchen, die wenig Zeit und Lust haben, sich mit Versicherungsfragen auseinanderzusetzen.» Weil Versicherung ein Low-Involvement-Produkt ist, setzen viele Insurtechs auf Annexvertrieb, bei dem Versicherung Bestandteil des Produktes ist. Das kann ein Elektrogerät sein, ein Auto, eine Flugreise und viele andere materielle und nicht materielle Produkte. Die Helvetia sammelt im Annexvertrieb erste Erfahrung und versichert in Kooperation mit dem Startup Adresta Secondhand-Uhren. «Die wenigsten Kunden wachen halt morgens auf mit dem Gedanken ‹Yeah, heute kann ich endlich wieder mit meiner Versicherung sprechen›», sagt Hafner. Annexvertrieb ist deshalb die konsequente Antwort auf die Digitalisierung.

Marketing wandert vom Agenten zur Zentrale

Es ist ein vorsichtiges Vortasten, was jetzt am Schweizer Versicherungsmarkt zu beobachten ist. Schaut man auf die Medienbranche, so wird deutlich, welche Dynamik der digitale Wandel entwickelt hat. Das aus dem Print-Medium «Schweizer Versicherung» entstandene Portal HZ Insurance ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie umfassend und wie schnell ein Umbruch erfolgen kann, und das mit Erfolg. Vertrieb, Produkt und Marketing sind haben sich komplett verändert. Was bleibt, sind der Nutzen und die Funktion: Vermittlung von Wissen und Information.

Durch die einsetzende digitale Disruption der Vertriebswege wird sich das Marketing vom Generalagenten und Broker zum Versicherer verlagern. Über moderne Datentools verfügt die Zentrale über Marketing-Möglichkeiten, die der Generalagent vor Ort selbst bei konsequenter Bestandsarbeit niemals erreichen kann. Nur ein Beispiel: Die Mobiliar nutzt die Dienste des Berliner Data-Analytics-Unternehmen Statice, das Kundendaten anonym analysiert, um Bestandskundenmanagement (Storno, Beschwerdemanagement) und Neukundengeschäft zu optimieren. Mit der Einführung des neuen Mobilstandards 5G wird das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) enorm an Fahrt aufnehmen. Die zu erwartende IoT-Welle wird dem digitalen Marketing einen weiteren Schub verleihen.