Der Hype um den Begriff InsurTech ist in der Versicherungswelt längst allgegenwärtig. Auch in der Schweiz befindet sich der Markt in Bewegung und zahlreiche InsurTechs werden gegründet, haben sich bereits etabliert oder wurden – zumindest teilweise – aufgekauft. Selbst traditionelle Versicherer gründen eigene, möglichst unabhängige Start-up-Unternehmen.

Dennoch wird auch das Potenzial externer InsurTechs von der Branche erkannt. Versicherer gründen nicht nur neue Start-ups, sondern betreiben aktiv Inkubationsplattformen, um potenzielle Investments – bevorzugt Totalakquisitionen – zu prüfen und Kooperationen einzugehen. Offen ist, welche Potenziale solche Kooperationen für Versicherungsgesellschaften und InsurTech-Start-ups mit sich bringen und wie diese möglichst erfolgreich gestaltet werden können.

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Technologisches Know-how

Im Rahmen einer studentischen Expertenstudie der HSG zeigt sich, dass unterschiedliche Potenziale in der Zusammenarbeit von Versicherern und InsurTechs bestehen. Erkennbar wird das Potenzial vor allem bei der Erschliessung neuer Technologien und der Implementierung von Innovationen, insbesondere für den optimierten Umgang mit Daten. Diese können im Kerngeschäft wie dem Underwriting oder in andern Bereichen wie der Betrugserkennung Anwendung finden.

InsurTechs verfügen über eine grosse Bandbreite an Technologien, die in verschiedenen Feldern eingesetzt werden können. Diese Lösungen, z.B. im Bereich der Digitalisierung oder der Analyse von Big Data, ermöglichen eine Senkung der administrativen Kosten von Versicherungsgesellschaften. Auch an der digitalen Kundenschnittstelle haben sich mittlerweile etliche Start-ups oder Vergleichsplattformen erfolgreich positioniert. Für Versicherer ist es zwingend notwendig, sich einen Zugang zur wachsenden digitalen Kundenschnittstelle zu verschaffen, was beispielsweise durch die Kooperation mit passenden InsurTech-Start-ups geschehen kann.

Ebenfalls zeigt sich das Potenzial in der Agilität von InsurTechs. Durch ihre reduzierte Grösse und den Fokus auf bestimmte Problemstellungen können InsurTechs extrem flexibel auf dem Markt agieren. Aufgrund dessen ist es vielfach einfacher, ein Projekt oder einen Pilotversuch (beispielsweise für ein neues, digitales Produkt) mit einem InsurTech durchzuführen, als alle notwendigen Prozesse intern in Gang zu setzen. Generell erhalten Versicherungsunternehmen durch InsurTechs auch Zugang zu (neuen) Daten, die anderswo nicht verfügbar wären, sowie einen Zugang zu Kunden, neuen Märkten und Talent, der intern nicht aufgebaut werden kann. Zuletzt werden die Kooperationen auch zu Marketingzwecken zum Beispiel für das Employer Branding genutzt. Versicherer versuchen sich dadurch im digitalen Zeitalter modern zu positionieren.

Als Konsequenz der Innovationsfähigkeit von Start-ups geraten Versicherer aber auch unter Druck. Zukünftig stellt sich für sie die Frage, in welche Richtung Innovation betrieben werden sollte. Es besteht in vielen Bereichen die Gefahr, dass Versicherungsprodukte nur noch als Add-on gekauft werden, wie dies beispielsweise bei Flugreisen oder der Miete von Autos gegenwärtig schon der Fall ist. Etablierte Player müssen diese Szenarien aktiv hinterfragen und alternative Geschäftsmodelle entwickeln, prüfen und umsetzen.

Abhängig von der Wahl des Geschäftsmodells kann schon die Legitimation eines InsurTechs auf dem Markt Kooperationen mit etablierten Versicherungsunternehmen bedingen. Gerade Broker sind per se auf die Kooperation angewiesen, da sie Zugang zu Versicherungsverträgen benötigen. Ausserdem können viele InsurTechs aufgrund fehlender Lizenzen keine eigenen Produkte verkaufen und sind daher auf die Versicherungsprodukte etablierter Unternehmen angewiesen.

Erfahrung als Vorteil

Unverkennbar ist das Potenzial auf der Ressourcenseite. Die InsurTechs können in zahlreichen Bereichen von der Finanzstärke der Versicherer profitieren. Für die Start-ups gilt: Je schneller eine kritische Grösse erreicht ist, desto schneller kann sich das Geschäft etablieren und desto konkurrenzfähiger ist es. Ein aus der Grösse der Versicherer resultierender Vorteil sind deren umfassende Kundenbasen. Mit diesen kann eine Geschäftsidee schnell und relativ unkompliziert in einem grossen Umfang getestet werden. Es erweist sich als wichtig, schnell zu wissen, ob ein Geschäftsmodell funktioniert oder nicht. Dafür können Versicherungsunternehmen die richtigen Ansprechpartner sein. Auch die enorme Menge an Daten, über welche Versicherer verfügen, ist dabei hilfreich.

Bei potenziellen Kooperationen können die InsurTechs aber auch auf Know-how zurückgreifen. Da sich zahlreiche Start-ups stark auf bestimmte Teile der Wertschöpfungskette fokussieren, wird die Sicht auf das «Grosse Ganze» teilweise vernachlässigt. Die Versicherungsgesellschaften bieten ausserdem eine umfassende Infrastruktur, die es ermöglicht, Tätigkeiten aufzuteilen. Bürokratische Prozesse wie Compliance- und Personalfunktionen können von Versicherungsdienstleistern übernommen werden. Somit kann sich das InsurTech auf seine Kernkompetenzen konzentrieren und die Agilität aufrechterhalten.

Durch die Zusammenarbeit mit einem Versicherer wächst ausserdem das Netzwerk und das Ökosystem, auf welche Start-ups als Kooperationspartner zurückgreifen können. Es wird einfacher, an Entscheidungsträger und weitere potenzielle Partner heranzutreten. Dies ermöglicht auch einen Imagetransfer. Durch die fehlende Kapitalstärke vermissen InsurTechs oft das Vertrauen potenzieller Kunden. In vielen Kooperationen steht heutzutage die Versicherungsgesellschaft als Risikoträger im Hintergrund, wodurch das Misstrauen der Kunden teilweise wegfällt. Zuletzt können InsurTechs auch von regulatorischer Seite von Versicherungsunternehmen profitieren. Insbesondere Kapitalanforderungen können von Start-ups oft nicht von Beginn weg erfüllt werden, wobei finanzstarke Versicherer Rückhalt bieten können.

Abgesehen von den Potenzialen, die sich spezifisch einer der Parteien bieten, existieren auch einige, von denen beide Kooperationspartner gleichermassen profitieren können. Wenn ein traditioneller Versicherungsdienstleister mit einem jungen, dynamischen Start-up kooperiert, treffen Innovation und Tradition direkt aufeinander. Durch die direkte Kollision der Geschäftskulturen werden externe Sichtweisen in beide der kooperierenden Unternehmen eingebracht. Diese Konstellation schafft Synergiepotenziale, die bewusst genutzt werden sollten; insbesondere in der Entwicklung von Versicherungsprodukten. Durch die Kooperation wird es einfacher, modulare und personalisierte Angebote für Kunden zu schaffen. In der Produktentwicklung können Start-ups besonders dazu beitragen, Produkte ideal für die Vermarktung über digitale Zugangswege zu adaptieren. Im Endeffekt kann der Kunde von einem transparenten Versicherungsökosystem profitieren, das individuellere Angebote in verschiedenen Lebensbereichen bietet.

Strategischer Fit als Muss

Neben den Potenzialen für eine Zusammenarbeit von Versicherern und InsurTechs wurden in der studentischen Expertenstudie auch Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren untersucht. Zunächst müssen beide Parteien Offenheit und gegenseitiges Verständnis mitbringen. Fehlt das richtige Mindset, können sich keine stabilen zwischenmenschlichen Beziehungen entwickeln. Diese sind jedoch besonders im Zusammenhang mit der Klärung gemeinsamer Ziele und Strategien von Bedeutung. Der strategische Fit zwischen den Kooperationspartnern ist ebenfalls unabdingbar. Eine klare Unique Selling Proposition ist wichtig, um zu erkennen, ob ein solcher Fit besteht und die Geschäftsidee des InsurTechs zu einer neuen Versicherung führt oder in eine bestehende integriert werden kann.

Der aktiven Kommunikation zwischen den Parteien kommt ebenfalls eine zentrale Rolle zu. Im Rahmen dieser ist es zentral, dass die Kernkompetenzen beider Parteien, vor allem aber des InsurTechs, bekannt sind und transparent nach aussen getragen werden. Nur so können sich etablierte Versicherungsdienstleister sicher sein, dass eine Win-win-Situation für beide Seiten entsteht. Zuletzt ist es von zentraler Bedeutung, dass sich InsurTechs mit regulatorischen Voraussetzungen des Marktes auskennen und diese einhalten. Dies mag trivial klingen, wird aber in der Praxis oft vernachlässigt.

Transparente Kommunikation

Besteht die Kooperation, gilt es ebenfalls verschiedene Erfolgsfaktoren zu beachten. Einige hängen eng mit den zuvor beschriebenen Voraussetzungen zusammen. Offenkundig ist, dass der strategische Fit auch während der Kooperation bestehen bleiben sollte, da ohne eine gemeinsame Zielsetzung eine Kooperation wenig Sinn macht. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sowie gegenseitiges Verständnis und Vertrauen werden infolge der engeren Zusammenarbeit immer wichtiger. Es liegt auf der Hand, dass es durch das Zusammenkommen der beiden verschiedenen «Welten» auch zu Widersprüchen kommt. Diese erzeugen positive Reibungspunkte, die zu einem neuen Denken führen und zusätzliche Energie für die Zusammenarbeit freisetzen. Dabei bildet eine transparente Kommunikation die Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Es ist erneut zentral, ein gemeinsames Verständnis für die Ziele und Strategien zu schaffen. Gerade deshalb sollten Hierarchiefragen von Beginn an geklärt und Kompetenzen klar geregelt werden. Dadurch können zukünftige Missverständnisse vermieden werden. Des Weiteren ist es wichtig, dass  die Kooperationsprojekte genügend Beachtung von der höchsten Hierarchieebene erhalten und von dieser vorangetrieben werden, damit Koope-rationen erfolgreich funktionieren können.

Eng mit den hierarchischen Dimensionen geht die Frage nach der Unabhängigkeit des Start-ups einher. Im Idealfall behält das InsurTech seine Unabhängigkeit und wird von dem Versicherer lediglich mit den nötigen Ressourcen – ob diese finanzieller oder personeller Art sind oder durch Know-how-Transfer entstehen, sei dahingestellt – unterstützt. Nicht zuletzt deshalb, da das InsurTech dadurch seine Dynamik behält und seine Kernkompetenzen konsequent einsetzen kann. Die Gründung von Start-ups durch Versicherungsgesellschaften oder die Einrichtung von Innovationsabteilungen zeigen, dass solche Ansätze in der Praxis auch intern angestossen werden. Dabei gilt es auf die zentrale Rolle der Umsetzungsgeschwindigkeit von Projekten zu achten, da den Versicherern oftmals der Sinn für die Dringlichkeit fehlt. Um festzustellen, ob eine Idee funktioniert, sollten Projekte schnell umgesetzt und an der Kundenbasis getestet werden. Nur so ist ersichtlich, ob mit dieser Idee ein Kundenbedürfnis befriedigt werden kann und es sich lohnt diese weiterzuentwickeln. Dafür müssen die Versicherungsunternehmen über einen unbedingten Umsetzungswillen verfügen.

Nicht zuletzt ist auch die Einfachheit des Produktes oder der Dienstleistung erfolgsentscheidend. Die neuen Lösungen sollten generell auf standardisierte, modulare Versicherungsprodukte und -verträge zurückgreifen, da komplexe Verträge schlecht digitalisiert werden können und weiterhin eine individuelle Behandlung verlangen. Nur unter dieser Voraussetzung ist Insurance Technology per se überhaupt erfolgsversprechend.

Fazit

Die Zusammenarbeit zwischen InsurTechs und Versicherungsdienstleistern bietet für beide Seiten vielfältige Potenziale. Start-ups bringen agile Geschäftsmodelle und innovative Technologien mit. Versicherungsunternehmen können vor allem durch ihre Erfahrung, ihr Know-how und durch finanzielle Ressourcen zur Partnerschaft beitragen. Im Idealfall können neue Versicherungsprodukte und Ökosysteme geschaffen werden, von denen die Endkunden profitieren.

Für eine erfolgreiche Zusammenarbeit sind einerseits persönliche und administrative, andererseits strategische Faktoren von Bedeutung. Strategische Ziele sollten von Anfang an geklärt und transparent kommuniziert werden. Ausserdem sind weitere Faktoren, wie die Unabhängigkeit der InsurTechs und die Umsetzungsgeschwindigkeit von Projekten, für eine erfolgreiche Kooperation von hoher Wichtigkeit.

 


PROF. DR. PETER MAAS lehrt und forscht an der School of Management der Universität St. Gallen und ist Mitglied der Geschäftsleitung des I.VW-HSG; ROMAN WYSS studiert BWL an der HSG; DR. PHILIPP STEINER ist Projektleiter und Postdoc Researcher am I.VW-HSG.
Die Basis dieses Artikels bildet eine studentische Expertenstudie, die in Begleitung des Instituts für Versicherungswirtschaft IVW an der Universität St. Gallen veröffentlicht wurde. Im Rahmen der Untersuchung wurden 21 Branchenex-pertInnen von neun InsurTechs und zehn Versicherungsgesellschaften befragt. Unter diesen befanden sich Universal-, Sach-, Rück- sowie Lebensversicherer.