Rückversicherer haben besondere Anforderungen an die Fähigkeiten und Kompetenzen von Mitarbeitenden. Was bringen sie fürs Unternehmen?

Mitarbeitende mit den richtigen Fähigkeiten und Fachkompetenzen im Unternehmen zu haben, war und ist für ein stark wissengetriebenes Geschäft wie die Rückversicherung sehr wichtig. Besonders aktuell ist die Frage, weil der Druck zur Veränderung in den vergangenen fünf Jahren deutlich gestiegen ist. Es entstehen neue Geschäftsmodelle, neue Strukturen, neue Wettbewerber, neue Kundenbedürfnisse und auch neue regulatorische Anforderungen. Rückversicherer müssen sich darauf vorbereiten. Dies gilt auch für die Versicherungsbranche allgemein.

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Dr. Uwe Carl ist Leiter des Product Centers Credit & Surety bei der Swiss Reinsurance Company mit langjähriger Erfahrung in den Bereichen Underwriting, Risikomanagement, Governance, Compliance, Produktentwicklung und Training. Zugleich ist er Dozent am Institut für Risk & Insurance an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Seine Schwerpunktthemen sind die Rückversicherungswirtschaft sowie Strategie- und Kompetenzentwicklung in Versicherungsunternehmen.

Die Frage der «richtigen» Fähigkeiten ist ein weites Feld. Wo setzt die Studie Akzente?

In der ZHAW-Studie «Zukünftige Skills-Profile in der Rückversicherung» habe ich fünf Einflussfaktoren definiert, die auf vier mögliche Szenarien einwirken. Die Einflussfaktoren sind das Kundenverhalten, makroökonomische Entwicklungen, Veränderungen in der Risikolandschaft, digitale Technologien sowie alternative Marktstrukturen. Sie bestimmen, welche Fähigkeiten und Qualifikationen im Unternehmen vorhanden sein müssen, damit es adäquat am Markt agieren kann. 

Wird die Marktentwicklung zum Beispiel vorwiegend durch neue Risiken getrieben, braucht man andere Skills, als wenn neue Geschäftsmodelle den Markt umwälzen. Die notwendigen Fähigkeiten ergeben sich also aus der Frage: Was brauchen wir zur Erreichung der jeweiligen Geschäftsziele?

Welche zukünftigen Fähigkeiten stehen im Zentrum?

Die erforderlichen Skills lassen sich in drei Hauptgruppen aufteilen: fachliche Skills, die häufig vorhanden sind, jedoch stetig gepflegt werden müssen; digitale Skills, bei denen wir noch am Anfang stehen; und dann die Softskills: Wie arbeiten wir bereichsübergreifend zusammen? Wie nutzen wir Diversität? Wie fördern wir Neugier und Offenheit, aber auch Resilienz und Selbstbewusstsein, um mit dem erhöhten Veränderungstempo mithalten zu können? Bei den Softskills besteht meiner Meinung nach der grösste Nachholbedarf.

Stichwort Digitalisierung: Wie viel Spezialistenwissen ist hier künftig erforderlich und in welchen Feldern?

In der Studie habe ich drei Qualifikationsniveaus unterschieden. Im Basic Niveau geht es um die Fähigkeiten, digitale Tools effektiv zu nutzen. Dazu gehören auch das Arbeiten in der Cloud sowie ein solides Wissen zu Themen wie Data Governance oder Cyber Security. 

Auf einem fortgeschrittenen Niveau kommen zum Beispiel Fähigkeiten rund um komplexere Datenanalysen dazu, von der Erhebung und Interpretation bis hin zur Visualisierung von Daten beziehungsweise Ergebnissen. Auf Spezialisten-Niveau sind schliesslich Fähigkeiten wie Data Science und Architecture, Predictive Modelling oder Geodaten-Modelling gefordert. 

Lücken auf Spezialistenniveau können meist nur durch gezieltes Recruiting oder durch Zusammenarbeit mit externen Experten gelöst werden. Reines «Upskilling» von Mitarbeitenden reicht hier zumeist nicht aus.

Was sollten Unternehmen beim «Upskilling» beachten?

Beim Upskilling geht es um den richtigen Mix aus interner und externer Weiterbildung. Interne Weiterbildung kann sehr effektiv sein und eine Kultur des Wissensaustausches fördern. Man sollte aber sicherstellen, den Blick auch nach aussen zu richten, sonst droht irgendwann die Nabelschau. 
Ein weiterer Punkt ist, dass Upskilling keine Stop-and-go-Massnahme sein darf. Einmalige Ad-hoc-Schulungen reichen schlicht nicht aus. Und schliesslich muss immer der Bezug zur Geschäftsstrategie und ihren Zielen bestehen und die Ausbildung angepasst werden.

An Bildungseinrichtungen wie dem ZHAW Institut für Risk & Insurance ist die Zahl der Studierenden seit einigen Jahren weitgehend konstant. Wird die Bedeutung von Weiterbildungen noch unterschätzt?

In der Studie über Skills-Profile liess sich belegen, dass die Mitarbeitenden die Situation durchaus verstanden haben. Es zeigten sich aber unterschiedliche Reaktionen: Die einen warten noch ab, wohin die Reise geht. Die anderen werden aktiv, auch wenn die Lage nicht klar ist. Was zurzeit noch häufig fehlt im Bildungsmanagement, ist die Unterstützung durch das Linienmanagement ‒ vor allem, wenn es darum geht, die für Weiterbildung notwendige Zeit zur Verfügung zu stellen. 

Die Zurückhaltung hat aber auch damit zu tun, dass es an einem unternehmensweiten Überblick mangelt, welche Skills vorhanden sind und welche in Zukunft gebraucht werden. Ohne eine solche Gap-Analyse ist das Senior Management verständlicherweise zurückhaltend, Zeit- und Geldbudgets für Weiterbildungen zu öffnen. 

Ist die Bedeutung von Weiterbildung nicht längst angekommen in den Unternehmen?

Doch, schon. Das Verständnis dafür, dass lebenslanges Lernen gefördert werden muss, ist da und fliesst in die strategische Planung ein. So sind wir zum Beispiel auch bei der Swiss Re daran, gezielt Lücken durch externe Kurse aufzufüllen. Die Nachfrage nach spezifischen Weiterbildungen wird künftig steigen. 

Nicht alle Lücken können allerdings durch externe Weiterbildungskurse geschlossen werden. Auch über gezieltes Recruiting oder die Zusammenarbeit mit entsprechenden Unternehmen wie Insurtechs oder Datenanalytik-Firmen lassen sich Skills-Defizite beheben; ebenfalls mit interner Weiterbildung.

Angesichts einer immer komplexeren und dynamischeren Welt wird Orientierung durch eine wertebasierte Firmenkultur immer wichtiger. Kann diese «gelehrt» werden? Oder entscheidet sich dies über die Frage, wen man einstellt?

Ich denke, dass es kein Entweder-oder bei dieser Frage gibt. Softskills können nur beschränkt gelehrt werden; dies funktioniert eher über Vorbilder und die gelebte Firmenkultur. Vermutlich können aber auch die «Hard Skills» nicht von null aufgebaut werden. Nur noch hochmotivierte Mitarbeitende ohne Business-Wissen anzustellen, scheint mir nicht sinnvoll.