Nachhaltigkeit ist das Gebot der Stunde – auch in der Finanzwelt. Dabei ist «Sustainable Finance» mehr als ein Trend. Es ist eine politische und wirtschaftliche Agenda. Der Schweizer Bundesrat, internationale Organisationen und die Privatwirtschaft sehen darin eine Chance, den Finanzplatz neu auszurichten und dadurch die Erreichung der Pariser Klimaziele zu unterstützen. Die Massnahmenpalette reicht von gesetzlichen Offenlegungspflichten über Ausschlüsse bis hin zu grünen Anleihen. Doch der Realitätscheck zeigt: Manche dieser ambitionierten Ziele könnten kontraproduktiv wirken.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Gastautor Michele Salvi ist Chefökonom des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV.

Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht

Schon die grundlegendsten Annahmen entpuppen sich in der Praxis jedoch schnell als Stolpersteine. So scheint der Ausschluss emissionsintensiver Branchen aus grünen Portfolios ein «No-Brainer» zu sein. Bei genauerer Betrachtung wirft er aber praktische Fragen auf: So könnte ein Ausschluss der – notorisch CO2-intensiven – Zementindustrie paradoxerweise gerade Investitionen in dringend notwendige Innovationen zur CO2-Reduktion blockieren. Ähnlich verhält es sich bei der Rüstungsindustrie: Für viele ebenfalls eine klare Sache – und doch kann der Ausschluss von Waffenherstellern im Widerspruch zur sozialen Notwendigkeit von Sicherheit und Stabilität stehen.

Das ruft nach Ausnahmen. Denn eine allzu einfache Unterteilung in «nachhaltig» und «nicht nachhaltig» wird der Komplexität und Dynamik der realen Wirtschaftswelt offenkundig nicht gerecht. Doch dieses berechtigte Anliegen öffnet die Büchse der Pandora: eine Einladung für Lobbyismus und Geopolitik – und Dünger für die EU-Bürokratie. Die EU-Taxonomie versinnbildlicht diese Sorge in geradezu karikaturistischem Ausmass. Sie umfasst mittlerweile über 600 Seiten.

Daten als Achillesferse

Sind die Kriterien der Nachhaltigkeit einmal festgelegt, bleibt die Datenqualität als weiterer Stolperstein. Denn eine solide Datenbasis ist das A und O für eine fundierte Umsetzung der gesteckten Ziele. Und so sollen Grosskonzerne wie KMU gleichermassen auch nicht mehr «nur» Emissionsdaten liefern, sondern umfassende Daten zu ihrer Umwelt- und Sozialbilanz.

Doch auch hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit noch weit auseinander. Initiativen wie die «Task Force on Nature-related Financial Disclosures» (TNFD) und die «Task Force on Climate-related Financial Disclosures» (TCFD) streben zwar nach Standardisierung und Transparenz. Doch die begrenzten Möglichkeiten der Datenerhebung – und vor allem die damit einhergehenden Kosten – lassen die hehren Träume schnell platzen.

An Verantwortungsbewusstsein fehlt es nicht

Der Wille ist da. So nehmen die Versicherer ihre Verantwortung sehr ernst und investieren entsprechend. Schon die Hälfte aller Kapitalanlagen – fast 300 Milliarden Franken – unterliegen einem formalen Netto-Null-Versprechen bis 2050. Auch der Nachhaltigkeitsreport der Versicherungswirtschaft dokumentiert, dass umweltgerechtes, soziales und verantwortungsvolles Investieren zunehmend Standard wird.

Doch ob sich dieser Wille in eine politische Agenda zwängen lässt, bleibt fraglich. Denn je enger das Korsett für nachhaltige Investitionen wird, desto kontraproduktiver werden die regulativen Bedingungen. Die Finanzindustrie darf nicht unter dem Deckmantel finanzieller Nachhaltigkeitsstrategien zum Ausschluss von gesetzlich erlaubten Geschäftsmodellen und Produkten gezwungen werden. Stattdessen müssen Anreize zur Förderung von Innovationen und Unternehmen gesetzt werden, die aktiv nach Lösungen für eine nachhaltigere Zukunft suchen. Dafür braucht es aber Freiräume und keinen Bürokratiedschungel.

Finanzsektor als Wegbereiter

So begrüssenswert der Wunsch nach «Sustainable Finance» auch ist, so realistisch muss er bleiben: Der Übergang zu mehr Nachhaltigkeit im Finanzsektor erfordert eine sorgfältige Balance zwischen Idealismus und Pragmatismus. Eine intelligente Regulierung, die Chancen schafft, statt sie zu verhindern. Und eine Politik, die im Finanzsektor einen Wegbereiter und nicht einen Wächter der Nachhaltigkeit sieht.