Anfang Juli ist in der «Neuen Zürcher Zeitung» ein unscheinbares Inserat erschienen, überschrieben mit dem Titel «Mitteilung betreffend AMG Substanzwerte Schweiz». In der Annonce heisst es, der Fonds könne wegen der hohen bisherigen Mittelzuflüsse ab dem 22. Juli keine weiteren Gelder mehr entgegennehmen. Gleiches gab das kleine Zürcher Unternehmen AMG Analysen & Anlagen in ihrem Newsletter den Kunden bekannt. Was darauf folgte, habe ihn beinahe vom Stuhl gerissen, erzählt der Fondsmanager und AMG-Gründer Erhard Lee: «Wir erhielten fast pausenlos Telefonanrufe von Investoren, die unbedingt noch Fondsanteile zeichnen wollten.» In den drei Wochen bis zum 22. Juli flossen ihm weitere Neugelder in der Höhe von 55 Millionen Franken zu.

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Diesen Erfolg hätte Lee niemals erwartet. Bei der Lancierung seines Fonds für Schweizer Small-Cap-Aktien im November letzten Jahres setzte er sich das «aggressive» Ziel, bis Ende 2005 Gelder von 50 Millionen Franken einzusammeln. Anfang Juli wollte er den Fonds, nach den überraschend grossen Mittelzuflüssen, eigentlich bei einem Volumen von 100 Millionen schliessen. Stattdessen verwaltet Lee nun mehr als 140 Millionen Franken.

Vom breiten Publikum kaum beachtet, erleben die so genannten Small Caps oder Nebenwerte derzeit einen regelrechten Boom. Während der Index der grosskapitalisierten Aktien in der Schweiz noch immer unter dem Niveau von Anfang 2000 notiert, verzeichnen die Schweizer Small Caps im gleichen Zeitraum eine sensationelle Performance von 64 Prozent. Verglichen mit dem Tiefstand vom Frühjahr 2003 resultiert gar ein Plus von 235 Prozent. Das Phänomen beschränkt sich nicht nur auf die Schweiz: Auf fast allen Börsenplätzen haben die kleinen Aktien die grossen Blue Chips um Längen abgehängt.

Auch der AMG-Fonds erzielte bislang eine stattliche Rendite. Seit der Lancierung vor neun Monaten liegt der Wertzuwachs bei 30 Prozent. Mit einer Performance von 18,7 Prozent im ersten Semester 2005 – verglichen mit 13,0 Prozent des Vergleichsindex – hat sich der Fonds zudem auf Anhieb unter die Besten in der Kategorie der Schweizer Nebenwerte eingereiht.

Trotz dem Boom sind die Schweizer Small-Cap-Fonds von einer Überhitzung noch weit entfernt. Aus verschiedenen Gründen: Zunächst fliessen die Gelder primär zu Fondsmanagern, die über ein ausgewiesenes Know-how und eine langjährige Erfahrung verfügen. Ein erstklassiges Kontaktnetz zu den Firmen ist bei den Nebenwerten noch entscheidender als in den übrigen Segmenten. Erhard Lee war bereits Anfang der neunziger Jahre als Analyst und Leiter Handel in Martin Ebners BZ Bank für die Small Caps zuständig. Später arbeitete er im Family-Office von Ernst Müller-Möhl und als Fondsmanager in der Bank Leu, bevor er sich 2001 selbstständig machte. Zudem ist der 44-Jährige, zusammen mit Müller-Möhl, Co-Autor des Buchklassikers «Optionen und Futures».

Bei der Auswahl eines Nebenwertefonds sind die Köpfe das wichtigste Kriterium. Als Doyen der Szene gilt der 66-jährige Peter Lehner. Sein Fonds SaraSelect, der in diesem Monat das zehnjährige Bestehen feiert, erzielte über die letzten fünf Jahre die klar beste Performance. Lehner hat sich ausserdem nie gescheut, Einfluss auf die jeweiligen Unternehmen zu nehmen, und viele von ihnen wachgerüttelt. Auch er hat seinen Fonds für neue Engagements von über 100 000 Franken geschlossen, weil er die kritische Grösse, um weiterhin erfolgreich in Small Caps zu investieren, erreicht hat.

Die mit Abstand beste Rendite über drei Jahre darf Bernhard Signorell mit seinem Fonds 3V Invest Swiss Small & Mid Cap verbuchen. Auch im laufenden Jahr liegt er an der Spitze. Auf Rang eins im Vergleich der letzten zwölf Monate steht ebenfalls ein gestandener Börsenprofi, der 65-jährige Max Rössler mit dem Fonds Pilatus der Luzerner Bank Reichmuth & Co. Interessant ist weiter der im April dieses Jahres lancierte Fonds GEM Small & Mid Caps Switzerland der neu gegründeten Zürcher Finanzboutique Rieter Fischer. Dahinter stecken drei altgediente Kenner des Metiers: Patrick Rieter, Erich Fischer und Hanspeter Lutz hoben 1992 für die Bank Vontobel nämlich den ersten Schweizer Nebenwertefonds aus der Taufe. Auch sie haben den Index bis jetzt deutlich geschlagen. Per Ende Jahr wollen sie das Fondsvolumen von derzeit 60 auf 100 Millionen Franken steigern.

Ganz entscheidend für den gegenwärtigen Erfolg der Schweizer Small Caps sind die strukturellen Voraussetzungen der helvetischen Wirtschaft. Zum einen verfügen viele Firmen über eine lange Börsentradition. Durch den Einfluss der Engländer entstanden schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts etliche Aktiengesellschaften, so bei den Bergbahnen und Kraftwerken. In den fünfziger und sechziger Jahren kamen zahlreiche Familienunternehmen dazu, die sich mit der Ausgabe von Aktien neues Kapital beschafften. Im Gegensatz etwa zu Deutschland wurden solche Börsengänge durch das Schweizer Steuersystem nicht benachteiligt. Dagegen war es steuerlich vorteilhaft, die erarbeitete Substanz in der Firma zu belassen statt auszuschütten.

Deshalb lassen sich bei uns noch immer zahlreiche Substanzperlen ausmachen, die erst jetzt beginnen, ihre versteckten Aktiven zu bewirtschaften. Als Beispiel nennt Erhard Lee Conzzeta, die früheren Zürcher Ziegeleien. Bei der Firma stehen eine Million Quadratmeter Bauland, die einen Wert von rund 250 Millionen aufweisen dürften, noch immer zum Preis von 45 Franken pro Quadratmeter in den Büchern.

Zum andern ist ein grosser Teil der Schweizer Unternehmen bereits heute sehr international ausgerichtet und kann daher auch im globalisierten Wettbewerb mithalten. Der Druck der starken einheimischen Währung hat die Exportbranchen schon früh dazu gezwungen, Kosten zu sparen und unproduktive Teile ins Ausland zu verlagern. Viele Firmen konzentrieren sich auf Nischen, in denen sie eine international führende Stellung einnehmen, etwa Rieter und Saurer bei den Textilmaschinen.

Eine wichtige Rolle spielen auch das neue Aktienrecht und das Börsengesetz. Dadurch haben sich die Small und Mid Caps in der Transparenz ihrer Berichterstattung dem Niveau der Blue Chips angeglichen. «Während die Investoren früher im Nebel stochern mussten, wissen sie heute sehr genau, wie solid ein Unternehmen dasteht», sagt Fondsmanager Lehner. Teilweise, so Erhard Lee, sei die Visibilität bei den Kleinen inzwischen sogar besser als bei den Grossen. Er nennt als Beispiel Belimo, den Hinwiler Hersteller von Antrieben für Heizungen, Lüftungen und Klimaanlagen. Bei den Konkurrenten Siemens oder Honeywell sind die Resultate der vergleichbaren Produkte versteckt in den übergeordneten Divisionen. Im Vergleich dazu muss Belimo die erbrachte Leistung viel detaillierter ausweisen.

Von Bedeutung für den Aufschwung der Small-Cap-Fonds sind zudem die Veränderungen innerhalb der Fondsbranche selber. In der Kategorie der Blue Chips gelingt es nur etwa jedem fünften Fonds, den jeweiligen Börsenindex zu schlagen. In der Schweiz, wo die fünf Schwergewichte Novartis, Nestlé, Roche, UBS und Credit Suisse drei Viertel des Swiss Market Index abdecken, ist es für Fondsmanager besonders schwierig, ein eigenständiges Profil zu entwickeln. Bei den Nebenwerten dagegen gelingt es einem deutlich höheren Anteil der Fonds, den Vergleichsindex zu übertreffen: Über die letzten drei Jahren schafften dies sogar 11 von 17 Fonds in der Schweiz, über fünf Jahre immerhin mehr als die Hälfte. Demgegenüber geraten die Blue-Chip-Fonds immer stärker unter Druck der so genannten Indexfonds, die passiv das Börsensegment abbilden und dank den deutlich tieferen Kosten häufig eine bessere Rendite erzielen.

Als Ergänzung zu diesen Indexprodukten haben viele Anleger begonnen, für einzelne Nischensegmente, etwa Small Caps oder Emerging Markets, in aktiv gemanagte Fonds zu investieren, deren Performance häufig stark von den Vergleichsindizes abweicht. Diese Strategie, in der Fachsprache bekannt als Core-Satellite-Prinzip, gewinnt auch unter den institutionellen Anlegern und Pensionskassen an Beliebtheit.

Interessanterweise stammen die führenden Fonds im Small-Cap-Bereich nicht von den grossen Banken, sondern von kleinen, unabhängigen Anbietern, die meist nicht mehr als drei, vier Leute beschäftigen. Peter Lehner führt den von der Bank Sarasin vertriebenen Fonds SaraSelect von Zug aus über seine VV Vorsorge Vermögensverwaltungs AG. Gerade mal drei Personen arbeiten auch bei der 3V Asset Management von Bernhard Signorell, die den Fonds für die Bank Sal. Oppenheim managt. Den Vorteil der Kleinen sieht Signorell in ihrer Unabhängigkeit, was den Kontakt zu den Firmen erleichtere.

Als Unabhängige könnten sie zudem einen längerfristigen Anlagehorizont verfolgen, bestätigt Erich Fischer von Rieter Fischer Partners. Bei den Banken mit ihren hierarchisch strukturierten Anlagekomitees investieren viele Fondsmanager in 60 bis 100 verschiedene Firmen, aus Angst, zu stark vom Index abzuweichen. Fischer: «Bei uns erfolgt dagegen eine echte Selektion, weil wir uns auf 18 bis 25 verschiedene Titel beschränken, die wir wirklich kennen. Nur so lässt sich der Index langfristig schlagen.» Erhard Lee ergänzt, er sei wohl die Hälfte seiner Arbeitszeit ausserhalb des Büros unterwegs, um Firmen zu besuchen. «Als Selbstständiger habe ich grössere Entfaltungsmöglichkeiten. Ich kann meine Zeit primär in die Analyse der Unternehmen investieren, statt lange Sitzungen abzuhalten.» Tatsächlich lässt sich beobachten, dass die Fondsmanager bei den grossen Banken relativ häufig wechseln, was die Kontinuität in der Anlagestrategie erschwert.

Kommt hinzu: Der Grossteil der Small-und-Mid-Cap-Aktien wird von den Bankanalysten lediglich spärlich oder gar nicht abgedeckt. Dadurch ist der Markt weniger effizient als bei den Blue Chips, wo jede Veränderung bei den künftig erwarteten Gewinnen blitzschnell in den Aktienkurs eingepreist wird. Das Aufspüren von unentdeckten Perlen ist bei den Nebenwerten deshalb noch eher möglich, was die Arbeit der Fondsmanager umso reizvoller macht.

Entsprechend bilden diese ein Grüppchen von Leuten, die sich gegenseitig kennen und bei den jeweiligen Ergebnispräsentationen auch regelmässig treffen. Dabei merke man schnell, wer dem CEO und dem Finanzchef die cleveren Fragen stelle, sagt Signorell. «Trotz Konkurrenz pflegen wir unter den Fondsmanagern einen freundschaftlichen Kontakt», meint Max Rössler von der Bank Reichmuth & Co., «neben Informationen kann man ab und zu auch ein Aktienpaket untereinander austauschen.»

Jeder Fonds entwickelt über die Zeit ein eigenes Profil. Derjenige von Peter Lehner zum Beispiel zeichnet sich durch seine sehr langfristige Ausrichtung aus – pro Jahr wechselt er nur maximal 20 Prozent seiner Titel aus. Zudem investiert er nicht in halbstaatliche Gesellschaften wie Kantonalbanken oder Elektrizitätswerke. Lee wiederum, der daneben auch private Mandate in der Vermögensverwaltung übernimmt, hat seinen AMG-Fonds primär auf die kleineren sowie substanzstarken Unternehmen innerhalb des Segments ausgerichtet. Als einer der ganz wenigen tätigt er, zur Risikoverminderung, auch Leerverkäufe von Aktien.

Für Schlagzeilen sorgen die Small und Mid Caps in jüngster Zeit vermehrt als Objekte spektakulärer Übernahmeversuche, welche die Börsenkurse steil nach oben treiben. Diese Entwicklung werde noch einige Zeit anhalten, sind die meisten Fondsmanager überzeugt. Der Grund sind die tiefen Zinsen. Dadurch lässt sich das nötige Kapital für Akquisitionen schon fast zum Spottpreis auftreiben. Vor allem die Private-Equity-Fonds schwimmen derzeit im Geld. So hat die britische CVC Capital, bei uns bekannt durch ihre vergeblichen Bemühungen um Forbo, sechs Milliarden Euro für den bislang grössten europäischen Buyout-Fonds gesammelt. Weltweit, schätzen Branchenkenner, stehen den Private-Equity-Fonds in diesem Jahr rund 800 Milliarden Franken für Firmenübernahmen zur Verfügung.

Gesucht sind vor allem Firmen mit einer soliden Eigenkapitalbasis und einem dicken Liquiditätspolster, von denen es unter den Schweizer Nebenwerten einige gibt. Bei einer Aktie auf eine bevorstehende Übernahme zu spekulieren, ist indes oft eine ziemliche Glückssache. So haben die OZ Bankers Anfang Juli ein Zertifikat mit zehn solchen potenziellen Kandidaten lanciert. Prompt jedoch ist die Aktie von Saurer, die daraufhin als Nächstes in den Übernahmefokus geriet, nicht in diesem Zertifikat vertreten.

Anlegern sei deshalb geraten, primär auf die fundamentalen Bewertungskriterien zu achten. Gemäss den Berechnungen der Bank Vontobel sind die Schweizer Small Caps mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12,9 noch immer leicht billiger als die Gesamtbörse. Zudem liegt das für das kommende Jahr geschätzte Gewinnwachstum mit 21 Prozent etwas über dem gesamthaften Wert von 15 Prozent. Nach der hervorragenden Performance im bisherigen Jahresverlauf erwartet Erich Fischer von Rieter Fischer Partners nun die Zeit der Bewährung: «In den nächsten Monaten dürften einzelne Aktien stark zulegen, während andere dem Markt folgen werden. Die Performance-Unterschiede zwischen den einzelnen Fonds nehmen deshalb zu. Umso wichtiger wird jetzt also das richtige Stock-Picking.»

Doch selbst wenn die Small Caps demnächst eine Verschnaufpause einschalten: Das Segment gehört gleichwohl in jedes Aktienportfolio. Gemäss einer kürzlich erschienenen Studie der US-Bank Morgan Stanley gibt es historische Gründe, die gegen Large Caps sprechen. In der Untersuchung mit dem Titel «Big Isn’t Beautiful in the Long Run» kommt der Aktienmarktstratege Henry McVey zum Schluss, dass kleinere Aktien den Blue Chips in Sachen Rendite schon seit 25 Jahren den Rang ablaufen – eine Ausnahme war die Periode von 1995 bis 2000. Zu viel Grösse, so McVey, bringe etliche Nachteile: Die Firmen verlieren ihre klaren Ziele, leiden unter aufgeblasenen Managementstrukturen und laufen Gefahr, sich in Gefechten um Marktanteile zu verzetteln, anstatt echte Innovationen voranzutreiben.