Bankchef sein ist schwer. Das stand UBS-Manager Sergio Ermotti ins Gesicht geschrieben, als er kürzlich neben dem Geschäftsgang auch über den radikalen Umbau der Grossbank berichten musste. Nur bei einer Stelle seines Referats schien sich seine Stimmung aufzuhellen – als vom neu gewonnenen Kundengeld die Rede war. «Sowohl das Wealth Management als auch das Wealth Management Americas hatten» – er betonte nun jedes Wort – «ihr stärkstes Quartal in fünf Jahren.»

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Ganz ähnlich klang es bei der Credit Suisse. Chef Brady Dougan wies gleich zu Anfang seiner Ausführungen zum Geschäftsgang auf die 5,2 Milliarden Franken an neuen Vermögen bei der CS-Privatbank hin. Die Traditionshäuser Julius Bär und Vontobel liessen es sich in ihren Zwischenberichten ebenfalls nicht nehmen, auf den «anhaltenden Neugeldzufluss» zu verweisen.

Seltsame Blüten

Das Nettoneugeld wird im schwierigen Umfeld mehr den je zum Mantra der Branche. Nicht nur, weil sich mit zusätzlichem Volumen die explodierenden Kosten dämpfen lassen. Angesichts von Abbau, Aderlass und Abschied von ganzen Geschäftsfeldern ist Neugeld das letzte Licht, das die Banker noch hochhalten dürfen. Dabei tun sie sich nicht unbedingt einen Gefallen. Denn bei näherem Hinsehen entpuppt sich die Kennzahl, welche die Ein- und Auszahlungen von bestehenden sowie neuen Kunden misst, als reichlich unscharf.

So unscharf, dass selbst ein gestandener Finanzwissenschafter wie Martin Janssen von der Universität Zürich zugibt: «Meines Wissens gibt es keine einheitliche Definition, was Net New Money genau ist.» Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Grösse birgt das Stochern im Ungefähren Risiken – und treibt in der Praxis überraschende Blüten.

Kundengelder oft mehrfach gezählt

Dazu zählt der Umstand, dass Banken ihre Kundengelder oft mehrfach zählen. Gerade grössere Häuser mit verschiedenen Geschäftssparten sehen sich mit diesem Vorgang konfrontiert. Jede Einheit, die mit der Annahme und Bearbeitung von Vermögen Gebühren generiert, beansprucht dieses als Neugeld.

Als einfaches Beispiel wird in Bankkreisen folgende Transaktion genannt. Ein Kunde vertraut seinem Berater 1 Million Franken an. Im Private Banking wird das neue Vermögen entsprechend eingebucht. Später entschliesst sich der Kunde, die Hälfte davon in Fonds anzulegen. Die Wahl fällt auf bankeigene Produkte. Das Asset Management notiert nun nochmals Zuflüsse von 500000 Franken – und schon vermehrt sich das bei der Bank ausgewiesene Neugeld auf 1,5 Millionen Franken. Das ist durchaus erlaubt und in der Praxis offenbar gang und gäbe, bestätigt der Spartenchef einer Grossbank. «Dass doppelt gezählt wird, ist bekannt.»

Vernetzte Transaktionen im Spiel

Die Rechnung bläht sich erst recht auf, wenn mehrere Parteien und miteinander vernetzte Transaktionen ins Spiel kommen. Es sind solche komplexen Fälle, bei denen Dieter Schürer gefordert ist. Schürer ist Geschäftsleiter der Bankensoftware-Entwicklerin CPU in St. Gallen. Das Unternehmen entwickelt Anwendungen speziell zur Berechnung der Nettogeldflüsse. Die Software wird inzwischen von zahlreichen Schweizer Instituten eingesetzt. Dabei ist Massarbeit gefordert. «Die Berechnung der Kennzahlen unterscheidet sich von Bank zu Bank, auch der Umgang mit Mehrfachnennungen ist verschieden», berichtet er.

Eigene Antworten

Überhaupt finden die Schweizer Geldhäuser auf die Frage, was zum Kundenvermögen zu zählen ist, ganz eigene Antworten. Nicht nur Mehrfachzählungen sorgen für Diskussionsstoff. Gezählt werden teils Vermögen, die nur zur Aufbewahrung bei der Bank sind und von Dritten verwaltet werden, sowie bankfremde Werte wie Versicherungspolicen oder Grundpfandtitel. Bei Retailbanken sei es gar gebräuchlich, Ausleihungen über Kredite zum Neugeld zu zählen, berichtet Schürer. Zwar fliesst dabei ganz offensichtlich Geld von der Bank weg. «Aber damit wird neues Geschäftsvolumen geschaffen», erklärt der IT-Experte die Sichtweise der Banken.

Das alles macht die Arbeit von Thomas Romer nicht leichter. Als Partner beim Revisionsunternehmen PricewaterhouseCoopers prüft er die Bücher vieler Schweizer Banken – mitsamt den Angaben zum Neugeld im Anhang der Jahresrechnung. «Net New Money hat in den letzten Jahr noch an Bedeutung gewonnen und ist heute definitiv eine zentrale Grösse im Bankengeschäft», sagt Romer.

Wenig Richtlinien

Dennoch gebe es in der Rechnungslegung wenig Richtlinien, was bezüglich Neugeld offenzulegen sei. Die Vorschriften der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma liessen ihrerseits gewissen Spielraum zur Interpretation, so der Experte.

Tatsächlich fordert das Finma-Rundschreiben 08/2 die Institute auf, speziell auf Mehrfachzählungen hinzuweisen. Gleichzeitig halten die Vorschriften fest, dass jede Bank «bestimmt, wie sie die Neugeldzuflüsse und -abflüsse berechnet». Das Audit spielt dieses Spiel notgedrungen mit. «Das Institut muss gegenüber dem Revisor aber aufzeigen, wie die Berechnung der Kennzahl erfolgt», sagt Romer. Indessen, wer vier Banken zur Berechnungsgrundlage des Neugelds befragt, erhält vier verschiedene Antworten.

Bei der UBS heisst es, die Vorschriften der Finma seien massgebend für die Bestimmung. Die Bank halte sich «vollumfänglich» an diese. Die Konkurrentin Credit Suisse richtet sich ebenfalls nach dem Finma-Rundschreiben. Die CS hält zudem fest, dass Mehrfachzählungen des Neugelds möglich seien. Solche würden aber auf Konzernstufe bereinigt, so die Grossbank. Zum Neugeld und damit zum verwalteten Vermögen zählt die Credit Suisse ausserdem Zuflüsse aus dem Geschäft mit externen Vermögensverwaltern.

Das macht auch Julius Bär, geht ansonsten aber eigene Wege. Die Privatbank berechnet das Neugeld auf Basis der Kundentransaktionen. Doppelbuchungen bei Transfers würden vermieden, indem Vermögen erst dann am Zielort gezählt würden, wenn der entsprechende Abfluss am Ausgangsort gemeldet wurde. Die Bank Vontobel berechnet das Gesamtvermögen abzüglich der Doppelzählungen.

Haupttreiber für den Bonus

Selbst ausgeklügelte Berechnungssysteme müssen erst noch den Praxistest bestehen. Im Alltag stehen die Angestellten unter enormem Druck, Neugeld zu erwirtschaften. Die Akquisition von Kundenvermögen gehört gerade bei Privatbanken zu den sogenannten Key Performance Indicators, zu den Kernzielen, an denen Kundenberater gemessen werden.

Mittlerweile ist Neugeld gar oberste Priorität. «Die Gewichtung des Nettoneugelds bei der Bonusberechnung kann bis zu 50 Prozent betragen», beobachtet Hans Münch vom Beratungsunternehmen Towers Watson, das Banken bei der Gestaltung ihrer Lohnsysteme unterstützt. Die Zielsetzung schaffe bei den Kundenberatern Anreize, möglichst viel Neugeld auszuweisen. «Das ist das Gefährliche am Performance-Management», sagt Münch. «Es gilt, immer zu überlegen, ob man mit gewissen Zielsetzungen nicht auch Risiken Tür und Tor öffnet.»

Genügend abschreckende Beispiele

Abschreckende Beispiele dafür habe es in der Bankenwelt genug gegeben, sagt der Experte. Marktkenner misstrauen dem Neugeldausweis der Banken schon lange. Das gilt für Rainer Skierka von der Bank Sarasin, einen der erfahrensten Finanzanalysten am Platz. Als nackte Zahl, findet er, sei Net New Money nicht aussagekräftig. Viel wichtiger sei ihm die Frage, zu welchem Preis das Neugeld gewonnen werden konnte. «Als Analyst möchte ich die Bruttoflüsse sehen, insbesondere interessieren mich die Bruttomargen bei der Neugeld-Akquise.» Diese Information springt den Bankchefs nicht so leicht über die Lippen. «Viele Banken weisen die Margen nicht aus», so Skierka.