EZB-Präsident Mario Draghi hat mit seiner jüngsten Rede im portugiesischen Sintra Börsenspekulationen über eine Neuauflage der Anleihenkäufe angeheizt. An den Finanzmärkten wird inzwischen darüber debattiert, welche Wertpapiere die Währungshüter kaufen und womit sie die grösste Wirkung erzielen könnten. Eine Zinssenkung bis September gilt an den Börsen bereits als ausgemachte Sache. Klar ist für Experten, dass die Euro-Wächter bei der Ausgestaltung neuerlicher Anleihenkäufe kreativ und dabei schnell und mit Schlagkraft vorgehen müssten. «Die EZB muss mit etwas kommen, das den Markt beeindruckt», meint etwa Guy Miller, Chef-Marktstratege bei der Zurich Insurance Group.

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Draghi hatte vergangene Woche zusätzlichen geldpolitischen Anschub in Aussicht gestellt, sollte die Inflation weiter nicht anziehen. Dabei unterstrich er unter anderem, dass es «erheblichen Spielraum» für weitere Anleihenkäufe gebe. Die EZB besitze Flexibilität in ihrem Mandat. Die Euro-Notenbank hat bereits Staatsanleihen, Regionalanleihen, Firmenanleihen, Pfandbriefe und andere Papiere im Volumen von rund 2,6 Billionen Euro erworben, um die Konjunktur anzuschieben und die aus ihrer Sicht zu niedrige Inflation anzuheizen. Sie stoppte das Kaufprogramm, das in der Fachwelt «QE» (Quantitative Easing - Quantitative Lockerung) genannt wird, nach fast vier Jahren im Dezember 2018.

QE2 startet wohl in diesem Herbst oder Winter

Die Börsenspekulationen über den Zeitpunkt, wann QE2 aufgelegt werden könnte, reichen derzeit von Oktober 2019 bis zum ersten Quartal 2020. Das Brokerhaus NatWest Markets geht davon aus, dass die EZB im Oktober mit den Käufen startet und sie für sechs Monate fortsetzt. Die Ankündigung werde voraussichtlich im September erfolgen. Die EZB habe bereits in Aussicht gestellt, an ihren Zinsen bis Mitte 2020 nicht zu rütteln, sagt NatWest-Zinsstrategin Imogen Bachra. Würden Wertpapierkäufe zur Verstärkung der Wirkung hinzukommen, habe das nur wenig Nachteile. Aus Sicht von Jack Allen-Reynolds, Europa-Volkswirt bei der Wirtschaftsforschungsfirma Capital Economics, könnte Draghi im Oktober ankündigen, im November mit den Transaktionen zu beginnen.

Laut Schätzungen mehrerer Banken könnte der monatliche Kaufumfang bei 20 bis 30 Milliarden Euro für eine Dauer von zwölf Monaten liegen. In ihrem abgelaufenen Programm hatten die Währungshüter in der Spitze einmal Titel im Volumen von 80 Milliarden Euro pro Monat erworben. NatWest rechnet mit einer Laufzeit von sechs Monaten und einem Gesamtvolumen von 180 Milliarden Euro. Die Grossbank ABN Amro kann sich sogar ein Gesamtvolumen von 630 Milliarden Euro vorstellen bei einer Dauer von neun Monaten - also etwa 70 Milliarden pro Monat.

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Manche Experten erwarten, dass die Notenbank an ihrem bisherigen Grundgerüst für die Wertpapierkäufe rütteln wird. Ihre selbstgesetzten Regeln sehen bislang unter anderem vor, dass sie nicht mehr als ein Drittel der ausstehenden Anleihen eines Landes halten dürfen. Nach Einschätzung der Berenberg Bank könnten die Euro-Wächter zusätzliche Staatsanleihen im Volumen von 1,1 Billionen Euro erwerben, sollte dieses Limit auf 50 Prozent angehoben werden.

Mit den Obergrenzen wollte die EZB unter anderem verhindern, dass die Währungshüter unter den Anleihebesitzern in eine Sperrminorität geraten, wenn es bei Umschuldungsentscheidungen zu Abstimmungen kommt. Insidern zufolge prüfen Fachleute der Euro-Notenbanken allerdings derzeit, ob ihnen in bestimmten Fällen das Stimmrecht entzogen worden kann, um diese Gefahr zu umschiffen. Das würde ihnen erlauben, mehr Staatspapiere zu erwerben.

Fragezeichen hinter Kauf von Banken-Anleihen

Capital-Economics-Experte Allen-Reynolds hält es für möglich, dass die EZB deutlich mehr Unternehmensanleihen erwirbt als bislang geschehen. Die EZB hielt zuletzt aus dem abgelaufenen Programm Firmenanleihen im Volumen von 178 Milliarden Euro. Verglichen mit den über zwei Billionen Euro bei öffentlichen Schuldentiteln spielten Firmentitel daher bislang nur eine untergeordnete Rolle. Aus Sicht von Allen-Reynolds könnten bei QE2 Firmenbonds sogar die Hälfte aller Käufe ausmachen. Im Vergleich zu Staatsanleihen der Euro-Länder sind diese allerdings riskanter, wie auch die EZB schmerzlich erfahren musste. So räumte sie Anfang 2018 ein, sie habe sich mit Verlusten von Papieren des ins Schlingern geratenen Möbelkonzerns Steinhoff getrennt.

Ein grosses Fragezeichen steht hinter einem Kauf von Banken-Anleihen. Ein zentraler Grund: Die EZB ist seit Herbst 2014 für die Aufsicht über die grossen Geldhäuser des Euro-Raums zuständig. Daher wird sie womöglich den Eindruck vermeiden wollen, diesen Sektor zu unterstützen. Einige Experten stellen dennoch Berechnungen an: Nach Schätzungen von Jeroen van den Broek, Stratege beim Bankhaus ING, wären Banken-Anleihen im Volumen bis zu 305 Milliarden Dollar für die Notenbank kauffähig.

(reuters/gku)