Das elegante Paar aus Norditalien wusste genau, mit welchem Objekt es seine Träume verwirklichen wollte. Es sollte eine mittelgrosse Villa sein mit zehn Zimmern und einem Hallenbad an Luganos bevorzugter Lage in Collina d’Oro, Seesicht inklusive. Nur zweimal liessen sich die beiden durch das Luxusanwesen führen, dann war der Kaufentscheid gefällt.

10 Millionen Franken kostete das Schmuckstück an Luganos Goldküste. Hierhin will das Paar nun seinen Lebensmittelpunkt verlegen und eine Familie gründen. Das Heim liegt einen Steinwurf vom Zentrum Luganos ent-fernt, dem drittgrössten Finanzplatz der Schweiz. Die Fahrzeit nach Mailand, wo das Pärchen bis auf Weiteres seiner Arbeit nachgeht, beträgt gut eine Stunde.

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Die beiden Villenkäufer sind keine Ausnahme. Zahlreiche Italiener erwarben in den letzten Monaten in der Sonnenstube der Schweiz eine Liegenschaft. Die Immobilienmakler berichten von Anfragen aus sämtlichen Schichten – für ein einfaches Ferienhaus bis hin zum exklusiven Domizil im Luxussegment in den Wirtschafts- und Tourismuszonen. Dabei ist es nicht mehr nur die Steueroptimierung, welche die Südländer in die Schweiz zieht. Ausschlaggebend sind die Stabilität des politischen Systems und vor allem die wirtschaftliche Sicherheit der Schweiz.

Düstere Zukunft für Italien

Ueli Schnorf, der sich als Partner bei der Immobilienfirma Wetag Consulting auf die Vermittlung von luxuriösen Wohnliegenschaften spezialisiert hat, kennt die Sorgen seiner finanzkräftigen Klientel aus dem südlichen Nachbarland. «Meine Kunden malen für Italien ein äusserst düsteres Zukunftsbild», sagt er. Sie würden dabei nicht nur ihr Vermögen in Gefahr vor einem gierigen Staat sehen, sondern sogar soziale Spannungen und Unruhen fürchten. «Für diese Leute macht es daher Sinn, dass sie für sich und ihre gesamte Familie den Wohnsitz in den Tessin verlegen», erklärt Schnorf. Entsprechende Anfragen, von wohlhabenden Privatpersonen und sogar von international bekannten italienischen Industriellen, haben bei Wetag in den vergangenen zwölf Monaten um gut 50 Prozent zugenommen.

Eine ähnliche Entwicklung stellt Ezio Catucci fest. Der Italiener mit langjährigem Wohnsitz im Tessin ist Gründer von Dimensioneimmobiliare, einem in der Entwicklung und Vermarktung von Liegenschaften tätigen Unternehmen. Viele seiner Kunden kommen aus dem Norden Italiens, aus Varese, Como, Mailand und Brianza. «Aufgrund der starken Nachfrage, aber auch wegen der tiefen Hypothekarzinsen stellen wir eine gewisse Überhitzung der Immobilienpreise fest», erklärt Catucci.

Insbesondere in den exklusiven Zonen im Zentrum von Lugano, in Castagnola, Montagnola oder Collina d’Oro würden die Preise beinahe explodieren. Mit einem Volumen von fast 20 Milliarden Franken steht Lugano vor Locarno und Bellinzona deutlich an der Spitze des kantonalen Immobilienmarktes. Dieser belief sich 2011 auf einen Marktwert von 131,6 Milliarden Franken.

Auch Mittelstand sucht sicheren Hafen

Doch das Phänomen beschränkt sich nicht nur auf die italienische Oberschicht und die Industriellen. Sogar der mittelständische Italiener sucht einen Weg in den sicheren Hafen Schweiz. So bestätigt auch Volker Nies, Verantwortlicher der Immobilienfirma Remax für die Region Lugano, eine starke Zunahme von Anfragen aus Italien. Der Hauptanteil des von Remax vermittelten Wohneigentums liegt im Bereich bis 1,5 Millionen Franken, darunter befinden sich zahlreiche Ferienimmobilien.

Aufgrund der Restriktionen der Lex Koller, welche den Erwerb von Wohneigentum durch Ausländer beschränkt, sind diese auf eine Wohnfläche von 200 Quadratmetern und eine Landfläche von 1000 Quadratmetern limitiert . «Viele Italiener haben das Vertrauen in ihr Land und in die Regierung verloren», sagt Nies. Wenn es ihnen nicht möglich sei, ihren Wohnsitz in die Schweiz zu verlegen, so versuchten sie, mit dem Kauf einer Ferienimmobilie zumindest einen Teil ihres Vermögens zu sichern.

Laut dem unabhängigen italienischen Research-Unternehmen Scenari Immobiliari haben die italienischen Familien alleine im Jahr 2011 rund 35200 Immobilien im Ausland erstanden. «Davon fallen 7 Prozent der Käufe auf Objekte in der Schweiz», weiss Paola Gianasso, die beim Forschungsinstitut für die Auslandmärkte zuständig ist. 2011 kauften die Italiener 2500 Liegenschaften in der Schweiz. 2010 waren es 1655 – das Plus beträgt fast 50 Prozent. «Ein Grund für die hohe Nachfrage nach Schweizer Immobilien durch Italiener ist sicherlich auf den interessanten und im Vergleich zu anderen europäischen Regionen gesunden und von der Krise verschont gebliebenen Immobilienmarkt in der Schweiz zurückzuführen», begründet Gianasso.

Doch dies ist nur ein Grund für die Kauflust der Italiener, wie auch sie weiss: «Die Italiener suchen zwar durchaus eine attraktive Rendite, vielmehr wollen sie aber ihr Vermögen vor dem Eingriff des Staates respektive des Fiskus schützen», beobachtet Gianasso.

Negative Erinnerungen kommen auf

Die Sorge der italienischen Bürger vor dem Zugriff des Staates auf ihr Vermögen und Eigentum ist nicht unbegründet. Bereits 1992, unter der Regierung von Giuliano Amato, mussten sie mit ansehen, wie der Fiskus die Vermögen ihrer Bürger einmalig um 6 Promille erleichterte. Angesichts der weltweit dritthöchsten Staatsverschuldung und des fehlenden wirtschaftlichen Aufschwungs in Italien droht ihnen nun erneut Ungemach.

Derzeit befindet sich das Land unter Premierminister Mario Monti einerseits auf einem eisernen Sparkurs, der die Unzufriedenheit im Land erhöht und die Infrastruktur schwächt. Gleichzeitig muss der Staat neue Einnahmequellen anzapfen, um den Schuldenstand abzubauen. Die Einführung einer Vermögenssteuer (Patrimoniale) und einer Erbschaftssteuer stehen seit Herbst 2011 zur Diskussion. Viele Italiener fühlen sich von ihrer Regierung im Stich gelassen.

Besonders getäuscht sehen sich jene Personen, die im Rahmen der Steueramnestie unter Montis Vorgänger Silvio Berlusconi im Jahr 2009 ihre Vermögen legalisierten und repatriierten. Ihnen versprach die Regierung Berlusconi, dass keine zusätzlichen Abgaben auf ihr Kapital erhoben würden.

Einbussen beim Immobilienkauf

Für die zusätzliche wirtschaftliche Sicherheit in der Schweiz sind die Italiener bereit, beim Erwerb einer Immobilie erhebliche Einbussen in Kauf zu nehmen. Laut dem Immobilien-Beratungsunternehmen Wüest und Partner sind die Preise für Wohneigentum in Norditalien strukturell tiefer als im Kanton Tessin. Hinzu kommt, dass die Italiener aufgrund des ungünstigen Euro-Franken-Kurses bei der Übernahme einer Liegenschaft in der Schweiz einen Währungsverlust zu tragen haben.

Doch davon lassen sie sich nicht abhalten. «Diesen Immobilienkäufern ist die wirtschaftliche Sicherheit und Stabilität unseres Landes wichtiger als die Einbussen», sagt Volker Nies von Remax. Da ein Grossteil jener Käufer, die ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegen, weiterhin einer beruflichen Tätigkeit in Italien nachgeht, ist eine günstige Pauschalbesteuerung ausgeschlossen.

Wer alleine eine lukrative Investitionsmöglichkeit im hiesigen Immobilienmarkt sucht, konzentriert sich daher häufig auf Gewerbe- und Büroliegenschaften. In diesem Bereich bestehen im Gegensatz zum Wohneigentum keine gesetzlichen Einschränkungen beim Erwerb durch Ausländer. «Aus diesem Grund kann es für einen Italiener sehr interessant sein, in Büro- und Gewerbeimmobilien zu investieren, diese anschliessend zu vermieten und die Mieteinnahmen zu kassieren», erklärt Ezio Cattuci von Dimensioneimmobiliare.

«Bereit, für die Objekte mehr zu bezahlen»

Auch diese Möglichkeit haben die südlichen Nachbarn im vergangenen Jahr intensiv genutzt, wie Fabio Guerra, Tessin-Spezialist bei Wüest und Partner bestätigt. «Nicht ohne Grund sind die Renditen im Bereich der Gewerbeimmobilien unter Druck gekommen.» Zurückzuführen sei dies auf die steigende Nachfrage, unter anderem von Investoren aus Italien. «Die Käufer sind bereit, für die Objekte mehr zu bezahlen, was die Rendite schmälert», so Guerra. Dass hierbei der Immobilienmarkt Tessin von den Italienern bevorzugt wird, ist wiederum auf die fehlenden sprachlichen Barrieren zurückzuführen.

Kritische Stimmen zur Entwicklung auf dem Tessiner Immobilienmarkt bleiben weitgehend ungehört. Sie warnen vor der Gefahr einer Blase und bezweifeln die Rechtssicherheit angesichts der Unklarheiten um die Zweitwohnungsinitiative sowie die Pauschalbesteuerung. Der Ruf der Schweiz scheint zumindest in Italien nach wie vor intakt. Oder wie es ein Kunde von Wetag-Chef Ueli Schnorf ausdrückt: «Trotz der negativen Tendenzen: Das Umfeld der Schweiz wird sich viel schneller verschlechtern.»