Der US-Aufschwung ist schon beim Frühstück sichtbar: Meine amerikanischen Freunde essen wieder Eier. Noch Anfang Jahr war das Luxus, 18 Dollar für eine Packung waren keine Seltenheit. Seither ist der durchschnittliche Preis für das Dutzend um knapp 80 Prozent gesunken. 

Der Eierpreis ist nicht nur anekdotische Evidenz, wie es über dem grossen Teich wirtschaftlich vorangeht. Die guten Nachrichten häufen sich seit Monaten. Alle wichtigen Indikatoren sind positiv: Die Inflation ist auf dem niedrigsten Stand seit Frühjahr 2021, die Arbeitslosenzahlen sind auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzehnten, das Wirtschaftswachstum liegt über den Erwartungen.

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Anders hingegen bei uns. Zwar ist die Inflation in der Schweiz vergleichsweise niedrig und der Arbeitsmarkt robust, aber der Einkaufsmanagerindex sinkt. Der PMI, der wie ein Thermometer anzeigt, wie gesund sich der Produktionssektor fühlt, hat im Juli um 6,4 Punkte nachgegeben und liegt mit 38,5 Zählern auf dem tiefsten Stand seit April 2009 – ein Wert unter 50 deutet darauf hin, dass sich die Dinge verlangsamen könnten und weniger Produkte hergestellt werden. Die Schweizer Wirtschaft hat gewissermassen Fieber.

Deutschland droht eine tiefe Rezession.

Dramatischer sieht es bereits in Deutschland aus. Das Land steckt bereits mitten in der Konjunkturflaute: Das vierte Quartal in Folge stagniert die Wirtschaft oder hat sich abgeschwächt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um 0,3 Prozent schrumpft. Die Inflation ist noch immer zu hoch und belastet die Verbraucherinnen und Verbraucher, die negativen Wirtschaftsindikatoren drücken auf den Arbeitsmarkt.

Für die Scholz-Regierung ist der Handlungsspielraum dadurch eingeschränkt. Finanzminister Christian Lindner pocht auf die Schuldenbremse, die Koalitionsregierung hat sich nach viel Streit auf einen neuen Haushalt geeinigt und den Rotstift von der Digitalisierung bis zu den Familien so ziemlich überall angesetzt. Trotzdem können Deutschland und seine Nachbarinnen und Nachbarn am Ende nur hoffen, dass die Zinserhöhungen die Inflation in der grössten Volkswirtschaft Europas in Schach halten, ohne die Wirtschaft in eine tiefe Rezession zu treiben. Und dass der amerikanische Aufschwung durch Handel, Investitionen und Währungseffekte auch hierzulande durchschlägt.

Die Schweiz könnte sich sogar Investitionen leisten.

Bern hingegen kann sich möglicherweise stärker direkt an Washington orientieren, um die Schweizer Schwächen abzufangen. Auch wenn die USA durch die Sonderrolle des Dollar international nicht vollständig zum Playbook taugen, hält die aktuelle amerikanische Wirtschaftspolitik einige Lehren bereit. Die Biden-Regierung hat den Fehler aus der Finanzkrise 2008, als das Hilfspaket unter Obama wegen des Widerstands der Republikaner im Kongress zu klein ausfiel und das Wirtschaftswachstum nur zögerlich voranging, nicht wiederholt: Mit wuchtigen Konjunkturpaketen, um die Folgen von Pandemie und Krieg abzufangen – angefangen mit dem American Rescue Plan über 1,9 Billionen Dollar kurz nach Bidens Amtsantritt –, ist der US-Präsident zwar ein Risiko eingegangen, hat die Wirtschaft aber so, wie es bisher aussieht, damit nur kurzfristig überhitzt.

Solange die Inflation im Griff ist, muss der Spargürtel in der Schweiz nicht enger geschnallt werden. Im Gegenteil: Sie könnte sich sogar Investitionen leisten, um das Fieber wieder zu senken.