Herr Porter, wird es für Unternehmer schwieriger, sich in der globalen Öffentlichkeit zu bewegen?
Michael Porter*: Absolut - und zwar in gewaltigen Dimensionen. Nestlé beispielsweise wird täglich kritisiert und kommt weltweit unter Druck; teilweise überemotional und unqualifiziert. Und je erfolgreicher ein Konzern arbeitet, desto mehr wird er angegriffen. Das gesellschaftliche Umfeld hat sich massiv verändert. Viele Parteien wollen gar nicht mehr, dass Business erfolgreich ist - ungeachtet von Arbeitsplätzen und Wohlstand.

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Mit welcher Strategie können sich Firmen dennoch erfolgreich entwickeln?
Strategie lebt, aber ist ziemlich kompliziert geworden; und es gibt zwei primäre Elemente, welche Strategiemanagement substanziell bedrängen. Auf der einen Seite beeinflusst die sich stetig entwickelnde und sogar explodierende Technologie jedes strategische Vorgehen. Auf der anderen Seite gibt es viele neue soziale Faktoren mit Auswirkungen auf die Arbeit der Unternehmer; Umweltfragen, Armut, fehlende Ausbildung, Sicherheitsfaktoren; aber auch interkulturelle Probleme.

Sie sagen, dass die sich immer weiter entwickelnde Technik strategisches Denken verändert. Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?
Es gibt so viele Innovationen, welche den Markt und das Vorgehen am Markt substanziell verändern. In einem meiner Referate zeige ich beispielsweise einen Tennisschläger; ein scheinbar ganz normales Racket. Nur sind darin mehrere Sensoren installiert und ein Datensammler, der alles über Bluetooth auf Smartphones oder den Server übermittelt. Unterstützt von neuen Software-Programmen wird beispielsweise die ganze Trainingsstunde des Spielers erfasst und kann nachher analysiert und verwertet werden. Dabei geht es nicht nur um die Anzahl Trainingsminuten oder Schläge, sondern um komplizierte technische Fakten wie Aufschlagswinkel, Aufschlagskraft, Geschwindigkeit oder auch Körpertemperatur des Spielers.

Aber wie verändert ein technisch immer avancierterer Tennisschläger nun das Geschäft mit der Vermarktung desselben?
Das Produkt wird viel komplizierter und muss entsprechend anders, vielleicht intellektueller, vermarktet werden. Zudem müssen potenzielle Käufer nicht nur informiert, sondern allenfalls auch begleitet werden - damit sie es verstehen, die gesammelten und letztlich wertvollen Daten richtig zu interpretieren und zu nutzen. Was hier auch geschieht, ist, dass aus einem einfachen Produkt eine neue Dienstleistung entstehen kann, nämlich Betreuung und Beratung der Kunden über ihre Trainings- und Spielprozesse - aufgrund der neuen Daten.

Überall kommen also mehr elektronische Daten zusammen. Ist das nicht auch gefährlich?
Natürlich, denn letztlich wird die Tennis-Identität dieses einen Kunden genau erfasst, und das kann für allerlei Begleitmarketing-Bemühungen eingesetzt oder missbraucht werden. Unternehmen, die mittels ihrer Technologie-unterstützten Produkte Daten erhalten, müssen mit diesen entsprechend verantwortungsbewusst umgehen.

Sie betonen diesen Verantwortungsansatz immer wieder. Wie können Firmen verantwortlich handeln?
Ich spreche von «shared values». Es ist Tatsache, dass die Unternehmen Werte kreieren, also eben Arbeitsplätze und Vermögen. Und daran ist, per se, nichts falsch. Das Business kreiert Vermögen, die Regierungen ernten und verwerten einen Teil davon, und auch die NGO haben ihre Rolle und verteilen weitere Kontingente. Aber Regierungen und NGO können die gesellschaftlichen Probleme nicht lösen, sondern nur mildern oder verschieben. Und es nützt daher nichts, die Auflösung der Weltkonzerne zu fordern. Denn die Wirtschaft kreiert den Wohlstand, nicht die Regierungen und NGO.

Dann käme wohl die Corporate Social Responsibility (CSR) ins Spiel?
Nur bedingt. Richtig ist, dass auch viele Junge denken, dass die Gewinne einer Firma Geld ist, welches der Gesellschaft weggenommen wurde. Firmen haben dann auch gegen solche öffentliche Wahrnehmungen allerlei CSR-Programme ausgelöst, um zu zeigen, wie sehr sie sich der Gesellschaft verpflichtet fühlen. Dazu gehören Sammelaktionen, Recycling-Prozesse oder Charity-Programme in der dritten Welt. Nett, aber mit diesen zwar löblichen Aktivitäten wurden weder Weltprobleme gelöst noch neue Chancen geschaffen.

Sie haben in Zürich das CSV-Modell vorgestellt, das für Creating Shared Value steht. Was genau heisst das?
Diese Lösung ist ein neuer Ansatz, um die Gesellschaft positiv zu beeinflussen und gleichzeitig profitabel zu bleiben. Das Modell erfordert aber ein Umdenken und längerfristige Strategien. Unternehmen sollen nicht weiter einfach diejenigen Zielpublika betreuen, die sie kennen und die eine Kaufkraft haben, sondern auch unbekannte oder schwächere Märkte. Denn dort ergeben sich ganz neue Chancen. Um ein einfaches Beispiel zu nennen: Die Bankenwelt bedient traditionell nur die Reichen sowie die für sie kontrollierbare Mittelklasse. Die armen oder wenig gebildeten Gesellschaftsteile werden schlicht ignoriert. Aber in Amerika beispielsweise haben 25 Prozent aller Haushalte keine Bankverbindung; das sind viele Millionen von letztlich potenziellen Kunden. Denn wie wäre es, wenn Banken genau für diese riesigen Märkte neue und passende Produkte und Dienstleistungen kreieren würden? Wenn man diesen Menschen helfen würde, auch mit ganz wenig Geld richtig umzugehen, es vielleicht anzulegen oder nur schon überhaupt in den Zahlungsverkehr einzusteigen? Längerfristig gesehen sind dies riesige Chancen, die dann sowohl gesellschaftlich wie im Shareholder Value positive Reaktionen und Resultate auslösen können.

*Michael Porter ist Professor am Institute for Strategy and Competitiveness an der Harvard Business School. Porter gilt als einer der führenden Managementtheoretiker. Im Mittelpunkt seiner Arbeit stehen Fragen der Strategie. Das Modell der Wertkette, die Branchenstrukturanalyse und das Fünf-Kräfte-Modell wurden von ihm entwickelt. Porter berät eine Vielzahl von Unternehmen und Regierungen und ist Mitbegründer der Managementberatungsfirma Monitor.