In der Demokratie, bei Quizshows oder an der Börse, nicht überall findet die Menge eine ideale Lösung. Bisher ging man aber davon aus, dass Viele meist weiser sind als Einzelne.

Anfang des 20. Jahrhunderts liess der britische Forscher Francis Galton das Publikum auf einem Viehmarkt das Gewicht eines Ochsen schätzen. Eigentlich wollte er damit beweisen, wie dumm die Massen sind. Doch zu seinem Erstaunen zeigte sich: Der Mittelwert aller Schätzungen lag sehr nahe am effektiven Gewicht des Ochsen.

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Der Befund ging als "Wisdom of crowds", also "Weisheit der Vielen", in die Lehrbücher ein. Eine Menge von Menschen kommt demnach eher auf die richtige Lösung als eine Einzelperson.

ETH-Studie: Das Problem der Beeinflussung

Eine Studie von Forschern der ETH Zürich zeigt nun aber, dass sich Massen eben doch irren, wie es in einem Bericht der Web-Zeitung "ETH Life" heisst. Dies kann schon dann geschehen, wenn Menschen nur milde von aussen beeinflusst werden.

Der Mathematiker Jan Lorenz und der Soziologe Heiko Rauhut stellten insgesamt 144 Studenten sechs Fragen - zum Beispiel, wie hoch die Bevölkerungsdichte in der Schweiz ist oder wie lang die Grenze zwischen Italien und der Schweiz ist.

Ein Teil der Probanden musste ihre Antworten geben, ohne über die Schätzungen der anderen im Bilde zu sein. Die andere wurden beeinflusst, sie kannten die Schätzunng der ersten Gruppe. Alle Studenten bekamen einen finanziellen Anreiz - je besser die Lösung, desto mehr Geld.

Das Resultat: Wussten die Probanden, was die anderen geschätzt hatten, glichen sich ihre Schätzungen an. Gleichzeitig vergrösserte sich gegenüber den unbeeinflussten Schätzungen der Fehler des Kollektivs: Der gemeinsame Nenner lag also nicht bei der richtigen Lösung, sondern irgendwo.

Meinungen werden manipuliert

Der Einzelne verlässt sich also fälschlicherweise darauf, dass die Gruppe die richtige Lösung gefunden hat und glaubt - mit trügerischer Sicherheit - richtig zu liegen

Dies lasse sich auch im Internet beobachten, heisst es in "ETH Life". Ein mittelmässiger Song könne zum Hit werden, wenn hohe Download-Zahlen publiziert würden. Bei Ratings und Bewertungen lässt sich der User also verführen, er glaubt automatisch das Bestbewertete müsse auch das Beste sein.

Ein solcher Herdentrieb, gepaart mit Selbstüberschätzung, sei letztlich auch einer der Gründe gewesen für die Finanzkrise, sagte Studienmitautor Dirk Helbing "ETH Life". Finanzexperten beeinflussten andere Finanzexperten, Warnungen wurden in den Wind geschlagen und abweichende Meinungen ignoriert.

Je geringer die Beeinflussungen, desto besser würden die mittleren Schätzungen, so Helbing. Deshalb sei die Unabhängigkeit der verschiedenen Meinungen enorm wichtig. "Pluralismus ist besser als Konsens." Allerdings sei heute vielfach schlicht unmöglich, dass Menschen Dinge unbeeinflusst beurteilten.

(kgh/tno/sda)