Zwei Dinge fallen am Geld auf. Erstens: Es ist notorisch anfällig für Krisen. Zweitens: Kaum je mand weiss, woher es eigentlich kommt – niemand macht sich Gedanken über seine Entstehung, kaum einer fragt im Alltag, wie das Geld eigentlich funktioniert. 
Die beiden Feststellungen hängen zusammen, wie Queen Elizabeth vor sieben Jahren erfuhr. Britanniens Königin war an der London School of Economics zu Besuch.

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Sie stellte den dortigen Wissenschaftlern eine einfache Frage: Warum hatte keiner der hochdekorierten Ökonomen den Kollaps der Finanzwelt im Jahr 2008 kommen sehen?

Selbstverständlichkeit des Systems

Die triviale Antwort: Es lag an der Selbstverständlichkeit des Systems. Dass der Bankomat Geldnoten ausspuckt, dass Hauskäufer Hypotheken erhalten, dass Hypotheken verpackt und weiterverkauft werden – all dies war den Akademikern völlig normal vorgekommen. Das System hatte so reibungslos funktioniert, dass die Unwägbarkeiten des Geldes selbst an Englands renommiertester Wirtschaftsuniversität schlicht vergessen gegangen waren. Unwägbarkeiten wie: Wird das Geld als Zahlungsmittel akzeptiert? Wird es seinen gestrigen Wert auch morgen noch haben? Ist es sicher?

Die Philosophen von Yap

Einfache Gesellschaften verwendeten Muscheln, seltene Steine oder Schmuck als Geld. Auf Yap, einer Pazifikinsel 1400 Kilometer östlich der Philippinen, hat sich bis heute eine einzigartige Lösung für den Warenaustausch gehalten. Das traditionelle Geld besteht dort aus «Rai»: Mannshohen, in der Mitte durchbohrten Kalksteinscheiben.

Durch das Loch in der Mitte wird ein Baum stamm gesteckt, sodass zwei Männer einen Rai schultern können. Allerdings – das ist das Spezielle am Steingeld auf Yap – ist der physische Transport oft gar nicht nötig. Manche Steine stehen Jahrzehnte im selben Garten. Die gemein same Erinnerung an eine Transaktion genügt den Inselbewohnern. Zur Gedächtnisstütze über längere Zeit dienen im Rai eingeritzte Zeichen.

Geld beruht auf gegenseitiger Anerkennung, auf Vertrauen. Auf dem kleinen Yap muss dieses Vertrauen besonders gross gewesen sein. So gross, dass selbst Steine noch als Vermögen anerkannt wurden, die bereits vor «zwei oder drei Generationen» versehentlich ins Meer gefallen waren, wie der amerikanische Abenteurer William Furness im Jahr 1903 berichtete. Mit ihrem Steingeld überwanden die Yapesen die elementaren Hürden der Tauschwirtschaft. Sie schufen Geld: Ein System gegenseitiger Versprechen und Schuldanerkennungen.

Achillesferse des Geldes

Dieses Geld ist ein prekäres Medium. Denn: Nicht immer werden Schulden zurückgezahlt. Dies hatten nicht nur die Wissenschaftler der London School of Economics vergessen, sondern auch die meisten Kunden der Northern Rock. Diese 1,4 Millionen Menschen hatten Grossbritanniens achtgrösste Bank stets für ein solides Geldhaus gehalten. Eines, das Geld verleiht, Geld herumschickt, Geld aufbewahrt.

Umso grösser war die Überraschung, als Northern Rock plötzlich Mühe hatte, diese vermeintich simplen Tätigkeiten auszuführen. Die Bank hatte sich verspekuliert, keiner wollte mehr ihr Geld leihen. Der Tag, an dem dies offensichtlich wurde, war der 14. September 2007. Es war der Tag des Bank Run: Unvermittelt standen Tau sende vor den Filialen von Northern Rock an, um ihr Geld abzuheben. Sie hatten Angst, dass andere ihnen zuvorkommen würden und plötzlich keine Scheine mehr da wären. Geld ist riskant: Darauf verweist das Phänomen des Bank Run, das manche auch Achilles ferse des Finanzsystems nennen. Doch warum blenden wir dies im Alltag konsequent aus?

Zauber der Transformation

Die Antwort darauf lautet: Es sind die Banken. Sie sorgen mit ihrer Tätigkeit dafür, dass wir Kre dite nicht mehr als das ansehen, was sie eigentlich sind – nämlich risikobehaftete und illiquide Investments –, sondern dass wir diese Kredite als praktisches und vermeintlich auch sicheres Geld an andere Leute weiterreichen können.

Die Zauberwörter heissen: Risikotransformation, Losgrössentransformation, Fristentrans formation. Risikotransformation bedeutet: Ein Kredit geht nicht an einen Schuldner, sondern wird auf viele Investments diversifiziert. Losgrössentransformation bedeutet: Jemand zahlt X Franken ein, jemand anders erhält unabhängig davon Y Franken Kredit. Fristentransformation bedeutet: Geld, das jederzeit verfügbar ist, finanziert langfristige Projekte.

Als Papier zu Gold wurde

Die Perfektion dieser heute selbstverständlichen Techniken hat Jahrhunderte gedauert. Den Anfang machten italienische Kaufleute. Um den Handel über grosse Distanzen zu vereinfachen, erfanden sie im Mittelalter eine neue Art von Geld: Die Banknote. Das früheste derartige Papier datiert von 1368. Ausgestellt hatte es die Florentiner Familie Tornaquinci über ihre Bankiers.

Als Scheck diente die Banknote ursprünglich genau einem Zweck: Dem Verkäufer eine Zusicherung zu geben, dass er die Ware nicht umsonst hergegeben hatte, sondern von der Bank des Käufers dereinst Gold im gleichen Wert erhalten würde. Bald fanden die mittelalterlichen Händler aber eine weitere Verwendung für die Papiere: Sie gaben die Noten an Dritte weiter.

Praktisches Papiergeld

Das Papiergeld erwies sich als praktisch. Es zirkulierte auf Märkten und Messen von Lyon bis Venedig, sporadisch verrechneten die einflussreichen Kaufleute ihre gegenseitigen Schulden. Die neue Erfindung erlaubte es erstmals, Kredite zwischen Privatpersonen in allgemein akzeptiertes Geld umzuwandeln – etwas, das mit den gebräuchlichen Gold, Silber und Kupfermünzen zuvor nicht möglich gewesen war.

Dass wir die beiden Geldformen heute als gleichwertige Substitute verwenden, liegt nicht ohne Weiteres auf der Hand. Sondern es ist das Resultat einer weiteren Erfindung der frühen Neuzeit: Der unabhängigen Notenbank.

Die Notenbank war die Antwort der entstehenden Demokratien auf zwei Schwierigkeiten: auf die Handhabung der Münzpresse durch Herrscher, die immer wieder den Edelmetallgehalt ihrer Währung abändern mussten, und auf das Misstrauen der gewöhnlichen Leute gegenüber den Noten der Bankiersfamilien. Metallgeld war unhandlich, Papiergeld verdächtig.

Die Monopolherrschaft

Diese Probleme löste die neue Institution, deren Prototyp bis heute an der Londoner Threadneedle Street steht: Die Bank of England. Mit privatem Kapital 1694 gegründet, erhielt sie von der Krone eine wichtige Aufgabe: Dem Staat als Bank zu dienen. Im Gegenzug gewährte der König den Financiers ein grosses Privileg. Die Bank erhielt das exklusive Recht zur Ausgabe von Banknoten.

Das Monopol existiert noch immer. Und das ist kein Zufall: Notenbanken stehen bis heute an der Basis unseres Geldsystems. Das Geld, das diese Institute ausgeben, geniesst staatliche Legitimität. Es dient den Geschäftsbanken als Währung, um ihre gegenseitigen Verbindlichkeiten abzurechnen. Auf Englisch heisst dieses Geld deshalb auch «outside money»: Geld, das ausserhalb des Bankensystems existiert. Dies im Gegensatz zu «inside money», jenem Geld, das Geschäftsbanken in Eigenregie produzieren. Früher mit Tinte und Federstrich, heute per Tastendruck auf dem Bankencomputer.

Hierarchie steht Kopf

«Outside money» bildet die Basis für «inside money», doch im Alltag steht die Hierarchie auf dem Kopf. Zwischen 85 und 90 Prozent unseres flüssigen Vermögens, das wir im Alltag als «Geld» bezeichnen, besteht aus Einlagen bei den Geschäftsbanken, also im Grunde genommen aus privatem Buchgeld. Nur den kleinsten Teil unseres Geldes halten wir in staatlichem Bargeld.

Die Tatsache, dass wir beide Geldformen den noch als gleichwertig ansehen, ist die wohl beeindruckendste Errungenschaft des Finanzwesens überhaupt. Doch sie ist auch die gefährlichste. Denn sie verleitet Banken zur Spekulation und zwingt den Staat dazu, den Finanzhäusern um fangreiche Garantien abzugeben.

Schaffung der Federal Reserve

Einer, der um dieses Dilemma wusste, war Benjamin Strong, der erste Gouverneur der 1914 gegründeten Federal Reserve Bank of New York. Strong hatte miterlebt, wie die Finanzwelt um die Jahrhundertwende wiederholt von Krisen heimgesucht worden war. 1907 brachte ein Bank Run sogar das drittgrösste Institut der USA zu Fall, die Knickerbocker Trust Company.

Um das Auf und Ab zu beenden, setzte sich Strong damals für die Schaffung der Federal Reserve ein. Die Notenbank sollte als Kreditgeber der letzten Instanz fungieren, der Banken im Krisenfall unbeschränkt mit Liquidität versorgt: Dann, wenn die Geld und Kreditschöpfung im Bankensystem, die sich über die Zeit nach und nach aufgebaut hat, auf einen Schlag in sich zusammenfällt.

Falsche Sicherheiten

Zum selben Zweck wurde später die Federal Deposit Insurance Company geschaffen, eine Versicherung für private Bankeinlagen. Auch die Schweiz kennt einen solchen Mechanismus, der Bankguthaben bis zu 100 000 Franken schützt. Die Kehrseite dieser Sicherungen: Sie animieren Banken zum Eingehen grösserer Risiken. Über weite Strecken des 20. Jahrhunderts schien dies kein Problem – man glaubte, die Banken regulatorisch im Griff zu haben. Der Trugschluss offenbarte sich in der jüngsten Finanzkrise.

Ursprung dieser Krise ist der finanzielle Big Bang der 1980erJahre. Die Wirtschaft boomte, Vorschriften wurden gelockert. Der Computer hielt Einzug in die Bankenwelt. Eine völlig neue Art der Geldschöpfung entstand: ausserhalb der Bankbilanz übers kaum regulierte Schattenbankensystem mit seinen Geldmarktfonds, Kreditverbriefungen, Ausfallversicherungen und anderen neuen Finanztechniken. Das neue Geld basierte auf Wertpapieren, die zwar keine Dollars waren, aber fixe Nennwerte in Dollar hatten – und über Nacht auch gegen Dollars eingetauscht werden konnten.

Prekäre Eigenschaften

Die Finanzkrise machte deutlich, dass dieses Geld dieselben prekären Eigenschaften hat wie andere Geldformen auch. Zweifel darüber, welche Banken noch solvent waren, lösten 2007 eine Verkaufspanik aus. Das über Jahre aufgebaute Vertrauen ins verschachtelte Kreditgeld löste sich plötzlich in Luft auf. Geld zu schöpfen schien jetzt nicht mehr profitabel, sondern ein Verlustgeschäft.

Das abrupte Ende des Kreditzyklus veranlasste Notenbanken und Regierungen weltweit zum Handeln. Es drohte eine Unterversorgung der Realwirtschaft, ein Zusammenbruch des Zahlungsverkehrs. Umfangreiche Liquiditäts und Staatsgarantien wurden nötig, um das System zu stabilisieren. Die Geschichte des Geldes ist ernüchternd. Die moderne Gesellschaft sieht sich mit denselben Fragen konfrontiert wie einst die Bewohner von Yap. Ist ihr Geld sicher? Wird es auch morgen noch da sein? Die Fragen bleiben ungeklärt – trotz den unheimlichen Anstrengungen, die im Lauf der Jahrhunderte unternommen wurden, um das System zu stärken.

Dieser Artikel ist Teil einer Serie der «Handelszeitung». Lesen Sie hier: