Wie eine grosse Schweiz – so stellt sich mancher Beobachter Europa vor. Und erntet dafür oft Unverständnis, gar Beschimpfungen. «Doch der Euro-Zone könnte es besser gehen, wäre sie helvetischer.» So zumindest sieht es das renommierte britische Wirtschaftsmagazin «The Economist». Die Schweiz biete dem Währungsraum ein «hoffnungsvolles Modell», um auf sichereren Beinen zu stehen, heisst es in der aktuellen Ausgabe.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Klar, in der Schweiz ist nicht alles Gold, was glänzt. In der Politik geht es oft ums Geld, Referenden spielen gerne mal die soziale Teilung hoch oder füttern ausländerkritische Vorurteile, schreibt das Blatt. Und was in einem kleinen Land funktioniert, könnte für einen Kontinent problematisch werden: So sei auch politische Neutralität für die meisten Länder in der Europäische Union (EU) keine Option.

Gemeinden haben den Vorzug gegenüber Kantonen

Und dennoch bietet die mehrsprachige Schweiz demnach viele wichtige Anhaltspunkte. Zunächst einmal ist die Schweiz wegen ihres hohen Lebensstandards ein gutes Vorbild. Die Eidgenossenschaft sei das beste Land weltweit, in dem ein Baby heute geboren werden könne, betont der Bericht. Für jeden Geschmack ist etwas dabei: Ein skandinavischer Lebensstandard, deutsche Haushaltsdisziplin, Solidartransfers ähnlich wie in Frankreich, die Luxemburger Liebe zum Bankgeheimnis, Steuerwettbewerb wie in Irland und eine Abneigung gegenüber der EU – wie sie sonst nur in Grossbritannien zu finden ist.

Was genau kann Europa also von der Schweiz lernen? Angesichts des grossen Einflusses von Brüssel auf die europäische Politik hebt der «Economist» das Schweizer Prinzip der Subsidiarität lobend hervor: Staatliche Aufgaben fallen, so weit möglich, der niedrigsten politischen Ebene zu: Gemeinden haben den Vorzug gegenüber Kantonen, diese gegenüber dem Bund. Das fördert die Eigenverantwortlichkeit.

Budgetregeln lassen Spielraum für Investitionen

Zudem sorgen die Budgetregeln in den Schweizer Kantonen für ordentliche Finanzen. «Die Euro-Zone zwang den in Not geratenen Ländern zu viel Austerität auf, die Schweiz hingegen zeigte, dass Überschüsse und Schuldendienst in guten Zeiten zu mehr Handlungsspielraum in der Krise führen», urteilt das Finanzblatt.

Ist der Spielraum für keynesianische Ausgaben damit gebannt? Nicht unbedingt. Denn einige Budgetregeln lassen Platz für Investitionen in Abschwungzeiten. Die Eidgenossenschaft kann auch ausserordentliche Zahlungen genehmigen – so geschehen etwa in der Finanzkrise, als die Schweizer Steuerzahler die UBS retteten. Und zum Höhepunkt der Verwerfungen im Jahr 2008 reagierte die Schweizerische Nationalbank (SNB) stärker als ihr Pendant in Frankfurt, die Europäische Zentralbank, schreibt der «Economist».

Den Schweizer Finanzausgleich sollte es auch in der Euro-Zone geben

Doch der grosse Unterschied zwischen den beiden Wirtschaftsregionen ist dem Blatt zufolge, dass die schweizerische Währungsunion nach Jahrhunderten der politischen Union folgte – nicht umgekehrt, wie es die EU mit dem Euro versuchte. So werden Ungleichgewichte zwischen den Schweizer Kantonen besser behoben. Die Wirtschaft kann unvorhergesehene Schocks besser absorbieren: Über ein integriertes Finanzsystem etwa, die hohe Mobilität von Arbeitskräften innerhalb der Schweiz oder landesweit ausgebaute Sozialsysteme.

Hinzu kommt der Finanzausgleich zwischen den Kantonen, von dem laut «Economist» auch die EU lernen kann. Dieser ist transparent und hält die Schweiz zusammen – die reicheren Kantone leisten Transfers an die ärmeren. Dabei ist das Budget des Bundes mit elf Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) klein, aber noch immer deutlich grösser als das der EU (weniger als ein Prozent des BIP). Damit widersprechen die Briten vor allem deutschen Politikern und Ökonomen, die einen Finanzausgleich in der Euro-Zone für schädlich halten – weil dadurch angeblich der Anreiz steige, immer höhere Schulden zu machen.

Anders als Deutschland

In Sachen Finanzen bricht die Schweiz übrigens mit gängigen Stereotypen, wie der «Economist» nicht ohne süffisanten Unterton formuliert. In Deutschland geht bekanntlich die Angst um, immer für die schludernden lateinischsprachigen Südländer zahlen zu müssen. In der Schweiz ist das anders: Hier greifen die reichen französischsprachigen Kantone Waadt und Genf den ärmeren Deutschschweizer Kantonen wie Uri finanziell unter die Arme.