Die Zinsen im Euroraum nähern sich der Nulllinie. Im Kampf gegen die zu geringe Inflation und die schwache Konjunktur hat die EZB den Leitzins auf das historische Tief von 0,05 Prozent gesenkt. Gleichzeitig müssen Banken mehr für Einlagen bei der Notenbank bezahlen.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Leitzins im Euroraum überraschend um 0,1 Prozent auf 0,05 Prozent gesenkt. Das beschloss der EZB-Rat am Donnerstag, wie die Notenbank in Frankfurt mitteilte.

Strafzins wird erhöht

Zudem müssen Banken künftig einen noch höheren Strafzins von nun 0,2 Prozent bezahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken, statt es in Form von Krediten an Unternehmen weiterzureichen. Der Dax stieg auf ein Tageshoch.

Damit reagieren die Währungshüter auf die schwache Konjunktur im Euroraum – und auf die sehr niedrige Inflation, die im August auf 0,3 Prozent gefallen ist – den niedrigsten Stand seit Oktober 2009. Der Wert liegt seit Monaten deutlich unterhalb der Zielmarke der EZB von knapp unter zwei Prozent.

Umfassende Wertpapieraufkäufe denkbar

Angesichts der wachsenden Deflationsrisiken hält sich die EZB auch die Tür für massive Wertpapierankäufe weiter offen. Sollte eine zu lange Phase niedriger Inflation drohen, sei der EZB-Rat zu weiteren unkonventionellen Massnahmen entschlossen, sagte Notenbankchef Mario Draghi am Donnerstag vor der Presse in Frankfurt. Ein solches unkonventionelles Vorgehen – im Fachjargon Quantitative Easing genannt – dient als letztes Mittel, um eine Deflation zu verhindern.

Hierzu könnte die EZB laut Draghi beispielsweise öffentliche Schuldtitel wie etwa Staatsanleihen oder auch private Papiere in grossem Stil aufkaufen. Auch ein Programm zum Ankauf beider Wertpapierarten sei möglich, betonte Draghi. Mit entsprechenden Käufen hatten bereits die Notenbanken der USA, Japans und Grossbritanniens ihre Wirtschaft nach der Finanzkrise wieder angekurbelt. Auf breiter Front fallende Preise gelten als besonders gefährlich, weil eine solche Deflationsspirale die Konjunktur auf Dauer abwürgen kann. Zuletzt betrug die Inflationsrate in der Euro-Zone nur noch 0,3 Prozent.

Banken zu Kreditvergabe anregen

Die EZB hat auf ihrer Sitzung nun zunächst beschlossen, sogenannte Kreditverbriefungen (ABS) sowie Pfandbriefe aufzukaufen. Damit sollen Banken zur verstärkten Kreditvergabe angeregt werden.

Mit Verbriefungen können Banken ausstehende Forderungen aus Krediten an den Markt bringen und somit Bilanzen entlasten. Damit haben sie dann mehr Spielraum zur Vergabe neuer Darlehen. Da der Kreditfluss in Europa seit längerem stockt, versucht die EZB ihn mit ihrem Programm wieder in Gang zu bringen. Doch Kreditverbriefungen gelten als heisses Eisen. Sie waren in der Finanzkrise 2007/08 vor allem in den USA als Brandbeschleuniger in Verruf geraten. Der Markt für solche Papiere war daraufhin weitgehend zusammengebrochen.

Draghi hat Ökonomen überrascht

Die meisten Ökonomen hatten vorerst keine weiteren Massnahmen der EZB erwartet. Denn im September startet bereits ein schon zuvor beschlossenes neues Kreditangebot für Banken. Dies soll die Kreditvergabe ankurbeln und gemeinsam mit den Zinsschritten vom Juni die Konjunktur in Schwung bringen.

Allerdings hatte EZB-Präsident Mario Draghi zuletzt beim Notenbanker-Treffen im amerikanischen Jackson Hole vor sinkenden Inflationserwartungen gewarnt. In seiner viel beachteten Rede machte er deutlich dass der EZB-Rat die Inflationserwartungen sehr genau beobachten und notfalls innerhalb seines Mandats alle verfügbaren Instrumente nutzen werde, um die Preisstabilität mittelfristig zu garantieren.

Euro auf Talfahrt

Nach der überraschenden Senkung der Leitzinsen für die Euro-Zone ist der Euro am Donnerstag auf Talfahrt gegangen. Der Franken dagegen legte zu. Die Gemeinschaftswährung der Eurozone rutschte um fast einen US-Cent auf 1,3038 Dollar und notierte damit so niedrig wie seit Juli vergangenen Jahres nicht mehr.Gegenüber dem Franken sank der Euro auf 1,2056 Franken von 1,2072 Franken unmittelbar vor der Bekanntgabe des Zinsschritts. Der Leitindex der Schweizer Börse stieg schlagartig um 12 Punkte auf 8822 Punkten. Der Dax schoss um 0,5 Prozent nach oben auf 9674 Punkte.

(sda/reuters/me/ama)
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