Zehntausende Mietwohnungen stehen in der Schweiz leer – und es werden immer mehr. Letzten Sommer liess sich für fast 60'000 Wohnungen keine Mieter finden –  grösstenteils Drei- und Vier-Zimmer-Objekte. Wie stark sich der Leerstand seither erhöht hat, gibt das Bundesamt für Statistik Anfang September bekannt. Die Zürcher Kantonalbank schätzt den aktuellen Stand auf fast 66'000.

Der Leerstand steigt – obwohl letztes Jahr weniger neue Mietwohnungen geplant wurden. Das ist kein Widerspruch. Denn trotz des Rückgangs der Baugesuche bleibt die Bautätigkeit hoch. Und nicht überall sind weniger Wohnungen in Planung. Hier liegt das eigentliche Problem: Paradoxerweise ragen die Kräne weiterhin in Gebieten in die Höhe, wo bereits jetzt viele Wohnungen leer stehen. Es wird am falschen Ort gebaut.

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Im Tessin erhöht sich der Leerstand zusätzlich

Zwar entwickelt sich der Leerstand durchaus unterschiedlich: So dürfte die Quote nach Einschätzung der ZKB etwa im Unterwallis und der Regionen Solothurn und Olten weiter angestiegen sein. Experten von UBS und CS rechnen auch mit einer Zunahme im Tessin.

In Teilen des Aargaus hat sich die Lage hingegen entspannt, einen Rückgang erkennt die ZKB auch in Zug und Graubünden.

Doch auch Gemeinden, wo der Leerstand stagniert oder zurückgeht, bringen das Problem in den meisten Fällen nicht weg: «Der Immobilienmarkt ist wie ein Tanker. Ein Überangebot an Mietwohnungen baut sich nur langsam ab», sagt Claudio Saputelli, Immobilienexperte der UBS. Der Leerstand erhöht sich seit 2010 schweizweit – und er dürfte weitere zwei bis drei Jahre zulegen, schätzt Saputelli. «Dieser Zyklus geht noch lange.»

Viele Mieter dürfen sich über diese Entwicklung freuen: Ausserhalb der Zentren wird es einfacher, eine neue Wohnung zu finden - und die Mieten geraten unter Druck.

ZKB_Leerstand_Entwicklung

Hohe Leerstände: Im Raum Aargau/Solothurn stehen besonders viele Wohnungen leer.

Quelle: zkb

Bauen, wo es möglich ist

Denn es lohnt sich wegen der Negativzinsen weiterhin, in Beton und Mörtel zu investieren. Mit dem Bau von Mehrfamilienhäusern können Pensionskassen oder Versicherer immer noch mehr verdienen als an den Börsen oder mit Staatsanleihen. Und gebaut wird dort, wo es viel Bauland hat. Dies ist in der Regel nicht dort, wo viele Menschen gerne leben möchten, nämlich in den grossen Zentren und um sie herum.

Der Schweinezyklus am Jurasüdfuss

Am Jurasüdfuss in den Kantonen Solothurn und Bern stehen besonders viele Wohnungen leer – in Gemeinden wie Pieterlen, Zuchwil oder Gerlafingen. Für CS-Immobilienexperte Fredy Hasenmaile erklärt sich dieser hohe Leerstand teilweise auch mit zwei Grossprojekten: 2015 wurde die Ansiedlung des US-Konzern Biogen in Luterbach bekannt, die australische CSL Behring entschied sich kurz zuvor für Lengnau. Hasenmaile glaubt, dass viele Investoren gleichzeitig auf einen Boom im Wohnungsmarkt setzten und Mehrfamilienhäuser planten. Es kam und kommt immer noch zu einer Schwemme von neuen Wohnungen, weil die Investoren zu spät realisierten, dass viele andere Investoren dieselbe Idee hatten: «Hier war ein typischer Schweinezyklus im Spiel. Eine solche Abfolge von Boom und Flaute tritt im Immobilienmarkt häufig auf», sagt Hasenmaile.

Kleine Investoren geraten unter Druck

Die Leerstandsquote steht beim Investitionsentscheid nicht immer an erster Stelle. Das ist nachvollziehbar, denn auch bei einer hohen Quote von beispielsweise fünf Prozent gilt: Fünfundneunzig Prozent aller Wohnungen sind vermietet. Mit einem attraktiven Objekt und einer professionellen Bewirtschaftung können grosse Investoren einfach Leerstände vermeiden. Und wenn sie viele Wohnungen besitzen, fällt es nicht ins Gewicht, wenn einige davon vorübergehend leer stehen.

Zu den Verlierern gehören hingegem Kleininvestoren, die vielleicht nur ein Gebäude besitzen: Ihnen fehlen häufig die Mittel, im zunehmenden Wettbewerb zu bestehen.

Das beste Mittel gegen den Leerstand ist eine wachsende Nachfrage nach Wohnungen. Diese wiederum bedingt eine gute Wirtschaftslage, die auch mehr Zuwanderer in die Schweiz lockt. Nach einer solchen Entwicklung sieht es nicht aus, im Gegenteil: Die Konjunkturaussichten verdüstern sich.