Leerstand: Wieso freie Wohnungen rar werden und die Mieten steigen

Jahrelang war im Immobilienmarkt von Leerstand die Rede – das ist vorbei: Immer weniger Wohnungen stehen leer. Das wird auch die jährliche Zählung zeigen, welche das Bundesamt für Statistik Mitte September veröffentlichen wird. Nach Schätzung der Bank Raiffeisen wird der schweizweite Leerstand von 1,54 Prozent (gut 60’000 leere Mietwohnungen) auf unter 1,3 Prozent sinken. Die Folgen sind klar: Die Mieten steigen. Und dies verteuert das Wohnen zusätzlich. Denn auch die Strom- und Heizkosten nehmen zu, die Preise von Möbel- und Haushaltsgegenständen erhöhen sich. Und die Handwerker stellen grössere Rechnungen aus. Es ist eine Wohnkosten-Spirale am Wirbeln, die insbesondere Gering- und Wenigverdienende trifft. Warum der Leerstand sinkt und was die Trendwende bedeutet – darauf richtet dieser Text den Blick. Wieso sinkt der Leerstand? Es ist das Zusammenspiel von einem sinkenden Angebot und einer steigenden Nachfrage, welches den Leerstand zum Sinken bringt. Das Angebot verringert sich, weil weniger neue Wohnungen entstehen, und dies gleich aus mehreren Gründen: Weil sich die Zinsen erhöhen, sind Investitionen in Mietwohnungen weniger attraktiv. Ein zweiter Grund: Bauen ist schwieriger und teurer geworden. Es gibt immer weniger Bauland, die Raumplanung setzt der Bauwirtschaft engere Grenzen. Einsprachen und Lärmvorschriften verhindern oder verzögern Projekte. Und: Die allgemeine Teuerung treibt die Baukosten in die Höhe. Die Nachfrage steigt, weil wieder mehr Menschen in die Schweiz ziehen – allein im ersten Halbjahr 2022 wuchs die Schweizer Bevölkerung so um 12’000 Personen. Grob gerechnet werden nur schon diese frisch Zugezogenen etwa 4000 Wohnungen benötigen. Hinzu kommen noch Asylsuchende und die Flüchtlinge aus der Ukraine – über 50’000 an der Zahl –, die sich eine eigene Adresse suchen. Auch Teil der Erklärung: Die Schweizer Wirtschaft wächst, was dazu führt, dass mehr Menschen eine eigene Wohnung mieten – beispielsweise junge Erwachsene, die das Elternhaus verlassen. Kurzum: Es sind verschiedene Treiber am Werk, die den Leerstand zum Sinken bringen. Sie dürfen länger wirksam bleiben. Weder zieht die Bautätigkeit an, noch verringert sich die Zuwanderung. Und der Immobiliensektor wird kaum neue Freiheiten erhalten. Wo sinkt der Leerstand? Vor zehn Jahren lag die Leerstandsziffer unter 1 Prozent, der aktuelle Wert ist also gar nicht besonders tief. Und in gewissen Gegenden – dem Tessin, Teilen der Kantone Bern und Solothurn, dem Jura – stehen immer noch relativ viele Wohnungen leer. Doch: Im Grossraum Zürich, und in der Region Genfersee, sind freie Wohnungen knapp – im Kanton Zürich waren Anfang Juni nur 4660 Objekte frei, so wenige wie seit zehn Jahren nicht mehr. «Im Grossraum Zürich ist die Situation noch nicht prekär. Hält der Trend aber an, dann ist ein wachsender Anteil der Haushalte mit Wohnungsnot konfrontiert», sagt Matthias Holzhey, Immobilienexperte bei der UBS. Wer nur ein kleines Budget hat, muss immer weiter von Zürich entfernt nach einem neuen Wohnort suchen – denn auch im angrenzenden Aargau oder Thurgau sind freie Objekte nicht mehr in Überfluss vorhanden. Am häufigsten stehen Drei- und Vierzimmer-Wohnungen leer, was wenig überrascht, schliesslich sind diese Grössen am verbreitetsten. Letztes Jahr sank der Leerstand bei den grossen Wohnungen am deutlichsten. «2021 suchten viele Menschen eine etwas grössere Wohnung, weil sie neu vom Homeoffice aus arbeiten», sagt der Credit-Suisse-Immobilienexperte Fabian Waltert. Nun dürfte dieser Corona-Effekt eine geringere Rolle spielen, denn die Inflation und die Nebenkosten steigen und die Wirtschaft kühlt sich ab. Fürs Wohnen steht weniger Geld zur Verfügung. Deshalb werden kleinere, günstigere Wohnungen mittelfristig wohl wieder an Popularität gewinnen.Leerstand: «Ein so tiefer Wert wird als Wohnungsnot bezeichnet» Steiner-Co-CEO Michael Schiltknecht glaubt, dass das Angebot an freien Wohnungen noch knapper wird. Auch Thema: Zinsen und Indiens Häusermarkt. Ein tiefer Leerstand – ist das eigentlich ein Problem? Wenn eine Wohnung leer steht, ist das Chance und Problem zugleich: Es verkörpert die Chance für Mieterinnen und Mieter auf Wohnungssuche, eine neue Bleibe zu finden. Ein Problem ist es für die Vermieterinnen: Weil sie für eine unbewohnte Wohnung keine Miete erhalten. Die Wirtschaft ist auf einen gewissen Leerstand angewiesen. Nur wenn die Menschen überall schnell eine neue Adresse in ihrer Preiskategorie finden, sind sie mobil. In der Stadt ist ein tiefer Leerstand weniger rasch ein Problem als auf dem Land, weil Städterinnen und Städter in der Regel bei der Wohnungssuche flexibler sind und auf kleinem Raum ein grosses Angebot haben. «Grundsätzlich ist für die ganze Schweiz betrachtet ein Leerstand zwischen 1,0 und 1,75 Prozent gesund. Bei einem zu hohen Leerstand schieben Investoren Sanierungen auf, bei einem zu tiefen Leerstand droht Wohnungsnot», sagt UBS-Experte Matthias Holzhey. Von Wohnungsnot kann beim aktuellen Leerstand noch nicht die Rede sein. Klar ist aber: Der sinkende Leerstand, die steigenden Mieten und der Preisschub bei den Nebenkosten sorgen dafür, dass Wohnen wieder stärker zum Politikum wird.

Leerstand: Wieso freie Wohnungen rar werden und die Mieten steigen

Darum droht der Schweiz bald eine Wohnungsnot