Astronomische Mieten, wegbrechende Gästezahlen und Konkurrenz im Internet: In St. Moritz geben immer mehr Läden auf und für die freigewordenen Lokalitäten finden sich kaum noch Mieter. Bei Handel, Tourismus und Politik breitet sich Nervosität aus. 25 Ladenlokale stünden in St. Moritz leer – überdurchschnittlich und besorgniserregend viele, schrieb die «Engadiner Post» Mitte Juli in einer Titelgeschichte. Mittlerweile sind es zwar ein paar weniger, eine Wende zum Besseren sieht darin im Nobelkurort aber niemand, wie ein Augenschein vor Ort zeigt.

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«Die Ladenmieten sind so hoch, dass sie kaum noch jemand stemmen kann», sagt Christian Biel, als Vizepräsident beim Handels- und Gewerbeverein St. Moritz (HGV) für die Problematik zuständig. Ein Jungunternehmer schaffe das nicht. St. Moritz könnten sich fast nur noch Ladenketten leisten. Für die müsse ein Lokal im vielbeschworenen Champagnerklima nicht rentieren, da der Standort gut für das Image sei.

Doppelt so viel wie in Pontresina

Bis zu 2000 Franken werden im Engadiner Ferienort für den Quadratmeter im Jahr verlangt — oder um die 16'000 Franken im Monat für ein Lokal von 100 Quadratmetern. Das sei mindestens doppelt so viel wie im benachbarten Pontresina, sagen St. Moritzer Händler. Zum Vergleich: Im Zürcher Niederdorf gelten laut dem «Tagesanzeiger» Quadratmeterpreise von 700 Franken als hoch.

Die Mietpreise in St. Moritz stammen noch aus Zeiten, als dort der Luxus-Tourismus brummte und die Nachfrage nach Ladenlokalen grösser als das Angebot war. Diese Zeiten sind vorbei. St. Moritz hat in den letzten fünfzehn Jahren fast einen Drittel der Logiernächte eingebüsst — der Handel entsprechend Umsätze. In der Region verschwanden wegen Hotelschliessungen etwa 1000 Betten.

Eine bekannte Bijouterie gibt auf

Ein Schock war kürzlich die Aufgabe des Traditionsgeschäftes Chronometrie Bijouterie Scherbel. Doch auch bekannte Marken kehrten dem Nobelkurort den Rücken. «Vor 20 Jahren war das hiesige Angebot an Luxusboutiquen, Bijouterien und Galerien einmalig», erzählt HGV-Präsident Michael Pfäffli. Jetzt finde man das in vielen Städten auch.

Die hohen Mieten hätten in der Vergangenheit wenig ausserhalb des Luxussegmentes zugelassen. Die Nachfrage nach Läden war dennoch gross. Jetzt sei die Nachfrage gesunken, die Mietpreise hätten aber nicht nachgezogen. «Wenn das so bleibt, wird es besorgniserregend», meint Pfäffli. Die Mieten indes scheinen in Stein gemeisselt. Geschäfte, die aus existenziellen Gründen die langjährigen Mietverträge neu verhandeln wollten, bissen auf Granit. Manche gaben danach auf. Die Rendite stimmte nicht mehr.

Solidarität spielt nicht

«Die Immobilienbesitzer haben lange Zeit Top-Mieten erzielt», sagt dazu HGV-Vizepräsident Biel. «Sie können es sich ohne weiteres leisten, Lokalitäten zwei, drei Jahre leerstehen zu lassen.» Solidarität gäbe es selbst zwischen einheimischen Vermietern und einheimischen Mietern nur selten. Den Immobilienbesitzern gehe es allein darum, eine möglichst hohe Rendite zu erzielen. «Die warten einfach, bis sich eine Ladenkette findet, welche die hohe Miete zahlt», erzählt Biel.

Bloss fänden sich solche Markenunternehmen kaum noch. Mittlerweile habe es sich herumgesprochen, dass Mieten und Erträge in St. Moritz in keinem Verhältnis stünden. «Für uns sind die leeren Läden ein echtes Problem», gibt Martin Berthod von St. Moritz Tourismus unumwunden zu. Die Stimmung im Dorf sei so nicht optimal. «Wir versuchen gelegentlich zu vermitteln und Vermieter zu Mietsenkungen zu bewegen», erzählt Berthod. Aber oft komme die Retourkutsche: Die Touristiker sollten wieder für mehr Touristen sorgen, heisse es dann.

Ist es eine Krise?

«Den Feriengästen fallen die leeren Läden sicher auf», meint HGV-Präsident Michael Pfäffli. Wie sich das weiterentwickle, werde man erst noch sehen. Es sei unklar, ob man am Anfang einer veritable Krise sei oder ob die Talsohle bereits durchschritten sei.

Den Ernst der Lage beschreibt Pfäffli als «negativ mit Potential». Die Krise sei eine Chance für eine bessere Durchmischung des angebotenen Sortiments, eine Chance für eine Angebote jenseits des Luxussegmentes. Damit es dazu komme, brauche es Unternehmergeist sowie Risikobereitschaft seitens der potentiellen Mieter und realistische Mietvorstellungen seitens der Immobilienbesitzer.

Leidensdruck zu tief

«Der Druck auf die Vermieter muss so hoch werden, dass sie es sich nicht mehr leisten können, Lokale leer stehen zu lassen und mit den Mieten runtergehen», erklärt Biel. Von der Politik erhofft er sich, dass sie keine weiteren Einkaufszentren fördert und den Läden im Dorfzentrum die Kundschaft entzieht.

Gemeindepräsident Sigi Asprion wollte sich auf Anfrage zu dieser Forderung nicht äussern. Die Gemeinde habe keine Handhabe, etwas gegen die leeren Läden zu unternehmen, sagte er. Zwar würden immer wieder informelle Gespräche geführt mit Vermietern, aber die nützten nichts. «Mein Wunsch wäre, dass die Vermieter die Problematik sehen und gewisse Kompromisse bei den Mietzinsen machen würden», erklärt Asprion. Er sei überzeugt, dass sich das langfristig für alle lohnen würde. Jeder leerstehende Laden sei ein unschönes Loch im Dorf.

(sda/mbü)