Wird China zum grossen Gewinner des Ukraine-Krieges?

Anfang Februar verkündeten Xi Jinping und Wladimir Putin «unlimitierte» Beziehungen zwischen China und Russland. Wenige Wochen später wird dieses Bündnis bereits auf die Probe gestellt. Die Hinweise mehren sich, dass sich nicht nur Putin, sondern auch die chinesische Führung bezüglich der Ukraine und der Reaktion des Westens auf die Invasion verkalkuliert haben. Xis Berater hätten eine mögliche Eskalation in der Ukraine als Chance für China gesehen, berichtete die japanische Wirtschaftszeitung «Nikkei» unter Berufung auf chinesische Sicherheitskreise. Ein Zusammenstoss zwischen Russland und den USA in Europa würde die amerikanische Macht im asiatisch-pazifischen Raum schwächen und eine militärisch erzwungene Vereinigung mit Taiwan erleichtern, so die Vorstellung. In der Ukraine erwartete Peking einen russischen Sieg innerhalb weniger Tage, weshalb keine Vorkehrungen zur Evakuation der rund 6000 Landsleute in der Ukraine getroffen wurden. Diese könnten, nachdem Russland die Lufthoheit erlangt hat, Ende Februar gefahrlos ausgeflogen werden, lautete das Kalkül. Es kam anders. Ein Ende des Krieges liegt in weiter Ferne und der Westen reagierte – unter Führung der USA – geeint und mit harten Sanktionen, wobei unter anderem die Reserven der russischen Zentralbank im Umfang von mehr als 600 Milliarden Dollar blockiert wurden. «Die Situation hat sich zu einem Punkt entwickelt, den China nicht sehen möchte», sagte UN-Botschafter Zhang Jun während der Dringlichkeitssitzung der Generalversammlung am 28. Februar. «Das liegt nicht im Interesse irgendeiner Partei.» Die Führung in Peking schaut ganz genau, was jetzt im Zusammenhang mit der Ukraine passiert. Sie wird ihre künftige Strategie an die Antworten auf folgende Fragen anpassen müssen. 1. Wirken die Sanktionen? Sanktionen wegen Völkerrechts- oder der Menschenrechtsverletzungen sind in China ein rotes Tuch. Medien wie die «Global Times», das englischsprachige Sprachrohr der Regierung, kritisieren oft die «Obsession» des Westens, wirtschaftliche oder politische Konkurrenten mit Sanktionen in die Knie zu zwingen. Die nun gegen Russland verhängten Sanktionen würden den USA und ihren Verbündeten letztlich mehr Schaden zufügen, schrieb ein Think-Tank, der Präsident Xi berät. Der Ausschluss russischer Banken vom Swift-Zahlungssystem würde Europa etwa genauso schaden wie Russland, so Ma Xue, ein Forscher am China Institutes of Contemporary International Relations. Russland habe sich seit 2014, als es für die Eroberung der Krim bestraft wurde, weitgehend an finanzielle Strafmassnahmen gewöhnt. Dabei dürfte es sich aber um chinesisches Wunschdenken handeln: Insbesondere die Abtrennung der russischen Zentralbank von ihren Devisenreserven gilt als sehr harte Massnahme. Sie liess den Rubel so stark abstürzen wie seit den 1990er Jahren nicht mehr und brachte Putin um einen Teil seiner Kriegskasse. Dazu kommt die Flucht zahlreicher Firmen aus Russland. Unternehmen von Apple bis Volkswagen verlassen den russischen Markt oder stoppen ihre Produktion im Land. «Dass sich der Westen zu gemeinsamen Sanktionen durchgerungen hat, dürfte schon einen gewissen Eindruck machen – nicht nur in Moskau, sondern auch in Peking», sagte der Wirtschaftshistoriker Tobias Straumann zur «Handelszeitung». 2. Bleibt der Westen geeint? Entscheidend für die Wirkung der Sanktionen ist die anhaltende Einheit des Westens. Bislang fanden die USA und ihre Verbündeten viel Unterstützung für die diplomatische und finanzielle Kampagne gegen Russland. Selbst die traditionell neutrale Schweiz schloss sich den Sanktionen der EU an und das ebenfalls oft abseitsstehende Singapur kündigte eigene Massnahmen an. Die UN-Vollversammlung verurteilte Putins Invasion mit 141 Stimmen. Nur Weissrussland, Syrien, Nordkorea und Eritrea stimmten mit Russland, während sich 35 Länder der Stimme enthielten. Auch China enthielt sich und in einem Telefongespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj betonte Aussenminister Wang Yi, dass China die Souveränität und territoriale Integrität aller Länder respektiere. China wolle eine «politische Lösung» durch Verhandlungen. Obwohl China und Russland geopolitische Ziele teilen, braucht China den Westen wirtschaftlich. Russland ist nur die elftgrösste Volkswirtschaft und hat ein kleineres Bruttoinlandprodukt als Italien. China werde wegen Russland nicht die Globalisierung aufs Spiel setzen, glaubt Straumann. «China ist verwundbar.» Die chinesische Führung hofft wahrscheinlich, dass es mit der westlichen Einheit bald vorbei sein könnte. Die Flüchtlingswelle aus der Ukraine könnte Europa destabilisieren und die USA müssten mit hohen Kosten für die Bereitstellung wirtschaftlicher und humanitärer Hilfe für ihre Verbündeten rechnen, schrieb Ma im erwähnten Beitrag zu den Sanktionen. 3. Wie stark sind die USA noch? Zwar hat China die USA bei der Produktion und im Handel bereits überholt und ist ihnen bezüglich Bruttoinlandprodukt auf den Fersen. Was aber das Finanzsystem und die Bedeutung des Dollars für die Weltwirtschaft betrifft, sind die USA weiterhin unangefochten führend. «Die finanzielle Macht liegt nach wie vor fest in den Händen des Westens», sagte Eswar Prasad, ein Ökonom der Cornell University, der Wirtschaftsagentur Bloomberg. Die USA und ihre Verbündeten haben Russland so tiefgreifend von der Weltwirtschaft abgeschnitten, dass die Auswirkungen noch jahrelang zu spüren sein könnten. Eine Abkoppelung Chinas vom US-geführten Finanzsystem wäre eine riesige Aufgabe mit unsicherem Ausgang. So hat sich die chinesische Zentralbank zwar bemüht, ihre Devisenreserven zu diversifizieren und das Gewicht der US-Bundesanleihen zu verringern. Doch mit über 1 Billion Dollar ist die People’s Bank of China nach wie vor der zweitgrösste Inhaber dieser Papiere. CIPS, das chinesische Gegenstück zu Swift, steckt noch in den Kinderschuhen. Nur 75 Teilnehmer sind ans Zahlungssystem angeschlossen – allesamt Auslandniederlassungen chinesischer Banken. Der chinesische Renminbi macht zudem laut Bloomberg nur 3 Prozent der Swift-Transaktionen und 2,7 Prozent der globalen Währungsreserven aus. Selbst chinesische Banken halten sich deshalb an US-Sanktionen. So beklagte sich etwa Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam, dass sie kein Bankkonto eröffnen könne und stapelweise Bargeld zu Hause aufbewahren müsse. Eine langfristige Entglobalisierung oder Spaltung der Weltwirtschaft in Blöcke ist nicht ausgeschlossen und solche Tendenzen begannen schon vor der Pandemie mit dem Handelskrieg, den Donald Trump gegen China begonnen hat. Das Coronavirus und nun die russische Invasion mögen diese Entwicklung verstärken, aber auch China hat dabei viel zu verlieren. «Im Kampf zwischen Demokratie und Autokratie gewinnen die Demokratien die Oberhand», sagte Joe Biden in seiner Rede zur Lage der Nation. Ob das so bleibt, wird sich auch in der Ukraine entscheiden. Alle weiteren Folgen von «Handelszeitung Insights» finden Sie hier.

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