Als neuer VR-Präsident von ABB ist Peter Voser (56) eine Fehlbesetzung. «Krisen ziehen mich an. Ich brauche turbulente Zeiten, um mich zu entfalten», sagte er 2008, als er zum CEO des grössten europäischen Konzerns berufen wurde, des krisengeschüttelten Erdölgiganten Shell. Einige Jahre zuvor hatte er als Finanzchef unter Jürgen Dormann massgeblich dazu beigetragen, ABB vor dem Bankrott zu retten.

Partner-Inhalte
 
 
 
 
 
 

Jetzt also kehrt der Aargauer zurück zum grössten Schweizer Industriekonzern. Doch eine Krise kann ABB dieses Mal nicht bieten. Zwar gilt es, das Geschäft mit Energiesystemen zu justieren und den Aktienkurs endlich voranzubringen. Doch im Vergleich zu den dramatischen Monaten der Jahre 2002 und 2003 droht Voser diesmal veritable Langeweile am ABB-Hauptsitz in Oerlikon.

Dort ist seine Ernennung mehrheitlich mit Freude aufgenommen worden. Bei vielen Mitarbeitern aus alten Zeiten geniesst der gebürtige Badener seit der Rettung des Konzerns eine Art Heldenstatus. Voser, der mit 16 die Schule abgebrochen hat, um eine KV-Lehre zu machen, gilt als bodenständig, sachlich, pragmatisch und als fleissiger Chrampfer. Mit seiner Ernennung sitzt wieder ein Schweizer im Verwaltungsrat von ABB – so wie es der abtretende Präsident Hubertus von Grünberg an der letzten Generalversammlung versprochen hat.

Die Verbündeten

Der frühere Shell-CEO Jeroen van der Veer war während der 1980er und 1990er Jahre ein grosser Förderer von Peter Voser. Die Headhunter von Egon Zehnder holten ihn 2002 zu ABB, als der Industriekonzern am Abgrund stand. Unter Jürgen Dormann gelang die Rettung, wobei Voser einen grossen Teil des Tagesgeschäftes verantwortete, während Dormann eher als exekutiver Chairman wirkte.

Wichtigste Verbündete waren die ABB-Spartenchefs Dinesh Paliwal, heute CEO des Hi-Fi-Herstellers (und Studer-Eigentümers) Harman/Kardon, und Peter Smits sowie in der ABB-Finanzabteilung Alfred Storck, inzwischen Professor an der HSG, sowie der heutige Finanzchef Eric Elzvik. Seit der gelungenen Rettung ist Grossaktionär und VR-Vizepräsident Jacob Wallenberg ein Fan von Voser und damit ein wichtiger Verbündeter im Gremium.

Als Shell-Chef verantwortete Voser weit reichende Restrukturierungen. Engste Vertraute waren damals der Schweizer Matthias Bichsel als Technologieboss, Hugh Michael als Chief Corporate Officer und Baron John Kerr (früherer britischer Botschafter in Washington, heute im britischen Oberhaus) als Vizepräsident. Ende 2013 gab Voser ein Jahr im Voraus seinen Rücktritt bekannt, das Shell-Board unter Ex-Nokia-Chef Jorma Ollila versuchte vergeblich, ihn zum Bleiben zu überreden.

Beat Hess, Gary Steel und Björn Edlund arbeiteten sowohl bei Shell wie bei ABB für Voser – als Chefjurist, Personalleiter und Kommunikationschef. Bei ABB ist nun CEO Ulrich Spiesshofer Vosers wichtigster Mann.

Die Widersacher

Als Finanzchef der Shell-Sparte Downstream entschied Peter Voser am Morgen des 2. Oktober 2001, kein Kerosin mehr an die Swissair zu liefern – was zum sofortigen Grounding der Airline unter Mario Corti führte. Nach ihrer Rekapitalisierung war Voser der Erste, der wieder lieferte. 2008 setzte er sich in der Ausmarchung um die Shell-Spitze überraschend gegen die hoch favorisierte Gas-Chefin Linda Cook durch – und sorgte danach für ihren Abgang: Die beiden hatten sich nie verstanden.

Als CEO des grössten Mineralölkonzerns der Welt musste sich Voser regelmässig Anfeindungen von Greenpeace unter Kumi Naidoo und Amnesty International unter Salil Shetty gefallen lassen etwa wegen der Offshore-Bohrungen nördlich von Alaska und ausgelaufenen Öls im Nigerdelta. Der Versuch, diese Organisationen mit Shell-eigenen NGO Summits einzubinden, gelang nur begrenzt. Heute sind seine wichtigsten Konkurrenten als ABB-Präsident die Firmen Siemens unter Joe Kaeser, Schneider Electric unter Jean-Pascal Tricoire und GE unter Jeff Immelt.

Die Polit-Connection

Als Shell-CFO und -CEO hat Voser mit vielen Staatschefs selbst verhandelt – etwa mit Wladimir Putin über das Joint Venture mit Gazprom in Sachalin. Auch mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem damaligen französischen Staatschef Nicolas Sarkozy und dem englischen Premier David Cameron hatte Voser immer wieder zu tun.

Der Sultan von Brunei verlieh ihm mit einer Ritterschlagszeremonie den Titel «Dato Seri Laila Jasa», was in etwa vergleichbar ist mit dem «Officer of the Most Excellent Order of the British Empire» und Ausdruck des Dankes für die 90-jährige Partnerschaft zwischen Brunei und Shell ist.

Die VR-Karriere

Marcel Ospel holte ihn 2005 ins Board der UBS. Dort verstand er sich gut mit dem heutigen Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne und Unternehmer Peter Spuhler, Sitznachbar im Board Room. Seit 2011 ist Voser VR von Roche. Letztes Jahr galt er als Favorit für die Nachfolge von Franz Humer als Präsident, stand aber nicht zur Verfügung, weil er mit seiner Frau erst auf Reisen gehen wollte. Die Besitzerfamilien Oeri und Hoffmann hätten sowieso keinen Präsidenten mit Benzin an den Händen gewollt, ist eine andere Version.

Zum neuen Präsidenten Christoph Franz hat Voser einen guten Draht, ebenso zu Nestlé-Chef Paul Bulcke. Im Board von IBM, wo er seit kurzem einsitzt, trifft er auf Schwergewichte wie Johnson-&-Johnson-Chef Alex Gorsky oder auf Boeing-CEO James McNerney. Als einer von nur drei Westlern amtet er im Singapurer Staatsfonds Temasek, zusammen mit Ex-Weltbank-Chef Robert Zoellick und Marcus Wallenberg, Chairman von Saab und SEB.

Letzten Herbst übernahm Voser von Josef Ackermann das Präsidium der St. Gallen Foundation for International Studies. Aktiv ist er auch bei Catalyst, einer Organisation, die Frauen in Führungspositionen fördert.

Die Familie

«Auch wer ihn sehr gut kennt, kennt ihn eigentlich kaum», sagt einer, der Voser sehr gut kennt. Dieser hält sein Privatleben geheim. Seine Eltern arbeiteten bei BBC, der Vorgängerfirma von ABB, ebenso wie die Eltern seiner Frau Daniela, einer Spanierin. Sie wohnen in Widen AG und haben drei erwachsene Kinder.

Voser ist begeisterter Skifahrer, am liebsten in Falera GR, wo er ein Eigenheim besitzt. Jeden Winter geht er mit seiner Frau auf die Malediven zum Tauchen. Er ist Fussballfan, besucht regelmässig WM- und Champions-League-Spiele. Seit seiner Shell-Zeit in Buenos Aires schwärmt der frühere Verteidiger des FC Würenlos für die Boca Juniors, wo einst Diego Maradona spielte – und für argentinisches Essen sowie Patagonien, das er vor seinem Amtsantritt bei ABB durchwanderte.

Der einst grösste Benzinverkäufer der Welt hat ausserdem einen Hang zu PS-starken Autos.