Als Liu Yang zum letzten Jahreswechsel den ersten Dominostein antippte, war er ziemlich nervös. Doch die durch diesen einen Stein ausgelöste Kettenreaktion, die Punkt für Punkt geplante und kontrollierte Weitergabe von Impulsen von zuoberst bis zuunterst, legte schliesslich 321198 Dominosteine flach. Sie brachte dem Chinesen den Weltrekord im Individual-Domino. Von einem derartigen Effekt können die Kommunikationsstrategen hiesiger Firmen nur träumen.

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Was oben in Bewegung gesetzt wird, kommt unten oft nicht an. Weil es nicht verstanden, nicht umgesetzt oder nicht mitgetragen wird. Weil schon die Kommunikationschefs zum Teil gar nicht begreifen, um was es geht. Und weil die verschiedenen Abteilungen sich nicht verstehen oder nicht verstehen wollen.

Nebelschwaden im Kader

Ein Arbeiter fragt normalerweise so lange beim Chef nach, bis er kapiert, was von ihm erwartet wird. Weil er sonst einen Rüffel kassiert. Fraglich ist jedoch, ob der Chef überhaupt richtig informiert worden ist. «Ab der dritten Führungsstufe wird das Strategiewissen von Nebelschwaden durchzogen», weiss Achim Wirtz, Leiter Marken- und Kommunikationsberatung bei der Kommunikationsagentur Wirz.

Denn kaum ein Abteilungsleiter, Produktionschef oder stellvertretender Direktor wird beim Vorgesetzten dreimal um eine verständliche Erklärung bitten – weil er sich keine Blösse geben will. Oder weil er seinen Chef nicht blossstellen will. Womit das weiter oben in der Hierarchie Gemeinte, Gesagte, Entschiedene eben nicht weitergegeben und umgesetzt wird.

Ob man das ständige Rotieren in den Unternehmen nun Turnaround, Change oder Rebranding nennt, ob Business Transformation, Restrukturierung, Neuausrichtung oder schlicht Wandel – jedes Mal taucht neben der technischen Abwicklung eine ganze Reihe von wesentlichen Fragen auf: Wie vermittelt man die neue Unternehmensstrategie stufengerecht an alle Mitarbeitersegmente? Und zwar so, dass sie verstanden, getragen und wirkungsvoll umgesetzt wird? Welches Zusammenspiel ist zwischen Kommunikation, Personalabteilung und Linienführung erfolgreich? Wo hapert es, wo gibt es sinnvolle Lösungswege? Und vor allem: Wie wird der Erfolg der Strategievermittlung kontrolliert?

«Eine ganze Menge Fragen, auf die es fast keine Antworten gibt», sagt Wirtz. Um herauszufinden, wie stark der Kommunikationsfluss in den Schweizer Betrieben zieht, haben Wirz Corporate und die Swiss Virtual Business School in St. Gallen zusammen mit dem Institut für Strategisches Management der St. Galler Universität im Rahmen einer Studienarbeit 27 Kommunikationschefs von Schweizer Grossunternehmen befragt. Die Quintessenz: Die Bedeutung der Strategiekommunikation wird als «sehr hoch», die eigene «Reife» in der Handhabung dagegen aber bloss als «mittelgut» eingestuft.

«Das ist oft alles viel zu abstrakt»

Was sich in den Unternehmen abspielt, kennt man aus der Tierwelt. Bei Dinosauriern kamen die Signale mitunter nicht schnell genug vom Hirn ganz oben zu den Füssen ganz unten. Kleinere Tiere haben wie auch kleinere Firmen damit weniger Probleme. Denn dort ist der Chef noch einer zum Anfassen, einer, der seine Pappenheimer kennt und ihre Sprache spricht. Je grösser das Unternehmen, desto mehr dominiert die Managersprache. «Das ist oft alles viel zu abstrakt, zu trocken und zu unverständlich», moniert Kommunikationsexperte Wirtz.

Eine Schlüsselrolle im Informationsfluss spielen naturgemäss die Kommunikationschefs, die heute Chief Communications Officer genannt werden. Doch nur ein Drittel der Befragten ist Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung. «Je höher das Gremium, in dem man sitzt, desto mehr Mitsprache und Gestaltungsspielraum hat man», weiss Wirtz. So könnten die Kommunikationsprofis als Coach und aktive Mitgestalter fungieren und direkt an der Quelle auf Verständlichkeit pochen.

Ansonsten besteht die Gefahr, dass schon die Übermittler der Nachricht den Inhalt nicht kapiert haben und die Kommunikationsabteilungen zu schlichten Verteilern oder bestenfalls Übersetzern degradiert werden.

Eine zentrale Aufgabe

«Der Kommunikationschef sollte Mitglied der Geschäftsleitung sein. Wir sind nicht nur Befehlsempfänger, sondern gestalten die Strategie mit», sagt deshalb Stephan Feldhaus, als Leiter Group Communications bei Roche selber Mitglied der erweiterten Konzernleitung. «Die richtige Aufbereitung strategischer Botschaften setzt eine sehr hohe emotionale Intelligenz des Verfassers voraus.»

In der Realität dominieren hingegen rationale und analytische Botschaften. Beispielsweise heisst es dann, dass «die Neugestaltung der Gebindestruktur zu einer besseren Marktdurchdringung führen soll». Dabei ist den Strategievermittlern durchaus bewusst, dass Botschaften besser ankommen, wenn sie verständlicher formuliert werden.

Also: «Wie sorgen wir dafür, dass die Kundschaft die neuen Flaschen lieber kauft?» «Strategiekommunikation muss einfach, nachvollziehbar und packend sein. Die Botschaft muss auf einem Bierdeckel Platz haben», formuliert SBB-Kommunikationschef Stefan Nünlist den Anspruch.

Problem Fachvokabular

Das ist leichter gesagt als getan. Denn je grösser die Unternehmen und je mehr Abteilungen, desto stärker ausgeprägt auch das Gärtchendenken in den Abteilungen. Gerade diese persönlichen Königreiche mit ihrer bereichsspezifischen Terminologie hemmen aber den Kommunikationsfluss. Oft ist es sogar gewollt, eine andere, eigene, elitäre Sprache zu sprechen, um sich abzugrenzen. Für die Kommunikationsleute sind die Personaler die drögen Humanisten, für diese sind jene die ruchlosen Verkäufer – die will man gar nicht verstehen.

Die Zusammenarbeit zwischen Kommunikation und Personalabteilung ist das grosse Thema. Doch Fachvokabular und Mentalitäten der Bereiche schaffen Kommunikationsbarrieren und behindern das gegenseitige Verstehen, monieren deshalb Kommunikationsspezialisten.

Dabei heisst «Verstehen» noch nicht einmal viel. In Anlehnung an den österreichischen Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat die Kommunikationspsychologie das Sender-Empfänger-Modell entwickelt, das grob Folgendes aussagt: «Gedacht ist nicht gesagt; gesagt ist nicht gehört; gehört ist nicht verstanden; verstanden ist nicht einverstanden; einverstanden ist nicht angewendet und angewendet heisst nicht immer beibehalten.» Auf jeder dieser Stufen haben also die Botschaften und Methoden der Strategievermittlung hervorragende Chancen, hängen zu bleiben. Und das tun sie auch.

Selbst an der Kontrolle haperts

Von 100 Prozent Input oben resultieren aufgrund dieser Kaskade gemäss verschiedenen Untersuchungen nur noch 30 Prozent Commitment unten. Das heisst nichts anderes, als dass im Extremfall zwei von drei Mitarbeitenden die Strategie nicht kennen, nicht begriffen haben, nicht anwenden oder nicht hinter ihr stehen. Der Effekt: Die Strategiekommunikation bleibt wirkungslos, die Strategie entwickelt nur noch einen Bruchteil der Wirkung, die sie haben könnte.

Doch das ist erst die eine Hälfte des Problems, diejenige Hälfte überdies, die meistens nicht mal gross auffällt, weil es niemand merkt. Denn ganz im Argen liegt es bei der Kontrolle von Massnahmen zur Strategiekommunikation. «Man prüft die Qualität einzelner Massnahmen, statt ihre Wirksamkeit zu prüfen», sagt Wirtz. Das scheint eine der wesentlichen Ursachen einer gewissen Hilflosigkeit zu sein. «Wenn man nicht weiss, ab welchen Stufen abwärts die Masse der strategisch Unwissenden beginnt und wo die Defizite liegen, kann man auch nichts tun, um sie zu beseitigen.»

Was deshalb meistens getan wird, ist das absolute Minimum: Anstelle von konsequenter Wirkungsmessung beschränkt man sich auf Mitarbeiterbefragungen alle paar Jahre. Oder man baut auf direkte Feedbacks zu Massnahmen, die aber persönlich und deshalb nie repräsentativ sind. So können sich die Strategen in falscher Sicherheit wiegen, und bis sich herausstellt, dass trotz aller Entscheide und interner Kommunikationsversuche gar nichts passiert, steht bestimmt schon wieder die nächste Restrukturierung, der nächste Turnaround auf der Traktandenliste.

 

Tipps von Profis: So gelingt die Strategiekommunikation

  • Bündelung der Disziplinen Kommunikation und Personal.
  • Ansiedlung der Verantwortung in der Unternehmensleitung.
  • Segmentierung der Zielgruppen nach Betroffenheit und Beitrag zum Strategieerfolg.
  • Stufengerechte Inszenierung der Inhalte und (be)greifbare Botschaf-ten.
  • Breiter Einsatz von klassischen Medien, Erlebnisformaten und Social Media.
  • Stützung der Strategiekommunikation durch Aus- und Weiterbildung und das Anreizsystem.
  • Systematische Kontrolle der Kommunikationswirkung und ihre Integration in Führungssysteme (KPI).
  • Die eigenen Motivationstreiber nicht auf die Mitarbeitenden übertragen.
  • Beteiligung anstelle von Vorgaben.
  • Möglichkeit zur kritischen Reflexion anstelle einer Flut von Schönwetterbotschaften.