Tennis ist kein Managersport mehr. Der Platz unterhalb des Geländes der Buchinger-Wilhelmi-Klinik ist verwaist. «Unser Tennisplatz wird kaum mehr genutzt», sagt Klinikchef Raimund Wilhelmi. Fliegenfischen und natürlich auch Golf scheinen die neuen Trendsportarten zu sein, so Wilhelmi.

Nicht nur beim Thema Tennis ist die Buchinger-Wilhelmi-Klinik eine Art Spiegelbild, wenn es um die Gewohnheiten, Sorgen und Wünsche von Führungskräften geht. Denn hierher kommen sie, um sich zurückzuziehen, viele aus der Schweiz, und um sich diskret und in einer gewissen Abgeschiedenheit ihren Problemen und Problemzonen zu widmen.

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Die Fastenklinik ist aufgebaut wie ein kleines Dorf; so diskret und unauffällig wie der Eingangsbereich ist, so weitläufig präsentiert sich das Gelände mit Häusern, Pools und einem eigenen Shop über dem Bodenseeufer. «Fasten ist der freiwillige Verzicht auf feste Nahrung für eine bestimmte Zeit. Idealerweise gelingt das bei einem Rückzug aus dem Alltag und dem Berufsleben, denn diese beeinflussen stark geistige und körperliche Prozesse», sagt Wilhelmi.

Nahe an der Heimat

Seit den 1980er Jahren beobachtet er, dass beruflich stark eingebundene Personen als Kundengruppe stark zunehmen. «Mit den Jahren wurde das Fasten um die Betreuung durch einen Psychotherapeuten ergänzt; generell ist es ja heute völlig normal, dass man einen Coach hat.»

Und das Angebot kommt auch bei vielen Schweizern gut an. Manager wie Josef Ackermann ziehen sich für Entscheidungen, nach Krisen, beruflichen Wendepunkten oder mit einem einfachen Abspeckziel in die Klinik zurück, erklärt Wilhelmi. Der hauseigene Fahrer holt sie in Zürich, Basel oder Bern und lädt sie in Überlingen ab. Sie sind nahe an der Heimat und doch weit genug entfernt, dass sich der Aufenthalt nicht sofort herumspricht.

«Ich mag Leute, die sich unvoreingenommen auf einen Prozess einlassen. Manche, die zu uns kommen, stehen vor Entscheidungen, etwa, ob sie Führungsrollen übernehmen sollen oder besser aussteigen.» Die Schweizer Kundschaft falle vor allem durch ihre hohe Disziplin auf, so Wilhelmi. «Es sind sicher Kunden dieser Nationalität, die sich am wenigsten beschweren.»

Wandel des Managertyps

Von der Arbeit können sich die Fasten-Kurgäste oft erst nach Tagen trennen. «Ein Manager aus Zürich malt jeden Tag, wenn er hier ist. Ein französischer Designer arbeitet hier weiter an einem grossen Tisch mit einem Stapel Papier. Der Verleger Siegfried Unseld hat bei uns ein Kilo pro Tag abgenommen und ist jeden Tag eine Stunde geschwommen.»

Das Programm der Klinik soll die Arbeit möglichst schnell in den Hintergrund drängen. Dafür stehen Wandertouren auf dem Programm, bei denen schon mal der Grundsatz gilt, nicht miteinander zu sprechen – eine Methode, um sich vom von manchen schon mal als quälend empfundenen, unverbindlichen Smalltalk zu befreien. Musik- und Leseabende, Beauty Treatments und Stretching-Einheiten sollen den geschundenen Körper der Führungskraft lockern.

Wilhelmi und sein Team haben den Wandel des Managertypus aus der Nähe mitverfolgt. Und zwar den Wechsel vom beleibten und gutgelaunten, dem Alkohol nicht abgeneigten Patron, der isst, was er will, und seine Entscheidungen schon mal instinktgetrieben trifft, hin zu einem schlanken, um nicht zu sagen mageren, rational und nüchtern argumentierenden Managertypus, der seinen Körper genauso penibel kontrolliert wie seine Bilanzen. «Heute überwiegt der Trend zum joggenden, schlaksigen und sportlichen Manager», so Wilhelmi.

Telefonieren nur in den Zimmern

Während die Zivilisationskrankheit Fett bei den meisten Managern inzwischen fast bis auf die Bedeutungslosigkeit zurückgedrängt wird, hat sich anderes ungesundes Verhalten ausgebreitet. «Manche telefonieren während der Massage mit drei Handys», erzählt Wilhelmi. Dabei ist Telefonieren in der Klinik eigentlich nur in den Zimmern erlaubt. Während die meisten Führungskräfte also nicht mehr ihre Kilos reduzieren müssen, leiden sie an digitaler Übersättigung. Digitales Fasten werde für viele Besucher immer zentraler, so Wilhelmi.

Der Smartphone-Konsum sei völlig entgrenzt und es mangle bisher immer noch an einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser neuen Sucht, die manche als vernachlässigbar einschätzen. Wenn dann aber für einige Tage das Handy still bleiben muss, zeigen sich Entzugserscheinungen, wie sie beim Essensentzug gar nicht vorstellbar sind. «Fasten bedeutet immer eine Wendung nach innen», sagt der Klinikchef.

Suche nach Antworten

Viele Kunden der Buchinger-Wilhelmi-Klinik kommen in einer Phase ihres Lebens, die man als Krise bezeichnen könnte. Ein bevorstehender Jobwechsel, eine Nachfolgeregelung im Unternehmen, ein langsam sich aufbauendes Burnout. Die Klinik versteht sich als Präventionsort, aber bietet auch Beratung für die Lebensprobleme der Klientel. «Wir bieten sicher ein Umfeld für Entscheidungen, aber unsere Berater drängen nicht in eine Richtung. Wenn ein Geschäftsführer sagt, er verkauft nach dem Aufenthalt seine Firma und möchte Yogalehrer werden, bestätigen wir ihn nicht unbedingt, sondern weisen auch auf Gefahren hin.»

Eine Art Wandel hat auch der Klinikchef Wilhelmi vor sich – und hat damit etwas mit seiner Kundschaft gemein. Es steht ein Generationenwechsel an. Die Söhne, der eine ausgebildet an der Uni St. Gallen, der andere an der Hotelfachschule in Lausanne, werden in den 18 Monaten nach und nach Verantwortung übernehmen, während deren sich Wilhelmi immer weiter zurückziehen will.

Anstehender Generationenwechsel

Eine gewisse Nostalgie schwingt mit, wenn er über seine Jahre auf dem Klinikgelände erzählt und über nicht gelungene Projekte sinniert: «Ich hätte vielleicht gerne eine dritte Klinik gegründet, ich dachte dabei an Long Island bei New York oder Libanon.» Ein Wunsch, der nicht in Erfüllung ging. Neben der Klinik am Bodensee gibt es noch eine Schwesterklinik in Marbella. Begründer der Kliniktradition, auf die sich auch das gesamte therapeutische Programm bezieht, ist Otto Buchinger, der Begründer des therapeutischen Heilfastens – Wilhelmi ist dessen Enkel.

Den anstehenden Generationenwechsel hat die Wilhelmi-Familie nicht dem Zufall überlassen, zu oft konnte Wilhelmi Patrons beobachten, die sich in chaotischen Übergabeprozessen verzettelt hatten und nicht loslassen konnten. Eine externe Strategieberatung soll die Stabsübergabe begleiten. Dass man nicht alles alleine schaffen kann, das hat Wilhelmi von vielen seiner Kunden gelernt.

Stefan Mair
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