Der bekannte US-Investor Jeremy Grantham warnt vor einem Crash an den (US-)Börsen. Droht tatsächlich der Ausverkauf an den Märkten?
Wenn man die Medien verfolgt, findet man immer jemanden, der einen Crash prophezeit. Risiken bestehen natürlich, und ich will sie auch nicht kleinreden, aber genauso kann man auch Gründe finden, aus denen sich ein Boom ableiten lässt. Beide Szenarien kann man nicht ausschliessen. Wir erachten sie derzeit aber als wenig wahrscheinlich.

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Christoph Schenk ZKB

Christoph Schenk ist Anlagechef (Chief Investment Officer) bei der Zürcher Kantonalbank.

Quelle: ZVG

Wie lange hält der Höhenflug beim Ölpreis an?
Die Rohölpreise werden wohl noch einige Monate auf erhöhten Niveaus bleiben. Nach dem Omikron-bedingten starken Einbruch Ende November haben sich die Preise für Energieträger rasch erholt und sogar den höchsten Stand seit sieben Jahren erreicht. Der Markt blickt bereits über die konjunkturelle Delle hinaus und schielt auf die wieder anziehende Wirtschaft im Frühling.

Auf der anderen Seite stockt die Ausweitung des Angebots, da einige Exportländer Mühe haben, ihre Produktion wie geplant hochzufahren. Zuletzt hat die Zuspitzung im Ukraine-Konflikt den Ölpreisanstieg weiter befeuert.

Im Jahresverlauf dürfte das Angebot allerdings wieder besser mit der Nachfrage mithalten können, zumal sich das zuletzt überdurchschnittlich hohe globale Wirtschaftswachstum im zweiten Halbjahr 2022 wieder zurück auf Potenzialwachstum normalisieren wird. Dies dürfte auch zu einer Entspannung bei den Rohölpreisen führen.

«Die Rohölpreise werden wohl noch einige Monate auf erhöhten Niveaus bleiben.»

Der Franken ist zum Euro auf dem höchsten Stand seit sechs Jahren. Wird sich die Aufwertung fortsetzen, bleibt der Franken so stark?
Wir rechnen damit, dass der Euro in diesem Jahr gegenüber dem Franken Boden gutmachen kann (Zwölfmonatsprognose: 1,08). Das Wachstum in Europa wird über die nächsten Monate anziehen und die wirtschaftliche Erholung sich fortsetzen.

Zudem hat die Inflation in der Euro-Zone ihren Höhepunkt erreicht und wird sich im Jahresverlauf in Richtung des Inflationsziels der EZB von 2 Prozent zurückbilden. Folglich dürften sich die Realzinsen in der Euro-Zone von ihren Tiefstständen lösen und die Realzinsdifferenz zur Schweiz wieder einengen.

Italiens Wirtschaft zeigt sich derzeit in ungewohnt starker Verfassung. Droht der Aufschwung wegen neuer politischer Instabilität nun ein Ende zu nehmen?
Nein, das ist nicht der Fall. Trotz der kräftigen Erholung im vergangenen Jahr liegt die Wirtschaftsleistung immer noch unter dem Vorkrisenniveau. Es gibt somit immer noch viel Aufholpotenzial. Für einen anhaltenden Aufschwung sprechen auch die Milliardenbeträge, die Italien aus dem Europäischen Aufbaufonds erhält sowie der von uns erwartete Abbau der Corona-Restriktionen.

Das Risiko der Präsidentschaftswahlen ist eher mittelfristiger Natur. Viele befürchten, dass mit Mario Draghi als Staatspräsident die eingeleiteten Strukturreformen nicht umgesetzt werden und das Land wegen frühzeitiger Neuwahlen wieder gelähmt wird. Im schlimmsten Fall bilden die europakritischen Parteien die neue Regierung, was wie vor vier Jahren zu Verwerfungen an den Finanzmärkten führen würde.

Wechseln wir zum allgemeinen Geschehen an den Börsen. Wie stark beschäftigt die Corona-Krise die Finanzmärkte noch?
Die Pandemie an sich ist für die Investoren kein grosses Thema mehr. Zwar sind weiterhin vielerorts restriktive Massnahmen zur Eindämmung des Virus aktiviert, aber die Zeichen für eine Entspannung mehren sich.

Indirekt spielt die Pandemie aber noch eine grosse Rolle, denn jetzt geht es sozusagen ans Aufräumen. Die Engpässe in den Lieferketten müssen beseitigt, die geld- und fiskalpolitischen Stimuli abgebaut beziehungsweise die hohen Inflationsraten gesenkt werden.

Wie wird sich die Schweizer Börse kurzfristig entwickeln?
An den Finanzmärkten ist die Unsicherheit aufgrund der genannten Themen mit Händen zu greifen. Dabei geht es im Wesentlichen um die Fragen, ob die globale Konjunktur die Rücknahme der geld- und fiskalpolitischen Stimuli verkraftet und ob eine dauerhaft hohe Inflation vermieden werden kann.

Wir gehen davon aus, dass beides gelingt. Bis die Anzeichen dafür klarer werden, dürfte aber noch etwas Zeit verstreichen. In solchen Phasen ist der defensive Charakter des Schweizer Marktes mit seinen fundamental gut aufgestellten Unternehmen ein Vorteil. Das heisst, falls die Unsicherheit anhält und die Aktienkurse entgegen unseren Erwartungen nicht steigen sollten, sollte die Schweizer Börse zumindest besser abschneiden als andere Märkte.

Wo steht der SMI in zwölf Monaten?
Wir gehen davon aus, dass die Unsicherheit an den Märkten Richtung Sommer verfliegen wird. Die Pandemie sollte dann eine Endemie sein, Investoren werden sich mit der zinspolitischen Wende in den USA arrangiert haben und die Inflationsraten werden langsam sinken.

Die globale Wirtschaft wird immer noch wachsen, aber nicht mehr so stark wie zuvor. Eine Rezession ist vorerst nicht zu erwarten. Das heisst für Investoren: Die tief hängenden Früchte sind zwar schon gepflückt, aber mit einem Ernteausfall ist auf Sicht der kommenden zwölf Monate eher nicht zu rechnen. Wir erwarten einen höheren SMI als heute.

Christoph Schenk hat die Fragen schriftlich beantwortet.