Seit zwei Wochen stehen die Aktienmärkte unter dem Schock eines Krieges. Wie beurteilen Sie die jetzige Lage an den Märkten? 
Georg von Wyss: 
US-Aktien sind weniger gefallen als europäische. Das heisst, derzeit eskomptieren die europäischen Märkte die geopolitischen Unsicherheiten sowie das Problem, das mit höheren Energiepreisen entstehen könnte. Beides ist für sie viel wichtiger als für die Amerikaner. Sollten die Energiepreise aber wieder aus irgendeinem Grund sinken, wird der Krieg keinen grossen Einfluss auf die Börse haben - womit ich keinesfalls die schrecklichen Umstände des Krieges in der Ukraine trivialisieren will. 

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Was erwarten Sie, sollten die Energiepreise hoch bleiben?
Dies würde zu einer Rezession oder zumindest zu einer Verlangsamung des Wachstums führen. Der Börse scheint es aber noch nicht ganz klar zu sein, wie stark die Energiepreise das Wachstum belasten werden. Die Rebounds dieser Woche könnten ein Hinweis sein, dass dem ersten Entsetzen über Putins Überfall auf die Ukraine eine nüchternere Betrachtung dessen folgt, was sich ökonomisch verändert hat. 

Müssen wir weiter mit schwankungsanfälligen Märkten rechnen?
Die Nervosität wird weiter auf den Kursen lasten. Leider, so fürchte ich, dauert dieser Krieg noch länger. Aber in ein paar Wochen werden wir mehr wissen. Und es wird Firmen geben, die Vor- und Nachteile haben werden. Es wird nicht alles beim Alten bleiben. 

Gründer und Manager

Georg von Wyss ist Mitbegründer und Portfoliomanager von BWM Value.

Eine Firma, in die BWM investiert ist, ist die Flugzeug-Leasingfirma Aercap. Diese ist wegen ihres Kunden Aeroflot, der massiv von den Sanktionen gegen Russland betroffen ist, in die Schlagzeilen geraten. 
Aercap wird sicherlich einen Nachteil haben. Die Frage ist, wie stark. Man kann ausrechnen, wie gross der Verlust im schlimmsten Fall ist: Sollten alle Flugzeuge in Russland abgeschrieben werden müssen, dürfte sich der Buchwert um bis zu 20 Prozent reduzieren. Aber: die Firma ist im Prinzip gegen solche Ereignisse versichert, und sollte die Aeroflot eines Tages den Betrieb wieder aufnehmen und Leasingraten wieder bezahlen können, sieht es anders aus. Die Reduktion des Buchwerts dürfte also über mehrere Jahre gesehen zwar nicht Null sein, aber auch nicht 20 Prozent.  

Sehen Sie bei den jetzigen Kursrückgängen auch Überreaktionen?
Bei einer zyklischen Aktie kann es sein, dass man ein oder zwei Jahre Gewinn oder Cashflow verliert. Andere Firmen dürften zwar viel beim Kurs verlieren, aber nicht so sehr beim Cashflow. Und die negativen Kursreaktionen haben wir ja schon gesehen. Der österreichische Maschinenbaukonzern Andritz, in den wir investiert sind, hat stark gelitten, weil Österreich näher am Kriegsgeschehen liegt. Andritz hat jedoch kaum Geschäft in Russland, und doch verlor der Kurs in den ersten Tagen 10 Prozent mehr als vergleichbare Aktien. Dies ist nicht gerechtfertigt. 

Mehrere Jahre mussten Value-Investoren untendurch. Ihre nach dem Value-Prinzip geführten Aktienfonds hatten nun ein gutes 2021, verglichen mit Anfang 2022 ist die Performance - wie viele Teile des Marktes - im Minus. Was sind die Gründe für die Marktentwicklung seit Januar?
2021 war teilweise gut. Wir waren wunderbar unterwegs, aber dann kam Omikron. Zunächst wussten wir ja wenig über diese Variante des Coronavirus. Die maximale Verunsicherung setzte Value zu und die Märkte orientierten sich wieder in Richtung der Apples und Amazons. Diese teuren Large-Cap-Aktien wurden auch wieder attraktiv, weil die Zinsen nach unten gingen. 2022 dann war Value zunächst wiederum sehr gut unterwegs. 

Sie sprechen darauf an, dass Anfang Januar bekannt wurde, dass die US-Notenbank Federal Reserve die Zinsen schneller anheben wird. Dies brachte eine Sektorrotation in Richtung Value. 
Wir waren zu diesem Zeitpunkt an der genau richtigen Stelle, um die Sektorrotation mitzunehmen. Unterbewertet sind vor allem europäische Aktien. Bis vor zwei Wochen waren wir stark im Plus. Dann marschierte Putin in die Ukraine ein. Das Jojo-Spiel am Aktienmarkt wie 2020 mit der Covid-Pandemie zeigt sich erneut. Im Moment wirft man unterbewertete Aktien genauso aus dem Portfolio wie die teuren Aktien. 

Abgesehen vom Ukraine-Konflikt beschäftigt sich der Markt mit den steigenden Zinsen. Wie wird sich dies für den Value-Anlagestil auswirken? 
Für uns ist dies sehr gut. Steigende Zinsen werden dem Value-Stil massiv helfen. Unterbewertete Aktien werden auch der Teil des Marktes sein, der einen gewissen Schutz bietet. Steigende Zinsen tun theoretisch allen Aktien weh, aber Value viel weniger als den bisherigen Börsenlieblingen. Wenn die Investoren bei den teuren Aktien Verluste erleiden, dann wollen sie vermehrt unterbewertete Titel kaufen. Der negative Effekt der Zinsen wird dann kompensiert durch den positiven Effekt der Sektorrotation. Anders formuliert: Bewertungen werden wieder eher berücksichtigt.  

Eine eher langsame Gangart der Federal Reserve könnte Growth-Titel erneut in den Fokus rücken. Bei stabilen Wachstumsunternehmen warten im Moment viele an der Seitenlinie. 
Solange die Zinsen steigen, sollte der Markt nicht dauernd hin- und hergehen. Value und Growth ist ja eigentlich eine «künstliche» Unterscheidung. Man sollte wirklich eher zwischen «billigen» oder tief bewerteten Aktien einerseits und «teuren» Aktien andererseits unterscheiden. Es gibt unterbewertete Aktien, die wachsen und teure Aktien, die nicht stark wachsen, wie beispielsweise Apple mit einem immer noch beachtlichen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 24. 

Aber reicht dies wirklich aus, damit Bewertungen wieder ernster genommen werden? 
Der Punkt ist: Wir Investoren müssen ein Gleichgewicht zwischen den Wachstumsperspektiven der Firmen und der Bewertung finden. Über die Jahre hat der Mechanismus dieses Abwägens funktioniert und deswegen haben unterbewertete Aktien langfristig immer eine Outperformance gezeigt. Weil die Märkte nun extrem Momentum-getrieben waren, hat dieser Mechanismus während sechs Jahren nicht gegriffen. Anfang 2021 und Anfang 2022 aber griff er wieder. Wir sind weiter der Ansicht, dass teure Firmen relativ zu deren Wachstumsperspektiven und deren Risiko zu teuer geworden sind. 

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Wie werden sich Ihrer Meinung nach die Zinsen denn entwickeln? 
Ich denke, dass wir jetzt in Europa mehr Geld für die Verteidigung ausgeben werden. Zugleich haben wir zwei Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine, die versorgt werden müssen. Dann, es werden Regierungen bei steigenden Energiepreisen private Haushalte unterstützen. Und dann kommen die Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine dazu. Dies dürfte mehr Obligationen auf den Markt bringen und dies wird meinem Verständnis der Märkte nach die Zinsen nach oben treiben. Und bei den Zinsen der Europäischen Zentralbank sagt der Markt klar, dass sie sich Zinserhöhungen gegenüber nicht verschliessen kann. 

Die Schweizer Aktien in ihren Fonds sind EFG, Swatch und Adecco. Gibt es nicht mehr unterbewertete Aktien am Schweizer Markt?
Das sind die drei, die wir kennen. Wir haben nicht alle Titel bewertet. Sicher sind viele Titel eher teuer. Nestlé beispielsweise - eine sehr gute, konstant wachsende Firma - ist teuer geworden. Die Risikoprämie - Earnings yield minus risikofreien Zinssatz - ist historisch 5,3 Prozent, jetzt 4,3 Prozent. Wenn sich die Zinsen nicht bewegen, haben wir zum historischen Durchschnitt ein Downside von 18 Prozent. Wenn die Zinsen von Obligationen mit zehn Jahren Laufzeit zudem um 100 Basispunkte steigen, dann vergrössert sich dieses Downside auf 30 Prozent. Bei solchen Risiken ist es für mich klar, dass man Value-Titel halten muss.

Bei einem Vermögensverwalter wie EFG oder konjunkturabhängigen Firmen wie Adecco und Swatch haben Sie aber auch steigende Risiken, gerade nochmals verschärft durch den Krieg und dessen wirtschaftliche Folgen. 
Klar, ein Vermögensverwalter spürt es, wenn die Börsenkurse sinken. Die EFG-Aktie ist auch nicht mehr so stark unterbewertet wie früher. Adecco hingegen ist jüngst sehr billig geworden und das ist auch nicht ganz ohne Selbstverschulden des Unternehmens. Eine Rezession würde etwas vom inneren Wert kosten, aber wenig. Bei Swatch wiederum erkennen wir mehr betriebswirtschaftliches Denken. Was schon einmal gut ist: Die Kosten sind besser im Griff. Am Ziel ist die Firma aber noch nicht. Aber Swatch ist jetzt noch einmal günstiger geworden.  

«Wenn man die CS-Aktie einmal im Depot hatte, wird noch lange darüber geredet.»

Georg von Wyss

Ihre Fonds haben im zweiten Quartal 2021 die Anteile an der Credit Suisse (CS) verkauft. BWM war einige Jahre in die Grossbank investiert - wie kam es zu diesem Entscheid? 
Wenn man die CS-Aktie einmal im Depot hatte, wird noch lange darüber geredet. Es ist wie verhext. 

Sie meinen, es verfolgt Sie wie ein Fluch?
Genau, wie ein Fluch, den man nicht loswird. 

Aber warum kam es zum Beschluss, die Aktie abzustossen? 
Wir haben nach den Verlusten mit Greensill und Archegos die Geduld verloren. Die Motivation hinter einem CS-Investment war ja immer gewesen, dass jemand in dieser Bank aufräumt und diese Bank dann endlich aufhört, schlechte Nachrichten zu produzieren. Aber dies passierte nicht. Und dann entschieden wir uns für andere, unterbewertete Investments, bei denen das Risiko geringer ist, dass man schon am nächsten Tag wieder schlimme Nachrichten über das Unternehmen liest. 

Aber unterbewertet bleibt die CS?
Ja. Wer in jenem Zeitpunkt Aktien der CS kauft, wenn die schlechten Nachrichten aufhören, wird sich sehr freuen. Aber wir wissen nicht, wann dies sein wird. Bei CEO Tidjane Thiam glaubte man, er räume auf, und dann kamen Greensill und Archegos. Als Antonio Horta-Osorio Verwaltungsratspräsident wurde, dachte man, er würde dann wirklich aufräumen. Stattdessen hielt er sich nicht einmal an die Corona-Regeln. Wie glaubwürdig ist so etwas? Wie soll so jemand Risiken aufdecken? Diese Haltung! Unglaublich!

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