«Metaversum» – oder englisch «Metaverse» – ist das neueste Schlagwort unter Anlegenden. Seit Facebook, eines der grössten Unternehmen der Welt, beschlossen hat, seinen Namen in «Meta» zu ändern und in den nächsten zehn Jahren jährlich 10 Milliarden Dollar in das Metaversum zu investieren, sind die Aktienkurse von Unternehmen explodiert, die auch nur entfernt etwas mit dem Metaversum zu tun haben. Im Zuge des Ausverkaufs bei Technologieaktien zu Beginn des neuen Jahres sind sie dann aber wieder massiv eingebrochen.  

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Die Big-Tech-Branche feiert das Metaversum als nächste Stufe des Internets. Bei diesem Phänomen stellt sich die Frage, ob es wirklich etwas Neues ist und wie Anlegerinnen und Anleger von diesem Megatrend profitieren können.

Was ist es – und ist es neu?

Das Metaversum ist in der Tat nichts Neues: Bereits vor dreissig Jahren erwähnte Neal Stephenson diesen Begriff in seinem Science-Fiction-Roman «Snow Crash»: Darin beschreibt der Autor das Metaverse als eine Kombination von virtueller und erweiterter Realität (Virtual Reality und Augmented Reality, kurz VR und AR) sowie dem Internet. Menschen können dort in einer immersiven Umgebung arbeiten, studieren, einkaufen gehen, Konzerte besuchen und miteinander interagieren. Wenn das nicht visionär war!
 

Über den Autor

Quirien Lemey ist Senior Fund Manager bei der Firma Decalia, zu der er im Sommer 2021 stiess. Er verwaltet gemeinsam mit Alexander Roose den Multithemenfonds Decalia SOCIETY – ein Akronym, das die sieben Anfangsbuchstaben der Themen aufgreift, aus denen er besteht: Security, O2 & Ecology, Cloud & Digitalization, Industrial 5.0, Energy Consumption, Tech Med, Young Generation. Quirien Lemey verfügt über 14 Jahre Erfahrung als Analyst und Fondsmanager; vor Decalia war er elf Jahre lang bei Degroof Petercam Asset Management (DPAM) tätig.   

Daneben existiert seit rund zwanzig Jahren auch die Online-Welt «Second Life». Das Metaversum kann somit sicherlich nicht als neues Phänomen bezeichnet werden. Aber wie lässt sich dann die plötzliche Begeisterung für das Metaversum erklären?

Facebook hat den Trend erkannt

Facebook ist daran nicht unbeteiligt: Die Firma aus Menlo Park ist nicht nur ein digitaler Gigant, der bereit ist, Milliarden für sein Metaversum auszugeben. Das Unternehmen neigt auch dazu, sich auf die Themen zu konzentrieren, die Aufmerksamkeit erregen und fesseln. So wurden Whatsapp und Instagram gekauft, weil man gesehen hatte, dass die Jugend ihre Zeit auf anderen Plattformen als Facebook verbringt. Für die Jugend von heute ist Facebook etwas, was Mama und Papa nutzen. Aus dieser Sicht war Instagram im Nachhinein eine sehr gute Akquisition, auch wenn der Markt damals von dem ausgehandelten Preis weniger begeistert war.  

Daher ist man zu Recht wachsam, wenn Facebook sich positioniert. Mark Zuckerberg und seine Mitarbeitenden haben wahrscheinlich festgestellt, dass «Fortnite» und «Roblox» weltweit eine beachtliche Nutzerbasis aufgebaut haben. Diese sehr junge Nutzerbasis spielt jedoch nicht nur Spiele auf diesen Plattformen. Sie nutzt sie auch als Treffpunkt, besucht Konzerte wie jenes von Ariana Grande kürzlich auf «Fortnite» oder besucht virtuelle Geschäfte wie das von «Vans World». Angesichts dieser Fortschritte sieht Facebook das Konzept des Metaversums zwangsläufig als eine enorme Chance für Werbeeinnahmen. Wenn man dann noch NFT (Non-Fungible Tokens) und Kryptowährungen hinzufügt, die in einer virtuellen Welt gedeihen können, hat man einen Karneval der Trendwörter, der die Fantasie des Marktes beflügelt.    

Wilde Fantasien?

Die Frage ist, ob unsere Fantasie zu weit geht oder ob wir tatsächlich auf dem Weg in eine Welt sind, wie sie in Stephen Spielbergs «Ready Player One» zu sehen ist.  

  • Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es nicht das «eine» Metaversum gibt. Vielmehr sind aktuell viele verschiedene Versionen und Formen davon anzutreffen. Zumindest in absehbarer Zukunft wird es daher unterschiedliche Erfahrungen geben.  
  • Zweitens: Versuchen Sie einmal, ein paar Stunden lang ein Virtual-Reality-Headset zu tragen. Sie wären nicht die erste Person, die anschliessend mit Übelkeit zu kämpfen hätte. Allerdings glauben wir nicht, dass der Zugang zu einem Metaversum unbedingt über ein VR-Headset erfolgen muss. Wahlweise stehen auch Endgeräte wie Smartphone, Tablet, PC oder Konsole zur Verfügung, obwohl in diesen Fällen das Erlebnis weniger immersiv sein dürfte. Man darf daher gespannt sein auf die potenziellen Einsatzmöglichkeiten von Augmented Reality (AR), mit deren Hilfe digitale Elemente auf die reale Welt projiziert werden können. Ein Headset wird hier (vorläufig) immer noch gebraucht, aber das kann auch nur eine einfache Brille sein. Es wäre doch schön, endlich wie in «Star Wars» zu telefonieren! Jüngsten Gerüchten zufolge soll Apple unter der Bezeichnung «Mixed Reality» an einem Headset arbeiten, das VR und AR miteinander verbindet ...  
  • Drittens macht es ein bisschen skeptisch, dass die Älteren oder die nächsten Generationen dazu gebracht werden könnten, alles in einer virtuellen Welt zu tun. Man kann sich vorstellen, virtuelle Meetings abzuhalten und hin und wieder auch ein Online-Konzert zu besuchen. Wenn es aber um das TV- oder Netflix-Schauen geht – womit die meisten immer noch einen Grossteil der Freizeit verbringen –, wäre es überraschend, wenn viele in eine virtuelle Welt abtauchen wollten, um Netflix mit Freunden auf einem Bildschirm innerhalb eines Bildschirms anzuschauen. «Netflix and Chill», also das entspannte Geniessen der Video-on-Demand-Angebote: So weit kann man es sich noch vorstellen. Andererseits könnten viele auch zu alt dafür sein, um richtig zu verstehen, was einen Teenager heutzutage antreibt. Hinzu kommt, dass man sich zwar gelegentliche virtuelle Meetings vorstellen kann; die echten Live-Gespräche und -Interaktionen sind jedoch zu wichtig, um sie vollständig in den digitalen Raum zu verlagern.  

 

Abschliessend sei an dieser Stelle gesagt, dass es immer mehr erfolgreiche Anwendungen im Metaversum geben wird. Zumindest genug, um nach Investitionsmöglichkeiten in diesem Bereich zu suchen. Aber der Übergang wird allmählich erfolgen – und es wird hoffentlich Grenzen geben, die die Gesellschaft akzeptiert.

Wie kann man also investieren?

Obwohl diese Frage keinesfalls erschöpfend zu beantworten ist, gibt es doch einige Bereiche, die für Anlegende interessant sein könnten. Dabei stehen angesichts möglicher «First Mover»-Vorteile zunächst die bestehenden Metaverse-Plattformen im Vordergrund. Der einzige echte, börsenkotierte «Pure Player» ist hier Roblox: Auf dieser Plattform verbringen täglich im Schnitt rund fünfzig Millionen Nutzerinnen und Nutzer insgesamt Milliarden von Stunden. Nike, Disney, Gucci und viele andere sind bereits an Sponsoringprogrammen auf der Plattform beteiligt – und der Roblox-CEO ist dafür bekannt, erklärt zu haben, dass in drei bis fünf Jahren alle Marken ihre Roblox-Strategie haben werden.

Facebook scheint unlängst mit «Horizon Worlds» eine ähnliche Welt lanciert zu haben, in der man jetzt seinen eigenen schwebenden Avatar erstellen kann (der Beginn von Facebooks Metaversum?).  

Dann ist da noch «Fortnite», entwickelt vom Privatunternehmen Epic Games, an dem wiederum Tencent einen grossen Anteil hält. In Asien gibt es das südkoreanische Unternehmen Naver, das mit Zepeto eine bestehende Metaverse-Plattform hat, die nur virtuelle Erlebnisse bietet. Gerade wird jedoch auch ein neuer Hybrid namens «Arcverse» entwickelt, der digitale und reale Welten vereinen soll. Ebenfalls in Asien kann Netease als einer der grössten Gaming-Anbieter weltweit hier natürlich nicht nachstehen und wird sein eigenes nutzergeneriertes Spielerstellungssystem herausgeben. Dieses funktioniert wie jenes von Roblox, fokussiert aber auf Erwachsene. Die Herausforderung bei Roblox ist, dass dort ein Grossteil der Nutzerbasis aus unter 13-Jährigen besteht.  

Diese Jobs gibt es bald im Metaverse

Arbeitsplatz Metaverse? Firmen wie Nike suchen bereits nach Spezialisten und Spezialistinnen für den Bereich. Die folgenden Jobprofile sind denkbar: Zur Recherche (Abo).

Gaming-Bereich als Nutzniesser

Anstatt herauszufinden, welche Metaverse-Plattform vielleicht das Rennen machen wird, könnten man auch überlegen, in die «Waffenbeschaffer» für die Meta-Kriege zu investieren. Diese Plattformen benötigen Inhalte. Denn ohne Inhalte wird es den Nutzern und Nutzerinnen schnell langweilig. Vor diesem Hintergrund könnte man die grösste Übernahme in der Geschichte von Microsoft sehen: die des Spieleentwicklers Activision für 68,7 Milliarden Dollar. Der Gaming-Bereich zählt weiterhin zu den offensichtlichsten Nutzniessern dieser virtuellen Welten und ist auch für die Nutzenden mit am attraktivsten. Aus der Perspektive von Microsoft betrachtet ist Activision eine hervorragende Akquisition, die das Portfolio um die erfolgreichsten Videospielmarken der Welt («Warcraft», «Starcraft», «Call of Duty» und so weiter) erweitert.  

Ob allerdings die Übernahme ohne Weiteres durchgewunken wird, ist eine andere Frage. Da in diesem Fall ein Grossdistributor (Xbox) einen führenden Content-Entwickler übernimmt und Microsoft als Technologieschwergewicht eine Grossakquisition tätigt (obwohl die Transaktion gemessen an der Grösse von Microsoft gar nicht so gross ist), bleibt abzuwarten, ob die US-Regulierer nur bellen oder auch beissen werden.  

Sicherlich rücken durch diese Transaktion auch andere Spieleentwickler wie EA, Take 2 und Ubisoft ins Rampenlicht. Und natürlich muss man die Gaming-Erlebnisse auch erzeugen – vielleicht unter Verwendung der Engine von Unity Software? Ein weiterer potenziell interessanter Bereich ist die Musik, der dank Streaming-Anbietern wie Spotify neues Leben eingehaucht wurde. Dieser Bereich dürfte in Zukunft seine Umsätze zunehmend aus Spielen und dem Metaversum generieren.

Alle weiteren Folgen von «Handelszeitung Insights» finden Sie hier.

Gut positionierte Nvidia

Jenseits von Software und IP könnte schliesslich auch noch der Hardwaresektor interessant sein. Da ist beispielsweise an Unternehmen zu denken, die Komponenten für VR-Headsets produzieren – von Displays bis zu Linsen und Sensoren. Viele der Hardwarekomponentenhersteller sind aber eher zu meiden – unter anderem wegen des Risikos der Kommodifizierung. Eine Ausnahme stellt vielleicht Nvidia dar, angesichts des massiven technologischen Vorsprungs des Unternehmens und der Möglichkeiten durch Einsatz von Spitzensilikon.

Interessant ist zudem Nvidias «Omniverse», eine leistungsstarke virtuelle 3D-Plattform, die es Nutzerinnen und Nutzern ermöglichen soll, «Digital Twins» – also digitale Zwillinge – von realen Objekten oder Strukturen zu simulieren.  

Und wie sieht es mit ESG-Überlegungen aus?

In diesem Zusammenhang muss man sich zunehmend der unvermeidlichen Frage nach der Einbeziehung von ESG-Überlegungen (also Umwelt, Soziales und Governance) stellen: Facebook respektive Meta zählt, milde ausgedrückt, nicht zu den ESG-Lieblingen der Anlegenden. Von der Produktausrichtung auf Minderjährige – Nachforschungen zeigen, dass dies bei einigen jugendlichen Mädchen zum Suizid geführt hat – bis zur Verbreitung von Falschinformationen und der Beeinflussung von Wahlergebnissen: Die Anschuldigungen gegen das Unternehmen sind zu zahlreich, um sie alle zu nennen.

Hinzu kommen das Metaversum und ein kürzlich erschienener Artikel in der «Financial Times», die Hunderte von Anträgen beim US-Patent- und Markenamt (USPTO) untersucht hatte, um herauszufinden, wie genau Facebook vom Metaversum profitieren könnte. Angesichts der Rechercheergebnisse sollte es nicht überraschen, wenn das Unternehmen hypergezielte Werbung und gesponserte Inhalte nutzt. Aber die Verwendung von biometrischen Nutzerdaten wie Augenbewegungen, um dieser Art von Werbung und Inhalten mehr Schlagkraft zu geben, könnte sich als ein bisschen kontroverser erweisen.

Thema Sicherheit wird wichtig

Meta hat zudem die Möglichkeit von Sicherheitszonen integriert, da es schon Fälle gab, in denen Nutzerinnen und Nutzer in virtuellen Welten sexuell belästigt wurden. Letzteres ist natürlich nicht nur ein Meta-spezifisches Problem, aber es zeigt, dass selbst in einer virtuellen Welt die Sicherheit der Nutzenden ein Thema ist. Der «Impact» dieser Branche ist insgesamt neutral, wobei einzelne Unternehmen durchaus das Potenzial für eine positive Wirkung haben, sofern sie geeignete Vorschriften aufstellen und wirksame Massnahmen umsetzen – etwa rund um den Themenbereich des Minderjährigenschutzes.

Ein Unternehmen könnte auch zusätzlich Lernspiele produzieren, um positiv zu punkten. Ähnliche positive wie negative Effekte sehen wir auch durch das Metaversum auf uns zukommen und könnten es somit ebenfalls als neutral einstufen, ergänzt durch eine eingehende ESG-Analyse auf Einzelunternehmensebene.  

Noch kein klarer Trend erkennbar

Es gibt viele Unternehmen, die von all diesen Investitionen in das Metaversum profitieren können. Da aber keine Entwicklung in Richtung eines einzig wahren Metaversums erkennbar ist, kann davon ausgegangen werden, dass viele verschiedene Metaversen miteinander konkurrieren werden und deshalb das wahre Potenzial dieses Phänomens begrenzt sein könnte. Ferner gibt es Grenzen dafür, was Menschen in dieser alternativen Realität tun werden. Wer ist schon bereit, auf ein reales Feierabendbier mit Kolleginnen und Kollegen zu verzichten? Aus Anlagesicht gibt es zwar viele Gelegenheiten – von Werbung über Shopping bis hin zu Musikkonsum und Gaming.  

Doch ist nicht zu erwarten, dass sich durch das allumfassende Metaversum die Spielregeln aller Branchen verändern werden. Eine genaue Beobachtung, sorgfältiges Stock Picking, eine Prüfung der Fundamentaldaten und die Einbeziehung von ESG-Überlegungen sind hier daher gerechtfertigt.  

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