Keyu Jin soll in den Verwaltungsrat (VR) der Credit Suisse einziehen. Sie sitzt bereits im VR von Richemont und ist die Brücke nach China. Ihre Karriere ist wie aus dem Bilderbuch: Als Teenager in die USA emigriert, neun Jahre in Harvard studiert, täglich zwei Stunden auf dem Klavier Kassiker rezitiert zum Ausgleich, Professur in London, wo sie auch auf Rupert-Junior traf, den Sohn von Richemont-Übervater Johann Rupert – und damit den Grundstein für ihren Weg in die Schweizer VR-Welt legte.

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London ist Spielfeld für die Luxusindustrie und die Finanzindustrie. Asiaten und Araber lieben die Stadt. Die London School of Economics, an der Keyu Jin lehrt, ist an Renommee kaum zu übertreffen. Wer das nötige Kleingeld und die intellektuellen Fähigkeiten hat, holt sich ein Diplom der LSE. Der Name ist Türöffner, die Absolventen sammeln Auszeichnungen à gogo. Krugman und Hayek sind mit der LSE assoziiert, Volcker und Kennedy, Ackermann und Soros. Die Liste ist lang.

Keyu Jin gehört zweifelsohne in den akademischen Olymp. Wichtigstes Puzzle-Stück in ihrem Leben ist aber ihr Vater. Er gehört zum obersten Machtzirkel von Peking, amtete einst als stellvertretender Finanzminister. Mittlerweile ist er Präsident der asiatischen Infrastrukturinvestmentbank. Sein Erfolg hat dazu geführt, dass Jin mit 14 in die USA kam – und dort den akademischen Rucksack schnüren durfte.

Für die Chinesin war es ein einschneidendes Erlebnis: Sie war sprachlich zunächst überfordert, kulturell konfrontiert. Die in Peking bei jungen Mädchen gelebte Zurückhaltung traf auf ein extrovertiertes Leben in den USA. Gleichzeitig sah sie die Schattenseiten der USA: marode Infrastruktur, haarsträubende Schulen, Gewalt, Drogen. 

Jin erzählt auch heute noch von diesen Eindrücken. Ihr Englisch ist perfekt – ohne Akzent, extrem eloquent. Sie spricht schnell und selbstsicher. In ihren Worten zeigt sich eine patriotische Grundhaltung zum Regime in Peking. Sie ist gern gesehener Gast im chinesischen Staatsfernsehen, eine Fahnenträgerin der Kommunistischen Partei, intellektuell gestählt vom Schachmeister und Doktorvater Kenneth Rogoff.

Lohnplus bei der CS

Jin verteidigt fast alle umstrittenen Entscheide der chinesischen Politik. Sie lobt die Vorteile der Ein-Kind-Politik, rühmt die Jahre des ökonomischen Wachstums und die Koordination des Wirtschaftslebens durch die Politik. Sie plädiert für mehr Offenheit gegenüber einem politischen Regime, das «diszipliniert», «interventionistisch» und «zentral gesteuert» sei. Den westlichen Medien wirft sie einseitige Berichterstattung vor.

Den Handelskrieg mit den USA bezeichnet sie als «strategisches Geschenk der USA an China». Und in der harten Linie gegenüber den chinesischen Tech-Firmen sieht sie «ein sensibles Vorgehen von Präsident Xi». 

Inhaltlich bricht Jin eigentlich immer eine Lanze fürs Regime. Sie ist linientreu, gegen aussen progressiv, moralisch aber sehr konservativ. Sie ist eine Bewahrerin von Traditionen, gleichzeitig arbeitet sie im Schnelltempo und mit westlichem Mindset. Sie schätzt den Diskurs und die Wissenschaft. Sie ist eine Weltenbürgerin, eine Vertreterin einer aufstrebenden Generation, die sowohl in Peking als auch in Washington, London und Paris beheimatet sein können. 

Für die Credit Suisse ist sie ein Investment in die neue Welt und die neue Generation. In dieser Funktion sitzt sie auch im VR von Richemont. Kompensation: 250’000 Franken im Jahr. Bei der CS erwartet sie ein Lohnsprung: 250’000 Franken gibt es als Grundsalär, dazu kommen weitere Entschädigungen in sechsstelliger Höhe. Die beiden am schlechtesten bezahlten Verwaltungsräte der CS – Michael Klein und Shan Li – kassierten 2021 einen Lohn von je 350’000 Franken.