Nach der Überwindung des ersten Coronavirus-Schocks wenden sich viele Schweizer Grossunternehmen nun wieder Zukäufen zu. Das beobachtet Nick Bossart, Schweiz-Chef der US-Investmentbank JP Morgan, die zu den grössten Beratern solcher Deals gehört.

«Die zunehmende Normalisierung hat dazu geführt, dass sich der Fokus wieder hin zu strategischen Themen wie Fusionen und Übernahmen verschoben hat», sagte er in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters.

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Kaum Übernahmen

«Vor allem Firmen mit sehr soliden Bilanzen und mit einer starken Marktposition überlegen sich jetzt, wie sie in die Offensive gehen und Zielfirmen übernehmen können, die sie schon seit längerem auf dem Radar haben.» Zu einer grösseren Zahl von Transaktionen dürfte es aber eher später im Jahr kommen.

In den vergangenen Monaten waren Übernahmen dünn gesät. Seit Jahresbeginn sanken die Einnahmen der Banken im Geschäft mit Zukäufen und Zusammenschlüssen in der Schweiz deshalb um 22 Prozent auf rund 148 Millionen Dollar, wie Erhebungen des Datenanbieters Refinitiv ergaben.

Dagegen trieb die Angst vor Liquiditätsengpässen die Firmen scharenweise an den Kapitalmarkt. Im bisherigen Jahresverlauf nahmen die Banken Refinitiv zufolge mit Anleihen-Emissionen von Schweizer Unternehmen 318 Millionen Dollar ein. Dies entspricht einem Anstieg von 63 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und dem höchsten Stand seit mindestens 20 Jahren.

Anfangs regelrechte Liquiditätspanik

"Die ersten rund drei Wochen der Corona-Krise waren von einer regelrechten Liquiditätspanik gekennzeichnet", sagte Bossart. Die meisten Unternehmen hätten sich zuerst bei Banken flüssige Mittel gesichert. Nachdem die Kapitalmärkte wieder aufgegangen seien, hätten sie sich auch auf diesem Weg Geld beschafft. Zuletzt habe zwar eine gewisse Normalisierung eingesetzt.

Doch als Vorbereitung auf eine möglicherweise länger andauernde Krise hätten sich viele Firmen in den vergangenen Wochen erneut eingedeckt. «Die Nachfrage nach zusätzlicher Liquidität ist ein Anzeichen dafür, dass Unternehmen auch auf ein Negativszenario vorbereitet sein wollen», erklärte Bossart.

Mit den Firmenergebnissen zum zweiten Quartal dürften die vollen Auswirkungen der Krise sichtbar werden, prognostizierte er. Wegen Corona verkauften und produzierten die Firmen weniger. «Ein Stellenabbau wird sich vermutlich bei vielen nicht vermeiden lassen.» Fast alle Branchen dürften betroffen sein, selbst Teile des Gesundheitssektors. Mit einem besonders starken Abbau rechnet er in den Sektoren Reisen und Freizeit.

Mittelgrosse Firmen im Fokus

Die Quartalszahlen könnten aber auch als Auslöser für ein anziehendes Geschäft mit Firmenkäufen fungieren. Um sich im verschärften Preiskampf eines rezessiven Umfeldes behaupten zu können, würden Grössenvorteile und Synergien noch bedeutsamer.

«Insbesondere bei mittelgrossen Firmen werden wir deshalb Zusammenschlüsse sehen.» Die meisten Transaktionen dürften konservativ finanziert sein und einen relativ geringen Fremdkapitalanteil aufweisen. Entsprechend werde es auch vermehrt zu Fusionen kommen, die mit Aktien bezahlt würden.

(awp/tdr)