In der Schweiz, da bin ich mir ziemlich sicher, müssen vor kurzem grössere Wahlen stattgefunden haben. Woher ich das weiss? Der mit der Fliege war wieder da.

Der mit der Fliege ist immer da, wenn grössere Wahlen stattfinden. Er ist im Fernsehen, am Radio, in den Zeitungen, überall. Denn Maschenträger Claude Longchamp ist Experte, der Politexperte der Nation.

Die so genannten Experten sind das Rückgrat der Medienindustrie. Allein in der Deutschschweiz drucken die Zeitungen pro Tag durchschnittlich 120 Expertenmeinungen ab – von Polit- und Finanzfachleuten bis zu Schafzucht- und Thermoskannenspezialisten. Wenn wir den endlosen Hunger nach Talking Heads in Fernsehen und Radio dazurechnen, treten in diesem kleinen Markt täglich rund 280 Experten öffentlich auf.

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Die Crème der Experten ist bei solcher Nachfrage im Dauerstress. Claude Longchamp als führende politische Instanz brachte es auf eine Medienpräsenz von 220 Auftritten allein in den letzten zwölf Monaten.

Wer es, wie Longchamp, einmal in den Rang der Ober-Experten gebracht hat, ist nicht mehr zu verdrängen. Es geht ihm wie einem Virus im Internet. Da viele Journalisten ihre Konkurrenz nicht konkurrenzieren, sondern lieber kopieren, vermehrt sich die Medienpräsenz der Experten wie im Schneeballsystem.

Solch unangefochtene Ober-Experten sind etwa: Sepp Moser (Fachgebiet Luftfahrt), Albert A. Stahel (Terrorismus), Fredmund Malik (alte Manager), Bjørn Johansson (neue Manager), Günter Netzer (Fussball), Beatrice Tschanz (Kommunikation), Andi Stutz (schöne Welt), Adolf Muschg (böse Welt), Jean Ziegler (Kapitalismuskritik), Franz Jaeger (Sozialismuskritik) und Beni Thurnheer (Beni Thurnheer).

Über diesen Ober-Experten thront nur noch die dünne Schicht der Ober-Ober-Experten. Drei Männer gehören in diesen kleinen Kreis, der nach Journalistenmeinung zu sämtlichen Fragen dieses Landes und dieser Erde etwas zu sagen hat: Klaus J. Stöhlker, Georg Kohler und Kurt Imhof. Der PR-Fachmann, der Philosophieprofessor und der Soziologe bilden das aktuelle Trio Infernal des Allzweck-Expertentums. Ob SBB, SVP, Jugend, Irak-Krieg, Telefonvorwahl, Grasshoppers, Oralsex – zu allem formulieren sie ruck, zuck und aus dem Stand eine druckreife Meinung.

Für den Expertennachwuchs ist es schwierig, in die geschlossene Gesellschaft der Ober-Experten einzudringen. Das gelingt meist nur dann, wenn die Nummer eins eines Fachgebiets dermassen überlastet ist, dass sich eine natürliche Lücke für eine Zusatzkraft öffnet. Newcomer Patrik Schwendimann etwa brachte es letztes Jahr als Swiss-Spezialist auf gegen 100 Medienauftritte, weil Ober-Experte Sepp Moser den gewaltigen Interviewdruck nicht mehr bewältigen konnte.

Denn Experten bleiben Experten, auch wenn sie sich in der Sache vergaloppieren. Albert A. Stahel von der ETH, der sich im Irak-Krieg mit Weissagungen über wochenlangen Häuserkampf und Gegenoffensiven blamierte, ist gefragt wie eh und je. Und die Stromexperten erklärten uns nach dem Blackout in New York, dass so etwas nur in den USA passieren könne, und nach den Blackouts in Skandinavien und Italien, dass dies typisch für Europa sei.

Einmal Experte, immer Experte: Auch Claude Longchamp, der mit der Fliege, richtete mit einer völlig falschen Hochrechnung zu den Wahlen von 1999 am Fernsehen ein selten gesehenes Debakel an. Die SRG entzog deshalb Longchamp das Mandat für die Hochrechnung 2003 und übertrug die Datenanalyse einem anderen Institut.

Wer aber durfte diese neu vergebene Hochrechnung weiterhin am Bildschirm kommentieren? Einmal dürfen Sie raten: der mit der Fliege natürlich.