Am Donnerpass in der Sierra Nevada steckt ein Siedlertreck in Schnee und Eis fest. Das war Ende November 1846 und dauerte sechs Monate. Viele Siedler starben. Doch wer überlebte? Waren es die starken jungen Männer, die kämpferischen Einzelgänger, die es gewohnt sind, Hindernisse zu überwinden und konsequent ein Ziel anzustreben? Sie waren es nicht. Überlebt haben eher Familienverbände, in denen Frauen für den Zusammenhalt sorgten. Und dafür, dass schwächere Gruppenmitglieder nicht ausgegrenzt wurden. Heroische Expeditionen machten zwar auch diese Gruppen – aber sie kehrten meist rechtzeitig um.

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Das Ereignis am Donnerpass nimmt Frank Schirrmacher zum Anlass, seinen Bestseller «Das Methusalem-Komplott» fortzuschreiben.

Dort hat er gezeigt, dass das Sozialversicherungssystem die aktive Generation aussaugt. Und zwar in einem Masse, das schon bald nicht mehr tragbar ist. Das meinen viele. Wohin dann aber mit den alten und kranken Menschen? Ganz einfach: Die Familie solls richten.

Gut gemeint, sagt Schirrmacher in seinem neuen Buch. Aber: Erstens denkt die moderne Familie gar nicht daran, die Alten und Kranken zu pflegen, und zweitens gibt es diese Familie womöglich gar nicht mehr. Die sinkende Geburtenrate hat dazu geführt, dass heute viele Junge ohne nahe Blutsverwandte der gleichen Generation aufwachsen. Die Struktur des Familienclans mit Grosseltern, Eltern, zwei Kindern, Onkeln, Tanten und Cousinen hat längst Seltenheitswert. Das ersatzweise empfohlene Beziehungsnetz ist als Auffangnetz auch nur bedingt geeignet. Denn Freundschaft beruht auf einem Gleichgewicht von Geben und Nehmen; in der Familie kann und darf es Ungleichgewichte geben: Niemand wird ausgegrenzt, auch wenn er noch nichts oder nichts mehr zum Wohlergehen der Familie beitragen kann. Diese Rolle kann kein Sozialversicherungssystem übernehmen.

Wie am Donnerpass sollen es auch in der Eiswüste der modernen Gesellschaft die Frauen sein, die den Schaden in Grenzen halten. Schön gedacht, Herr Schirrmacher. Fragt sich nur, ob die Frauen das 160 Jahre später auch so sehen. Dennoch: Der Autor stellt die richtigen Fragen und versucht ein paar Antworten. Das ist weit mehr als üblich. In der Vorsorgedebatte nennt man meist schon die einzig richtigen Antworten, bevor man auch nur eine vernünftige Frage gestellt hat.

Frank Schirrmacher
Minimum
Karl Blessing Verlag, München, 185 Seiten, Fr. 28.60