Wir rühmen uns unserer Netzwerke, unserer breit gefächerten Beziehungen. Dabei sind die vollständig entwickelten Beziehungen «fast vollständig zerfallen», wie der Soziologe Zygmunt Bauman meint. Beziehungen lassen sich nicht durch das Telefonverzeichnis im Handy ersetzen. Wenn «Lebenspartnerschaften» wie in England durchschnittlich zwei Jahre halten oder Arbeitsverhältnisse wie im Silicon Valley acht Monate, dann bleibt vieles auf der Strecke, was wir zum Inventar unserer Zivilisation zählen. Zum Beispiel Brüderlichkeit und Solidarität. Langfristiges Denken sowieso, und auch die Liebe. Wenn Beziehungen nicht mehr darauf beruhen, dass «wir uns wiedersehen», dann sind es keine, weder im Privaten noch in der Arbeit, noch in der Gesellschaft.

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Auf der Strecke bleiben dabei auch Menschen, «die Ausgegrenzten der Moderne», wie Bauman sie im Untertitel seines Buches nennt. Ausgegrenzte hat es zwar immer schon gegeben; nur hatten diese stets einen Ort, wohin sie gehen konnten. Die Konquistadoren waren Ausgegrenzte der spanischen Gesellschaft, die in Südamerika ihrem blutigen Handwerk nachgehen konnten; die Pilgerväter waren Ausgegrenzte in England; die Iren wurden vom Hunger nach Amerika getrieben; die wackeren Eidgenossen in fremden Kriegsdiensten waren in der Schweiz überflüssig. Sie alle fanden durch Migration einen neuen Lebenszweck.

Damit ist es heute vorbei. Blinde, zu erobernde Flecke gibt es auf dem Globus nicht mehr. Überzählige in Beschäftigungsnischen durchzuschleppen, verbietet der globale Wettbewerb. Also wohin mit ihnen? Ganz einfach, sagt Bauman: dorthin, wo unsere Konsumgesellschaft nicht mehr benötigte Güter deponiert, auf den Abfall. Das nennt sich dann «Sockel- oder Langzeitarbeitslosigkeit», «Invalidisierung» oder «Sozialhilfe». Gemeint ist immer das Gleiche: weg damit!

Bauman beschreibt eine Stadt, die täglich Neues will und das Alte in den Abfall schmeisst. Bis der Müllberg so hoch wird, dass er bedrohlich wirkt. Die Menschen bekommen Angst und verdrängen diese, indem sie noch schneller konsumieren. Mit menschlichem Abfall ist das schwieriger. Der neigt dazu, das zu artikulieren, was wir nicht hören wollen. Wer weiss: Vielleicht gelten ja auch wir morgen als unnütz, wenn es der globale Markt so will.

Zygmunt Bauman: Verworfenes Leben
Hamburger Edition, Hamburg, 196 Seiten, Fr. 35.50